Bei den Deutschen gilt ja der Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt als coolster Vertreter der Generation Ü80, seine geckenhafte Belehrsamkeit gibt Hoffnung, einerseits für die Silversurfer der Republik, die so sein wollen wie er, andererseits für das junge Volk unter 80, das endlich mal gesagt bekommt, wo es langzugehen hat. Über Helmut Schmidts Allwissenheit und Eitelkeit kann man allerorten streiten, vollkommen unstrittig ist, dass sein Thron beträchtlich ins Wackeln gerät, schaut und hört man einem anderen Vertreten dieser Generation zu. Die Rede ist von Paul Kuhn, gerade 85 geworden, der wahrscheinlich das Gerede vom Mann am Klavier, der sein Bier braucht, genauso wenig mehr hören kann wie Helmut Schmidt die Raucherfragen.
Als der Künstler ein junger Mann war, lag die Welt in Trümmern und die Hoffnung und die Musik waren aus Amerika. Und Geld verdienen musste der aufstrebende Jazz-Pianist, der 1953 mit beim ersten deutschen Jazz-Poll nominiert war, auch. Deswegen die Sache mit dem Bier, die sich in die deutsche Musikseele anscheinend so eingebrannt hat. Irgendwann war “Paulchen” dann Leiter der SFB-Bigband und eine Fernsehnase. Eine anderer Kollege der Gründerjahre, der große Schauspieler Harald Juhnke, hat mit ihm Musik gemacht, als so eine Art deutsches Rat-Pack. Noch so ein cooler Typ eben, der sein “Barfuß oder Lackschuh” dem Hedonismus der 80er entgegenschmetterte. Die 80 hat er leider nicht geschafft, der Elegante, der immer Frank Sinatra sein mochte. Paul Kuhn spielt noch immer, auch in seinem Sinne, ist zumindest anzunehmen.
Irgendwann war dann nämlich Schluss mit Show und der Mann am Klavier war wieder da, wo er einmal angefangen hat, beim Jazz. In mehr oder weniger kleinen Combos, mit seinem Schlagzeugerfreund Willy Ketzer, der gerade erst geboren war, als Paul Kuhn seine ersten Jazz-Auszeichnungen bekam. Viele andere jammten mit ihm, auf einer seiner Platten nennt er seine Musiker nur “the Best”. Was wohl ziemlich bezeichnend ist für die entspannte Haltung, die der Mann verströmt, so einer hat eben keine Konkurrenz.
Und immer wieder spielt er im klassischen Jazztrio – Piano, Bass, Drums. Mit den modernen Trios à la EST oder Brad Mehldau hat das alles nichts zu tun, inzwischen ist traditionell, was einmal Avantgarde war, der Lauf der Zeit eben. Das ficht keinen an, denn eines ist bei Paul Kuhn stets sicher: Es swingt. Und zwar in jenem unbedingten Willen, die Dialektik zwischen rhythmischer Unschärfe und exaktem Spiel zum Exzess zu treiben. Dieser “Bounce” springt jederzeit aus jeder Note, ist von glitzernder Eleganz und ist in seiner entspannten Zurückgelehntheit das echte “Cool”.
Auf der aktuellen Platte – man muss in diesem Fall Platte sagen, nicht Compact Disc – ist das nicht anders. Eingespielt in den legendären Capitol-Studios, mit zwei ziemlich amerikanisch klingenden Partnern aus der Diana Krall Band, Jeff Hamilton (d) und John Clayton (b). Die sind genauso abgeklärt wie er und man weiß gar nicht so genau, wer den musikalischen lebensspendenden Drive da eigentlich nach vorne treibt, Bass, Schlagzeug oder die federnden Finger am Klavier. Hamilton ist im Übrigen ein ziemlich filigraner Schlagzeuger, gut zu hören in den fast melodischen Phrasen in “Griff”, einer Hommage an den Tenorsaxophonisten Johnny Griffin, der 2005 gestorben ist. Das kommt Kuhn extrem entgegen, John Clayton ist dazu der federleichte Bass-Spieler, den es braucht, seine Soli sind ebenso ebenbürtige Dialogstellen. Fast möchte man das alte Zitat über das Streichquartett wieder aus der Kiste kramen, ein “Gespräch zwischen intelligenten Leuten”.
“Just in Time” von Jule Styne aus dem Jahr 1960 ist so ein Stück, wo einem die Dialogfetzen zwischen den Dreien nur so um die Ohren fliegen. Der Titel ist fast ein Motto. “No more doubt or fear I’ve found my way” heißt es da im Text – das kann man eigentlich gänzlich unkommentiert so stehen lassen. Die Platte endet mit “As Time Goes By”, ein erklärtes Lieblingsstück des Sängers Paul Kuhn. Da wird die immer noch starke Stimme schon ein bisschen brüchig und seltsam klar, und alle Sentimentalität des 1000fach abgenudelten Klassikers ist da am richtigen Platz.
So kann man das fortführen oder einfach zuhören beim filigranen Triospiel. Ein schönes Geburtstagsgeschenk hat er sich da gemacht, der Paul Kuhn. Congratulations, Mr. Cool!
Paul Kuhn: The L.A. Session
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