Vier Fäuste und kein Halleluja

Im zweiten Teil seiner »Paradies«-Trilogie rechnet der österreichische Autorenfilmer Ulrich Seidl mit der Kirche ab

BWV 225 (Bild: Neue Visio­nen Filmver­leih)

Drei sind ein­er zu viel in ein­er Ehe. Das gilt auch, wenn die dritte Per­son schon seit rund 2000 Jahren tot und nur als Ikone präsent ist, als Heili­gen­bild mit flam­men­dem Herzen über Schreibtisch und Bett. So erlebt es Nabil (Nabil Saleh), Mus­lim und Ehe­mann der erzkatholis­chen Anna-Maria (Maria Hof­stät­ter), als er nach zwei­jährigem Aufen­thalt bei sein­er Fam­i­lie zurück­kehrt in das gemein­same Haus in einem Wiener Vorort.

Denn in Zwis­chen­zeit hat Anna-Maria das Hochzeits­bild auf dem Nacht­tisch gegen ein Porträt ihres himm­lis­chen Bräutigams einge­tauscht und die Muster­pol­ster- und Blüm­chenkachel­hölle mit Kruz­i­fix­en aller Größen und Stil­rich­tun­gen voll­ge­hängt. Freizeit­in­ter­essen? In ihrem Urlaub schleppt Anna-Maria eine “Wan­der­mut­ter­gottes” von Haustür zu Haustür, in Migranten­fam­i­lien und Messie-Haushalte, um den katholis­chen Glauben zurück zu brin­gen nach Öster­re­ich. Sich ausziehen? Nur noch vor und für Jesus. Um sich voll heim­lich­er Erre­gung mit ein­er Led­er­peitsche zu geißeln, als Sühne für die sex­uelle Besessen­heit der anderen.

Ein her­metis­ch­er Kos­mos, in dem der zurück­gekehrte Ehe­mann nur stört. Dass dieser seit einem Unfall quer­schnitts­gelähmt im Roll­stuhl sitzt, erscheint Anna-Maria als Geschenk Gottes, als Glück im Unglück. Schließlich kann ihr ein kör­per­lich der­art eingeschränk­ter Mann nicht mehr sex­uell näher kom­men und lässt sich leicht wegsper­ren. Beina­he so leicht wie der Kater ein­er Bekan­nten aus dem big­ot­ten Gebet­skreis, den Anna-Maria hüten soll und den sie der Ein­fach­heit hal­ber im Trans­portko­rb in der dun­klen Garage lässt. Unauswe­ich­lich, dass nicht nur das Tier zunehmend ver­stört reagiert, son­dern dass auch der pri­vate Reli­gion­skrieg zwis­chen den Eheleuten immer weit­er eskaliert. Bis schließlich alles in Trüm­mern liegt, was ihm und ihr als heilig galt. Vier Fäuste und kein Hal­lelu­ja.

Eine Ver­such­sanord­nung von klöster­lich­er Bek­lem­mung. Rein­lichkeitswahn und Trieb­stau, mit Haar­spray fes­t­be­tonierte Frisuren und karges Früh­stück in der krümel­freien Küche: Jedes Bild erzählt von einem verzweifelt geführten Rück­zugs­ge­fecht, der totale Verzicht auf musikalis­che Unter­malung gibt den Bildern etwas pseu­do-doku­men­tarisches. Wenn der Film von Anna-Marias mis­sion­ar­ischen Aus­flü­gen erzählt, erzeugt er beim Zuschauer einen aus­geprägten Fremd­schäm-Reflex – eine Freak­show, weit schlim­mer als jedes RTL-2-Cast­ing­for­mat. Eben­so klar, dass das Ver­drängte zugle­ich eine unheil­volle Fasz­i­na­tion mit sich bringt. Etwa, als Anna-Maria beim Heimweg durch den dun­klen Park Zeuge ein­er Grup­pen­sex-Orgie in den Büschen wird und sich kaum los­reißen kann.

Ulrich Sei­dl, seit seinem Film “Hund­stage” 2001 ein­er der bekan­ntesten Vertreter eines Kinos eines radikalen und ver­stören­den Real­is­mus, weiß, wovon er erzählt: Selb­st in ein­er streng religiösen Fam­i­lie aufgewach­sen und eigentlich für die Priester­lauf­bahn vorge­se­hen, arbeit­et sich hier sicht­bar an der Big­ot­terie sein­er Kind­heit und Jugend ab. Ein Bilder­stürmer in eigen­er Sache.

Dabei liegt der Geschichte dur­chaus ein span­nen­des Gedanken­spiel zugrunde: Wie ver­führerisch es ist, einen lebendi­gen Men­schen zu erset­zen durch eine gedankliche Pro­jek­tions­fläche. In der unbe­holfe­nen Naiv­ität, in der Anna-Maria ihrem Jesus Liebe­serk­lärun­gen macht (“Mein Leben ist erst voll­ständig gewor­den, seit wir bei­den eine Beziehung miteinan­der haben – du bist so ein schön­er Mann!”) erin­nert sie an einen Teenag­er. So wie auch 13jährige eher keusch unerr­e­ich­bare Pop­stars anhim­meln, als sich auf eine hand­feste Liebelei einzu­lassen.

