Wie bin ich hier bloß hingeraten? Neben mir sitzt ein Freund und kritzelt in mein Notizbuch: “Wir können nicht singen. Wir können nicht tanzen. Sprechen können wir auch nicht. Aber meine Oma hat ´ne Orangenpresse. Lass uns ´ne Performance machen.” Das ist böse, aber – leider – so auf den Punkt, dass es hier zitiert gehört. Denn das Performance-Kollektiv ROTA hat munter einmal in die Schatzkiste der Symbolsprache gegriffen und einen Abend zum Thema Zukunft(sangst) recht diffus umgesetzt.
Die Performance CAPTAIN FUTURE – (DON´T) FUCK ME (TOO) HARD läuft im Rahmen der Reihe “150% Debutantes Ballroom”, die dem Nachwuchs Entwicklungsmöglichkeiten bieten möchte. Das Konzept: Erfahrene Theatermacher der freien Szene in Hamburg wählen im August vier Projektideen von Einzelkünstlern und Performance-Gruppen aus. Diese haben dann bis zum Festival Zeit, aus den Ideen Inszenierungen zu machen. Dabei bekommen sie finanzielle, organisatorische und künstlerische Unterstützung. Eine feine Sache eigentlich, die immer mit Risiko verbunden ist.
Und das ist hier ziemlich daneben gegangen. Weder inhaltlich noch ästhetisch findet der unbeholfene Performance-Versuch mit Film-Einspielern, sich bewegenden Pappkartons und Captain Future zu einem Ganzen. Das Thema von „the Motherfucker“ Ödipus wird höchstens gestreift, während eine junge Frau meditative Kreise an die Seitentafel malt, ein Performer zu politischen Theorien spricht und ein anderer in Unterhosen Liegestütze macht. Simpel herunterbrechen lässt sich der Abend inhaltlich auf eine junge, kritische Generation, die zwischen Schuldenkrise, Wahlfreiheit und griechischem Schuldenberg ein wenig orientierungslos herumtaumelt.
“Jeder neue Tag is the future, und Captain Future ist stets an deiner Seite. Was wirst du uns bringen, Captain Future?” sprechen die jungen Menschen und hoffen dabei sicher, dass er sie nicht – wie im Titel angekündigt – „too hard“ rannimmt. Aber der hat gar keine Zeit dafür, weil er draußen steht und raucht (also zwei Performer im Captain Future-Kostüm tun das auf der Straße vor der Ladenfront), während der Liegestützen-Mann ein Pamphlet verliest, das keiner versteht. Ein alter – und wahrhaft weiser – Grieche darf via Projektion mit deutschen Untertiteln von seinen Sorgen zur Zukunft der jungen Generation Griechenlands erzählen. Die Performer machen ein bisschen Bewegungstheater, und dann war´s das auch schon. Alle bekommen Orangensaft, den die nette Oma während der gesamten Performance still im Hintergrund gepresst hat.
Ein ganz anderes Spiel, ein ganz anderer Abend: TAXI. EIN TRYPTICHON DER GEWALT im Rahmen der Reihe „150 % Gastspiel“ ist eine von drei Inszenierungen aus anderen Städten, die die “Werkschau der lokalen Szene sinnvoll ergänzen” will, wie es im Programm heißt. Hier hat die 150%-Leitung unter Christian Concilio und Tatjana Dübbel einen exzellenten Griff getan. Nicht umsonst war die Produktion des Münchner Performance-Kollektivs HUNGER&SEIDE 2009 für das Berliner Theatertreffen vorgeschlagen.
Eine (fast) leere Bühne. Von der Decke hängt an dünnen Stahlseilen eine Tasche aus LKW-Plane und rechts davon etwas weiter vorn ein Lenkrad. Auf der linken Bühnenseite ein Tisch, von dem aus Musik und Projektionen an den Seitenwänden gesteuert werden. Später dürfen wir uns davon überzeugen, dass der Mann dahinter (Thomas Maedowcroft) auch noch ziemlich grandiose Live-Musik macht. Wenn die Schauspieler Judith Al Bakri und Jochen Strodthoff Ihre Positionen einnehmen, sie als Fahrgast, mit der Tasche über der Schulter, er als Fahrer hinter dem Lenkrad, sind wir durch Projektion plötzlich im Innern eines Taxis, und die Fahrt kann beginnen.
Und es ist eine wilde Fahrt quer durch Zeiten und Kulturen, auf die das Trio uns mitnimmt. Im Heute der Taxifahrt hat eine trotzige junge Frau ihr gesamtes Bargeld (1300 Euro) zusammen gekratzt, um auf eine letzte lange Fahrt ins Nirgendwo zu gehen. Das Gestern der Frau hält Einzug mit einer Landkarte und erzählt die Geschichte ihrer Großmutter im Irak vor der Revolution 1958. Die Vergangenheit des Taxifahrers berichtet von seiner Großmutter Grete im zweiten Weltkrieg und danach. Die Dialoge der Insassen sind holprig, ihre Gedanken kommen als Einspieler vom Tonband, während “draußen” die Lichter der Großstadt vorbeifliegen.
Erzählt wird durch Improvisation, mit alten Fotos, einem Moskitonetz oder einem Hut. Das ist simples, spielfreudiges, situationsverliebtes Theater, das tänzerisch-leicht zwischen Geschichte(n) und Generationen springt. Theater, wie ein George Tabori es gemacht hätte (passgenau wurde HUNGER&SEIDE dieses Jahr mit dem George Tabori-Förderpreis des Fonds für Darstellende Künste ausgezeichnet). Immer wieder finden wir uns in der Gegenwart des Taxis, in der die beiden reden, witzeln, streiten, lachen und sich, ohne es zu wissen in die tiefsten seelischen Abgründe blicken – ohne wirklich miteinander zu sprechen.
Hier kommen die Genres zusammen, hier verdichten sich an einem einzigen Abend Performance, Theater und Tanz mit einer Exaktheit, dass es eine wahre Freude ist. Jedes “Bremsen” des Taxifahrers sitzt, wenn der jungen Frau auf der Rückbank die Pfefferminzdose aus der Hand fällt und der Inhalt im Pefferminzregen über den Bühnenboden kullert. Man sieht jedes ruckelnde Kopfsteinpflaster bei den Schauspielern, und zwischendurch schwingen sie fliegend an Tasche und Lenkrad durch den Raum, dass einem ganz schwindelig wird. Wenn am Ende des Abends die Geschichten aus Gegenwart und Vergangenheit zu einem großen Jetzt werden, begreift man, dass eine Nacht in einem Taxi, das gegen die Wand fährt, 90 Minuten pures Theaterglück sein können.
Zwei Kurzbesuche bei 150%. Ein Scheitern und ein großer Wurf ganz nah beieinander. So ist das eben mit Festivals. Du weißt nie, was dich erwartet.
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