

Die vollständige Textfassung des großen Interview mit Ludwig von Otting, das in unserem 13-minütigen Interview-Film “Der Ermöglicher” bereits auf dieser Seite des HAMBURGER FEUILLETONS zu lesen war. Der Text erscheint im Wochenrhythmus in drei Teilen.
Ludwig von Otting ist seit 1985 Kaufmännischer Geschäftsführer des Hamburger Thalia-Theaters, erlebte bislang die drei Intendanten Jürgen Flimm, Ulrich Khuon und Joachim Lux und gilt als graue Eminenz des erfolgreichen Hauses am Alstertor.
Das HAMBURGER FEUILLETON traf den aus Bayern stammenden Wahlhamburger zum Interview an seiner Wirkungsstätte und stellte fest, dass kein trockener Zahlenmensch die finanziellen Geschicke des Theaters lenkt.
Im ersten Teil des Interviews, das im März 2011, also unmittelbar nach der Wahl in Hamburg geführt wurde, sprach Ludwig von Otting über seine Rolle am Theater und als Autor phantastischer Geschichten.
Herr von Otting, wir hätten das Interview ja gerne in Ihrem Büro gemacht, wo sie arbeiten, aber nun sind wir aus Platzgründen hier im Foyer. Ist das auch so ein bisschen ihr Wohnzimmer hier? Oder ist das der eigentliche Arbeitsplatz?
Ich bin seit 85 hier, ich hab 79 angefangen zu arbeiten, aber in Köln. Eine interessante Frage, ich bin mit dem Theater schon sehr verwachsen und das wiederum schon seit 1969. Da kam ich als Jurastudent nach Hamburg und hab da am zweiten Tag meines Hierseins eine Thalia-Schauspielerin kennengelernt, die ich ein Jahr später geheiratet habe, mit der ich dann 10 Jahre zusammen war.. Und von Stund an bin ich eigentlich nur noch notgedrungen in die Uni gegangen, aber wahnsinnig oft ins Thalia Theater. Also ich bin der älteste Ziegelstein in der Mauer des Theaters, aber welcher Mauer, ob die des Foyers oder der Hinterbühne, das weiß ich nicht.
Gibt es einen Lieblingsort hier? Von wo sie vielleicht gerne beobachten?
Mein Lieblingsplatz ist der Zuschauerraum. Da ist es eine Loge, in der ich auch bei Vorstellungen sitze, wenn’s geht, und auch wahnsinnig gerne in den Proben.
Sind sie gerne nah dran, an der Bühne?
Die Loge ist nicht so nah, die hat so Kaiserlogencharakter. Da hat man die beste Übersicht. Es ist ja ein Irrtum, dass im Theater die besten Plätze vorne wären. Da kann man zwar unter Umständen irgendjemandem untern Rock gucken oder so, aber eigentlich muss man in der 10. Reihe sitzen, wo der Regisseur sitzt. Da hat man die richtige Position. Ich bin ein Anhänger der eher hinteren Plätze. Ich sitz auch wahnsinnig gern ganz oben, auch in fremden Theatern. Wenn ich irgendwo eingeladen bin, find ich es immer ganz doof, wenn die mich ehrenhalber in die erste Reihe setzen. Dann beschaff ich mir schnell ’né andere Karte
Sie haben einmal gesagt, sie seien ein Vertreter des alten Thalia. Hat sich da viel bewegt? Was hat sich denn verändert in all den Jahren?
Ich weiß gar nicht, wann ich das gesagt habe, dieser Satz irritiert mich jetzt ein wenig. Ich bin ganz sicher auch ein Vertreter des gegenwärtigen Thalia, aber ich kenne halt die Geschichte. Ich hab das Thalia in der Zeit kennengelernt, als es noch gar keine Frage war, dass es die zweite Geige spielt hier in Hamburg und das Schauspielhaus das eigentlich wichtige und innovative, avantgardistische große Theater war. Und das hier ein bisschen die bunte Juxbude.Ich hab die Entwicklung eben begleitet, emotional und dann irgendwann auch funktional hin zu einem Haus, was in der Republik zu den wichtigsten gehört. Insofern ist mir wichtig, dass ich alle Stadien der Entwicklung mitgelebt habe.
