Bene-Diktum: Recht auf Sternenlicht

Wo der Himmel wirklich ist …

Was fan­gen wir mit der Rede vom Him­mel an? Seit der Ent­mythol­o­gisierung durch den stre­it­baren Dialek­tik­er Rudolf Bult­mann mit ihrer Erledi­gung des Drei­s­tock­w­erk-Welt­bilds ist jedem The­olo­gen eigentlich klar, dass die Rede vom Him­mel als Ort obso­let ist. Der Him­mel ist kein Ort, son­dern ein Zus­tand – weswe­gen das Englis­che auch zwis­chen sky und heav­en unter­schei­det.

Den Him­mel als Ort der Seli­gen genießen wir allen­falls noch in der Betra­ch­tung von Kunst­werken, die diesen Him­mel mit der auf Wolken schweben­den Madon­na bei ihrer Him­melfahrt traumhaft schön in barock­en Kirchen malen oder ihn musikalisch evozieren, wie im Par­a­disi glo­ria von Rossi­nis Sta­bat mater oder schreck­haft drama­tisch in Verdis Dies irae.

Im Übri­gen wird der Him­mel zum Refugium des Witzes – “Kommt ein Pfar­rer in den Him­mel …” –, des Kitsches in Operetten und Schlagern – “Ich tanze mit dir in den Him­mel hinein” – oder des Inter­ess­es an Gottes Boden­per­son­al in Fernsehse­rien: “Um Him­mels willen”.

Der Giessen­er Sozi­ologe und The­ologe Reimer Grone­mey­er hat nun ein schönes Buch über den Him­mel geschrieben: [Him­mel, der].

Es heißt im Unter­ti­tel Sehn­sucht nach einem ver­lore­nen Ort. Es ist eine Stre­itschrift, die an den schö­nen Him­mels­glauben früher­er Zeit­en und Gen­er­a­tio­nen erin­nert – einen Glauben, der den Him­mel als Ort des Sinns sah, als Ort der Welt­deu­tung durch die Mythen von der Erschaf­fung von Him­mel und Erde, als Ort der Hoff­nung in den Endzeitvi­sio­nen vom himm­lis­chen Jerusalem und Jüng­sten Gericht und als Ort Gottes, der dem Men­schen Gren­zen set­zt.

Dieser Ort ist weit­ge­hend ver­loren gegan­gen. Der Him­mel, schreibt Grone­mey­er, “scheint nur noch ein Arbeits­feld für Astro­physik­er, Rohstof­f­ex­perten, Prospek­teure mit Gold­gräber­men­tal­ität und für Extrem-Touris­ten zu sein.”  Grone­mey­er stellt den alten Him­mel diesem neuen Him­mel in kri­tis­ch­er, ret­ten­der Absicht gegenüber. Es ist kein Rück­fall hin­ter die kopernikanis­che Wende, die er aus­führlich schildert, keine unkri­tis­che roman­tis­che Wiederverza­uberung, son­dern eher mit Matthias Claudius Sternse­herin Lise die Erin­nerung an eine Sehn­sucht, die Maßstäbe zu set­zen wußte: “Es gibt was Besseres in der Welt als all ihr Schmerz und Lust”.

Grone­mey­er sieht in dem heuti­gen Umgang der Astro­physik mit dem Wel­traum (man denke an die ger­ade geglück­te Mars-Erkun­dung) das gle­iche tech­nisch-kalte Prinzip am Werk, das die Glob­al­isierung im Dien­ste des Kap­i­tals bes­timmt. In dem der Men­sch den Him­mel abschafft und sich zum Her­rn der Wel­ten und der Erken­nt­nis auf­schwingt, klagt Grone­mey­er, geht alle Maßstäblichkeit ver­loren.

Den kalten ana­lytis­chen Ton von Astro­physik­ern wie Stephen Hawk­ing und Hirn­wis­senschaftlern, die die Exis­tenz ein­er Seele bestre­it­en, kri­tisiert er deswe­gen heftig. Vielle­icht etwas zu heftig. Denn die Ein­sicht, dass wir nicht mehr unter ein­er Him­mel­skup­pel gebor­gen, son­dern explodierende Par­tikel im explodieren­den Uni­ver­sum sind, ist ja nicht zurück­zunehmen. Auch nicht das Dop­pel­ge­fühl von Beseli­gung und Ver­nich­tung, das Adal­bert Stifter angesichts der Beschrei­bung des unge­heuren Uni­ver­sums ergriff.

Grone­mey­er zitiert den alten Him­mel der Mytholo­gen, The­olo­gen und Poet­en, um der Men­schheit einen Maßstab zurück­zugeben. (Neben­bei bemerkt kri­tisiert er zu Unrecht Heines Satz „Den Him­mel über­lassen wir den Engeln und den Spatzen“, denn Heine wollte nicht wie Marx den Him­mel ersatzweise in die Zukun­ft der klassen­losen Gesellschaft ver­legen, noch wollte Freud das, der diesen Satz Heines zus­tim­mend zitierte.)

Das tut er mit Fra­gen und Appellen eben­so wie mit geglück­ten Skizzen des Ver­lusts, so im Kapi­tel über die Engel als Kom­mu­nika­toren in ein­er Welt elek­tro­n­is­ch­er Selb­stver­got­tung und der Nen­nung nachah­menswert­er Beispiele der Gegen­wehr gegen Umweltzer­störung und Raub­bau an dem blauen Plan­eten mit seinem “Recht auf Ster­nen­licht”.

Meine Frage an dieses glänzend geschriebene, angenehm belehrende und engagierte Buch über den Him­mel ist eher, ob die Weck­ung der Sehn­sucht nach dem ver­lore­nen Ort Him­mel die Prob­leme lösen kann, die es benen­nt.

Ich erin­nere an die berühmte Kantsche Formel aus der Kri­tik der prak­tis­chen Ver­nun­ft, die Grone­mey­er erstaunlicher­weise nicht ein einziges Mal nen­nt – “Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewun­derung und Ehrfurcht: der bestirnte Him­mel über mir und das moralis­che Gesetz in mir.”

Bei­de bes­tim­men mein Han­deln. Zeigt mir das eine meine Nichtigkeit im Weltall, gibt mir das andere einen Halt in mein­er Indi­vid­u­al­ität in dieser Welt. Und auch Regeln für mein Ver­hal­ten zu Mit­men­schen und Mitwelt. Daran hapert es, wie Grone­mey­er zeigt.

Vor allem bei den­jeni­gen, die Poli­tik, Wirtschaft und Wis­senschaft bes­tim­men. Beson­ders die Ambivalenz von Wis­senschaft als Leben erle­ichtern­der Fortschritt und das Leben auf dem Plan­eten gefährden­der Ein­griff ist hier zu nen­nen. Die Erin­nerung an den Him­mel hil­ft hier weniger als eine Ethik der Ver­ant­wor­tung im Sinne von Hans Jonas. Nötig sind inter­na­tionale Kon­trol­linstru­mente eben­so wie per­sön­liche Ver­hal­tensän­derun­gen. Im Übri­gen:

“Halt an, wo lauf­st du hin, der Him­mel ist in dir/suchstu Gott ander­swo, du fehlst ihn für und für.” (Angelus Sile­sius)

Reimer Groen­e­mey­er:
Der Him­mel: Sehn­sucht nach einem ver­lore­nen Ort
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