Und sich bei Liebeskum­mer in Mut­tis Arme wer­fen. Mit der gle­ichen Inbrun­st, in der Anna-Maria vor der Heimorgel ihre Kirchen­lieder singt, in denen viel von himm­lis­chen Vätern und Müt­tern die Rede ist. Dumm nur, dass der Ange­betete nicht antwortet, egal, ob er Justin Bieber heißt oder Jesus von Nazareth. Dass eine der­art kindliche Leben­shal­tung auf die Dauer nicht taugt, um erwach­sene Entschei­dun­gen zu tre­f­fen. Und dass uner­füllte Liebe auch schnell umschla­gen kann in Hass. Als “Reli­gion­shure” beschimpft Nabil seine Frau, aber das trifft es nicht: Anna-Maria ist viel mehr ein Reli­gion­s­groupie, flam­mend in ihrer Verehrung und in ihrer Ent­täuschung gle­icher­maßen.

Das ist in sich schlüs­sig, und berührend ist es stel­len­weise auch. Trotz­dem: Am Ende erstickt das Kirchen-Bash­ing im eige­nen Klis­chee. Denn über­raschend ist hier nichts, im Gegen­teil. Genau wie man von einem Steven-King-Roman den Hor­ror erwarten, der hin­ter amerikanis­chen Vorstadt-Fas­saden lauert, bedi­ent “Paradies: Glaube” sämtliche Vorurteile, die einem als allererstes zur katholis­chen Kirche und zu Öster­re­ich ein­fall­en. Das Land der Frit­zls und der Prik­lop­ils, der neu­ro­tis­chen Trieb­haftigkeit hin­ter klein­bürg­er­lich­er Sauber­mann-Fas­sade – als hät­ten wir’s nicht schon immer gewusst.

Und ver­meintlich pro­vokante Szenen wie Mas­tur­ba­tion mit Kruz­i­fix nimmt man beina­he achselzuck­end zur Ken­nt­nis, schließlich ist nichts so grauen­haft wie die Wirk­lichkeit der Miss­brauchs­fälle unter dem Deck­män­telchen der Näch­sten­liebe. Pädophilie, geile Kardinäle, zer­ris­sene Priester­fam­i­lien – alles schon mal gele­sen, zulet­zt als Titelgeschichte im “Stern”. Sei­dl pflegt seinen Tugend­furor mit umgekehrten Vorze­ichen und ren­nt mit dieser Art der Reli­gion­skri­tik offene Türen ein. Schließlich schreiben wir das Jahr 2013, und diese Denkmuster seit Jahrzehn­ten in intellek­tuellen Kreisen en vogue (zur Erin­nerung: “Gottesvergif­tung”, der bekan­nte Abrech­nungs-Essay des Psy­cho­an­a­lytik­ers Tilmann Moser, erschien bere­its 1976).

Dass der Film bei sein­er Präsen­ta­tion bei den Film­fest­spie­len in Venedig den­noch das Zeug zum Skan­dal hat­te, liegt ein­fach nur daran, dass ultra-kon­ser­v­a­tive Organ­i­sa­tio­nen reflex­haft nach jedem antik­lerikalen Knochen schnap­pen, den man ihnen hin­wirft. Da ist der Blas­phemie-Vor­wurf so sich­er wie das Amen in der Kirche und wenn schon nicht kühl kalkuliert, dann doch gerne in Kauf genom­men.

Und lei­der klafft im Zen­trum des Films eine der­art große Leer­stelle, dass es schw­er ist, den Fig­uren über eine län­gere Strecke nahe zu kom­men. Denn bis zum Schluss ver­weigert Sei­dl beina­he jede Infor­ma­tion über die Vorgeschichte dieses kreuz­zü­g­lerischen Paares. Dabei kön­nte es hier noch richtig inter­es­sant wer­den: Was hat diese christliche Fun­da­men­tal­istin Anna-Maria dazu gebracht, einen Mus­lim zu heirat­en – und ist ihr Fanatismus Folge ihrer Lebenser­fahrung, oder Grund für das Scheit­ern der Ehe? Anders gefragt, wer war zuerst da: Jesus oder Nabil?

Ein grund­sät­zlich­es Prob­lem, wenn Autoren, Filmemach­er oder Kün­stler sich so sehr auf ein The­ma kaprizieren, dass sie dabei ihre Fig­uren aus den Augen ver­lieren. Weil sie eher ein Exem­pel sta­tu­ieren wollen als eine Geschichte erzählen. Im ersten Teil der “Paradies”-Trilo­gie waren es ange­jahrte Sex­touristin­nen als Kro­nzeug­in­nen für den kap­i­tal­is­tis­chen Charak­ter der Erotik, jet­zt die big­otte Sprech­stun­den­hil­fe mit ihrer religiös-neu­ro­tis­chen Lebenslüge. Mal sehen, ob Sei­dl im drit­ten und let­zten Film (“Paradies: Hoff­nung”, Film­start: 16. 5.) mehr Gnade wal­ten lässt.

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