Sie sind hier auch zum Hamburger geworden, jemand der fest verankert ist in der Stadt. Man merkt das inzwischen an der Diktion, die auch ein wenig norddeutsch geworden ist.
Also wenn ich will, merkt keiner, dass ich Bayer bin, das ist ganz sicher. Und mein »Grüß Gott«, enthält so ein ganz leichtes demonstratives Element, ich mag das.
Wie ist das mit der Hamburger Mentalität, die ist ja manchmal so ein bisschen zugeknöpft, ist das noch ein Thema? Oder gewöhnt man sich daran?
Ich glaube , dass ich inzwischen selbst sehr hamburgisch bin. Das hat mir von Anfang an sehr behagt. Ich fand Hamburg zwar sehr zugeknöpft, wie Sie richtig sagen, aber auch sehr zurückhaltend und sehr diskret und auch sehr liberal. Wobei ich die Diskretion und die Liberalität durchaus in einem nahen Zusammenhang sehe.
Es dauert hier ein bisschen länger, bis die Nachbarn einen grüßen, aber wenn sie es dann tun, dann tun sie es auch noch 20 Jahre, nachdem man ausgezogen ist. Die Leute interessiert nicht so sehr, was man hinter seinen vier Wänden macht, und das find ich erst mal angenehm. Ich liebe die Stadt, das ist wirklich meine Wahlheimat.
Das bleibt dann hoffentlich auch so, auch an diesem Hause?
Mein Arbeitsleben werde ich gewiss hier zu Ende bringen, zumindest was mein Arbeitsleben als Theatermensch anbelangt, das ist inzwischen auch vertraglich fixiert. Ich bin jetzt 62, und ich werde bleiben, bis ich 65 bin und dann schicken sie mich in Rente.
Sie sind ja als Kaufmännischer Geschäftsführer qua Position hier am Hause, aber sie haben auch ein Alter Ego, mit einem gruseligen Bart und einer gruseligen Perücke, der Autor Leuw von Katzenstein …
Löw, bitte. Mit der Schreibweise habe ich mir ein Eigentor geschossen, kein Mensch sagt Löw, ich dachte, das wär klar.
Ist das ihr Alter Ego, ist es das was im Verwaltungsdienst nicht da ist und dann raus will?
Ja wissen Sie, das ist sicher so, dass ich ans Theater gegangen bin, weil ich gewisse kreative Leidenschaften und Lüste habe, die ich aber in diesem Beruf, in den es mich dann verschlagen hat, gar nicht stillen kann. Ich bin, wie Sie ja wissen, für Geld und Ordnung zuständig, für Struktur, Personal, Rechtsfragen, all so’n Kram, das hat alles überhaupt nichts zu tun mit Kreativität.
Ich habe mein ganzen Leben getrachtet, mir so ein kreatives Feld zu erarbeiten, und ich hab eigentlich auch schon sehr lange gewusst, dass ich irgendwann mal schreiben werde, es bloß eben viele Jahre nicht getan. Ich brauchte sozusagen einen Schuhlöffel, um da rein zu kommen. Dieses erste Buch , »Der Schrecken der Ozeane« war ja ganz gezielt ein Geschenk für meine Neffen, deren Mutter, meine Schwester, sehr tragisch gestorben war. Ich wollte denen ein schönen Geschenk machen. Da fing ich an zu schreiben.
Es ging mir dabei überhaupt nicht darum, ein Zubrot zu verdienen oder berühmt zu werden, sondern es ging um einen bestimmten Vorgang, um einen bestimmten kreativen Zug in der Existenz. Der ist ja während des Schreibens da und nicht nach der Veröffentlichung. Alles was hinterher kommt, also der bescheidene Ruhm, bis hin zu dem Wunsch, ein Interview mit mir zu führen, das kommt dann so oben drauf. Das wichtigste sind die Vorgänge davor.
Leuw von Katzenstein hat eine eigene Identität, eine wahnsinnige Biographie, er ist Bibliothekar, all diese Geschichten, die sich drum herum ranken, das ist sehr bunt. Und es gibt auch diese Maske, diese Perücke, diesen Schnauzbart, treten sie damit auf oder ist das nur was fürs Verlagsphoto?
