“Daschanichsoschön”, das ist die Universalwendung, die die langhaarig-blonde Eppendorferin gebraucht (für die Kölner: das ist ein Hamburger Stadtteil, der zu den sogenannten “gehobenen” zählt, viel Altbausubstanz und hohe SUV-Dichte), wenn sie von immensen Schicksalschlägen erfährt, sei es ein Todesfall, eine Naturkatastrophe oder ein Reaktorunfall. Ekstatischer wird es dann allenfalls noch durch eine leicht gekräuselte Augenbraue. Mit überschwänglicher Emotionalität hat es der Hanseat eben nicht so. Und ein Dom fehlt auch, und zwar ein Echter, nicht so einen Rummelplatz mit seinen Juxbuden, der alle Vierteljahre auf dem Heiligengeistfeld gastiert.
Warum das unbedingt nötig ist? Hier sind fünf Gründe für den sofortigen Dombau an der Elbe:
Grund 1: Karneval
Der einzig wahre Großstädter hält Karneval entweder für eine folkloristische Veranstaltung, die dazu dient, betrunkenen Mädchen aus dem Dorf am Rhein ans Mieder zu gehen oder für die bemitleidenswerte Ausgeburt einer fehlgeleiteten katholischen Seele. “Ach ihr müsst zum Karneval, ihr Armen”. Schon deswegen muss zügig mit den Bauarbeiten begonnen werden, denn nur im dräuenden Schatten von hochgotischen Doppeltürmen lässt sich der eisige Nordwind schnell vergessen.
Grund 2: Musik
Ja, auch Musiker gibt es im Norden, aber sollten die jemals auf der Bühne stehen und ihr Mikrofon verzweifelt in die Menge halten, erwartend, dass da einer mal zumindest einen Refrain mitsingt, dann sind die schiefgewickelt. Schon allein deshalb hat sich die sogenannte “Hamburger Schule” gebildet, die Texte singt, die einen gar nicht erst auf die Idee kommen lassen, mitzusingen, weil sie so kompliziert sind. Hier genügt ein leichtes, billigendes Kopfnicken. Auch in diesem Fall muss der Grundstein zum Dombau baldigst gelegt werden, schließlich bieten die hohen Hallen ein schönes Echo, und wenn einer mal singt, klingts gleich wie Millionen. Und die sind beliebt an Rhein und Elbe.
Grund 3: Nachbarschaft
So ein Stadtteil ist in erster Linie eine Form der Abgrenzung. Oder glaubt irgendjemand, dass ein Barmbeker mit dem Uhlenhorster redet? Genaugenommen redet der Hohelufter West auch nicht mit dem Hohelufter Ost, denn der ist ja eigentlich schon fast Eppendorf, und der redet auch nicht mit anderen Eppendorfern, siehe oben. Beim Herumklettern auf den Türmen und beim Aufsetzen der Turmkreuze kommt man sich bestimmt näher und was für ein Bild, wenn der Billbroker einem Marienthaler einen sandsteinernen Wasserspeier anreicht und sie ihn dann gemeinsam einmauern.
Grund 4: Puritanismus
Die Talare sind außerordentlich schwarz und als prächtig gilt der sogenannte “Hamburger Ornat”. Der ist auch schwarz. Lasst die Prozessionen endlich kommen, schließlich hat der katholische Priester bunte Kleidchen an und diese Goldkreuze sind auch sehr hübsch.
Grund 5: Sänger
Tommy Engel stammt aus Sülz und singt kölsches Idiom. Schon das muss Grund genug sein, sowas zu bauen.
Der besagte Tommy Engel hat ein Buch geschrieben. Er war bis Mitte der 90er der Frontmann der Bläck Fööss, der kleine Untersetzte mit dem Schnauzbart. Etwas ältere Semester erinnern sich vielleicht noch an “Frongraich, Frongraich” oder wie das hieß, da hatten die Fööss dann auch mal außerhalb der Stadt Köln einen Hit. Da hatte Tommy Engel eine Baskenmütze auf.