Ja, so beides. Es war irgendwann mal ein Scherz, eine karnevaleske Lust, eine andere Erscheinung zu liefern. Ganz ursprünglich war ich auch ein bisschen unsicher, ob ich mich überhaupt outen sollte und versuchte das auch sehr von meiner anderen Existenz fernzuhalten und hatte mir auch eine Weile eingebildet, ich könnte da mit Pseudonym und Maske eine komplette andere Identität erschaffen, aber das war natürlich völliger Blödsinn.
Als ich das erste Mal mit der Maske auftrat, auf irgendeiner Pressekonferenz, kamen Leute zu mir und sagten: »Hallo Ludwig, du siehst ja lustig aus …« – das war also in dieser Hinsicht nicht von Erfolg gekrönt. Aber wichtig ist das eigentlich nicht, es ist halt ein Spaß, ehrlich gesagt, ich möchte auch nicht aussehen wie dieser Leuw von Katzenstein, der sieht aus wie so ein Discobesitzer aus der Provinz aus den 60ern, so ein Übriggebliebener, der vergessen hat, sich die Haare abzuschneiden. Das ist eigentlich nicht das, was ich mir für mein Privatleben vorstelle.
Aber ich hab eine Lust am Verkleiden und Versteckspiel, und ich habe Lust, mit Identitäten zu spielen, Vexierspiele zu betreiben und das ist auch in meinen Büchern so. Da gibt es oft Figuren, die plötzlich die Namen wechseln und in anderer Form wieder auftreten. Damit hat das sicher auch zu tun.
Wenn man das aktuelle Buch »Ruchlose Rivalen« liest, dann merkt man, da ist jemand sehr verliebt in die Sprache, in das Wechselspiel mit den Worten, es werden Worte gestaltet, erfunden. Es gibt zum Beispiel eine Figur, die eine komplette Phantasiesprache spricht. Wie wichtig ist Sprache für einerseits den Autor und andererseits den Theatermann?
Überragend. Absolut überragend. Ich finde, dass man gute Sprache reden muss, denken muss und schreiben muss. Das ist ein Maßstab, den ich auch an alles andere anlege, an Stücke, an Bücher, die ich lese, an Menschen, denen ich begegne.
Für mich spielt das eine ganz, ganz große Rolle, auch in der Beurteilung von Menschen. Wobei ich keineswegs von jedem erwarte, dass er eine geschliffene Hochsprache parat hat, mit ironischen Brechungen und einen Wortschatz von 20.000 Worten oder ähnliches, darum geht’s gar nicht.
Es geht aber um Authentizität in der Sprache. Wenn sie mein Buch lesen, dann werden sie ja auch feststellen, dass es viele Leute in dem Buch gibt, die rotzig und umgangssprachlich miteinander verkehren, denen auch kein Schimpfwort zu rüde ist und keine Fluch zu böse und ich finde, das ist wichtig, dass man die gesamte Bandbreite zur Verfügung hat und die verschiedenen Situationen auch auf der jeweils richtigen Sprachebene schildern kann.
Wenn sie nach einer Vorstellung hier im Foyer sind, dann hört man ja gelegentlich auch von den Hamburgern: »Ich hab ja nichts verstanden, aber die Schauspieler waren so toll, die haben so toll gesprochen«. Was würden sie zu denen sagen?
Das halte ich für eine verengte Sicht auf die Dinge. Das ist halt das einzige objektivierbare Kriterium, was man, wenn man sich nicht täglich mit Theater beschäftigt, zur Beurteilung der Sache zur Verfügung hat. Ich denke , diese Verengung auf das Argument des klaren und deutlichen Sprechens ist eine Maßnahme, zu der Zuschauer dann greifen, wenn sie im Übrigen verunsichert sind.
Das ist nicht das Hauptkriterium für mich. Natürlich gibt es Sätze, gibt es Situationen, gibt es Figuren, von denen ich erwarte, dass sie sehr klar sprechen. Das heißt ja nicht nur, dass man jedes Wort versteht, sondern dass man auch die Bedeutungsgehalte inklusive seiner Nebenbedeutungen, Unterbedeutungen und Brechungen usw. formulieren kann.
Ulrich Wildgruber als Othello, um mal ein berühmtes Beispiel zu wählen, der hat genuschelt, was das Zeug hielt, und das war ziemlich genial. Es kommt drauf an, welche Sprachattitüde der Situation angemessen ist. Ich sehe überhaupt keinen Sinn darin, ausschließlich alles auf Sprache zu stützen. Allerdings denke ich auch, dass Schauspieler das Handwerk beherrschen sollten, und wenn sie’s eben müssen, das dann auch parat haben müssen. Hatte Wildgruber übrigens in extremem Maße.
Wenn sie dann jemanden hören, der sagt »Für so was werden unsere Steuergelder ausgegeben«, werden sie dann sauer?
Die Steuergelderargumentation, die hört man ja in allen möglichen Zusammenhängen, das ist ein Argumentationsniveau, auf dem man kein Problem lösen kann. Ob man nun darüber redet, dass man Einwanderer aus Libyen mit Steuergeldern durchfüttert oder dass Theater das provoziert, von Steuergeldern lebt. In jedem Zusammenhang ärgert sich jemand und greift dann zu dieser Steuergeldargumentation.Das finde ich, ehrlich gesagt, ziemlichen Mist, das ist Bullshit.
Glauben Sie, dass Werkeinführungen solchen Leuten helfen können, mehr Akzeptanz für das Theater zu erlangen?
Ja, oh ja. Es ist gesicherte Erfahrung, dass Vorgespräche, auch Nachgespräche, unter Umständen auch schriftliches Begleitmaterial, wenn es unarrogant ist, und sich an den Empfängerhorizont wendet, enorm helfen kann, um Stücke, Situationen, Schreibweisen und Herangehensweisen zu erklären, verständlich zu machen und ihnen den Boden zu bereiten. Ich denke, daß es dringend notwendig ist bei ganz vielen Sachen.
Ich finde, Theater, die das nicht tun – merkwürdigerweise war das in den 70er Jahren, als diese ganzen linken Formen des Theaters praktiziert wurden, ein totales Tabu. Die Dramaturgen fanden es absolut unter ihrer Würde, irgendwas zu erklären. Das hat sich gottseidank total gewandelt und heute bemüht sich jedes Theater, durch Nebenveranstaltungen sein Programm zusätzlich verständlich zu machen. Das begrüße ich sehr.
Das gilt auch und gerade für Kinder, Schulaufführungen und so weiter …
Es ist ein alter Witz, das dies das Alter ist, in dem sich Wünsche prägen. Es gibt kaum erwachsene Zuschauer, die nicht als Kind im Kindertheater gewesen sind. Es gibt viele, die im Kindertheater sind, die dann später nicht mehr gehen.
Das ist schon ein wichtiger Weg, um Publikum zu kriegen und die Kinder da rechtzeitig ranzuführen. Das ist wie mit allem anderen, mit Literatur, Kinder, die den ganzen Tag nur vor KIKA sitzen, werden sich dann im Leben kaum ein Buch kaufen. Und so sind Theater eben auch.
Während des Interviews findet im großen Haus eine Aufführung der Kinderproduktion „Der gestiefelte Kater“ statt. An dieser Stelle des Interiews öffnen sich die Türen und das junge Publikum strömt lärmend ins Foyer. Ludwig von Otting schaut von der Galerie hinunter.
Ist das dort unten ihr Publikum, auch fürs Buch?
Mein Publikum sind die hier, aber mein Publikum sind auch Sie (die Erwachsenen). Meine Bücher sind ja keine reinen Kinderbücher. Das ist ein Missverständnis, das Personal der Bücher ist ein sehr kindliches, wenn man so will, sprechende Raben, Krokodile und anderes Viehzeug – in diesen »Ruchlosen Rivalen« spielen zwei schwule Mäuse Hauptrollen, schon aus der Konstellation kann man erkennen, dass das nicht geschrieben ist nur für Kinder.
Mir ist zum Beispiel völlig egal, ob irgendjemand findet, das so was politisch korrekt sei oder nicht. Das ist es nicht und es gibt auch Beschwerden, ich bin auch mit Briefen konfrontiert worden, von irgendwelchen aufgebrachten Lehrern oder Eltern, die irgendwelche Passagen in einem meiner Bücher nicht für kindgerecht halten, also beispielsweise, dass die zwei Mäuse nun beide schwul sind, das finden manche halt … blöd. Ich find’s nicht blöd.
Lesen sie im zweiten Teil des Interviews, das kommenden Montag erscheint, was Ludwig von Otting über das Geldverteilen und über Eingriffe in die künstlerische Freiheit am Theater denkt …
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