Das Buch hat Tommy Engel nicht allein verfasst, der Kölner – natürlich ein Kölner – Journalist Bernd Imgrund hat dabei geholfen. So richtig schön ist das nicht geschrieben, aber das ist ziemlich egal, denn Tommy Engel ist eine Kölner Legende und da ist es vollkommen gleichgültig, ob das ein bisschen hölzern daherkommt. Es ist, wie es sich für eine Künstlerbiographie gehört, schön chronologisch, ein bißchen untergliedert in wichtige Lebensabschnitte.
Der kleine Tommy, jüngster von zehn Geschwistern, wächst in sogenannten einfachen, so nannte man das in den 50ern, Verhältnissen auf. Sein Vater ist ein lokaler Prominenter, Mitglied des Karnevalsquartetts “Vier Botze” (Die vier Hosen).
Irgendwann spielt der Junge Schlagzeug und dann beginnt die Beat-Ära. Und so tingelt Tommy Engel aus Köln von Band zu Band und trommelt und irgendwann singt er. Dann kommt die Idee, “moderne” Musik mit Dialekttexten zu machen, plötzlich singen sie Kölsch und die Band heißt “Bläck Fööss”.
Dann kommen “Mr losse d’r Dom in Kölle”, “En Unserem Veedel” und auch der besagte Hit mit den Klischeefranzosen. Die Fööss spielen immer im Karneval, BAP wird auch berühmt mit kölschen Texten, spielt nicht im Karneval und Tommy Engel hat keine Lust mehr im Karneval zu singen. Und er macht weiter, gründet neue Formationen und singt alleine. Er ist Musiker und das ist es, was er immer gewollt hat.
Um die Relevanz einer solchen an sich nicht besonders aufregenden Künstlerbiographie zu verstehen, muss man sich einmal anschauen, was passiert, wenn Engel auf der Bühne steht und singt. Da stehen dann nämlich Tausende mit feuchten Augen und kennen jede Zeile, jedes Wort. Eine gewaltige Identitätswelle rollt da durch den Konzertsaal, ein tief verwurzeltes Heimatgefühl, und eine gehörige Portion Sentimentalität. Das Buch heißt nach einem seiner Songs “Du bes Kölle” (hochdeutsch: Du bist Köln) und da steht eine ganze Menge drin von dem, was diesen im rheinischen Katholizismus geborenen Geist ausmacht:
Du bes Kölle
Ob de wells oder och nit
Du bes Kölle
Weil et söns kein Kölsche jit
Du bes Kölle
Du bes super tolerant
Nimps jeden op d ́r Ärm
Un an de Hand
Du bist Köln
Ob du willst oder auch nicht
Du bist Köln
Weil es sonst keine Kölner gibt
Du bist Köln
Du bist super tolerant
Nimmst jeden auf den Arm
Und an der Hand
Ja, natürlich ist das ein verklärtes Selbstbild. Und es gibt den Einsturz des Stadtarchivs und den berühmten Klüngel. Aber es gibt eben auch solche kleinen romantischen Exzesse, den Mythos der kleinen Leute mit dem Herz auf dem rechten Fleck und der schnellen Zunge. Das gab es auch einmal im Norden, inzwischen aber nur noch in der Ohnsorg-Folklore, ansonsten ist es verlorengegangen, vor allem das mit dem auf-den-Arm-nehmen. Der Kölner hat es sich bewahrt und das, in unterschiedlich starker Ausprägung, durch alle Gesellschaftsschichten. Dafür steht ein Musiker wie Tommy Engel. Und dann kann man so ein Buch auch woanders lesen als in Sülz. Vielleicht fangen wir mal an mit dem Dombau, hier an der Elbe. Bald kommt ja auch Karin Beier.
Tommy Engel
(mit Bernd Imgrund):
Du bes Kölle
[Amazon Partnerlink]
1 Trackback / Pingback