Drei sind einer zu viel in einer Ehe. Das gilt auch, wenn die dritte Person schon seit rund 2000 Jahren tot und nur als Ikone präsent ist, als Heiligenbild mit flammendem Herzen über Schreibtisch und Bett. So erlebt es Nabil (Nabil Saleh), Muslim und Ehemann der erzkatholischen Anna-Maria (Maria Hofstätter), als er nach zweijährigem Aufenthalt bei seiner Familie zurückkehrt in das gemeinsame Haus in einem Wiener Vorort.
Denn in Zwischenzeit hat Anna-Maria das Hochzeitsbild auf dem Nachttisch gegen ein Porträt ihres himmlischen Bräutigams eingetauscht und die Musterpolster- und Blümchenkachelhölle mit Kruzifixen aller Größen und Stilrichtungen vollgehängt. Freizeitinteressen? In ihrem Urlaub schleppt Anna-Maria eine “Wandermuttergottes” von Haustür zu Haustür, in Migrantenfamilien und Messie-Haushalte, um den katholischen Glauben zurück zu bringen nach Österreich. Sich ausziehen? Nur noch vor und für Jesus. Um sich voll heimlicher Erregung mit einer Lederpeitsche zu geißeln, als Sühne für die sexuelle Besessenheit der anderen.
Ein hermetischer Kosmos, in dem der zurückgekehrte Ehemann nur stört. Dass dieser seit einem Unfall querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzt, erscheint Anna-Maria als Geschenk Gottes, als Glück im Unglück. Schließlich kann ihr ein körperlich derart eingeschränkter Mann nicht mehr sexuell näher kommen und lässt sich leicht wegsperren. Beinahe so leicht wie der Kater einer Bekannten aus dem bigotten Gebetskreis, den Anna-Maria hüten soll und den sie der Einfachheit halber im Transportkorb in der dunklen Garage lässt. Unausweichlich, dass nicht nur das Tier zunehmend verstört reagiert, sondern dass auch der private Religionskrieg zwischen den Eheleuten immer weiter eskaliert. Bis schließlich alles in Trümmern liegt, was ihm und ihr als heilig galt. Vier Fäuste und kein Halleluja.
Eine Versuchsanordnung von klösterlicher Beklemmung. Reinlichkeitswahn und Triebstau, mit Haarspray festbetonierte Frisuren und karges Frühstück in der krümelfreien Küche: Jedes Bild erzählt von einem verzweifelt geführten Rückzugsgefecht, der totale Verzicht auf musikalische Untermalung gibt den Bildern etwas pseudo-dokumentarisches. Wenn der Film von Anna-Marias missionarischen Ausflügen erzählt, erzeugt er beim Zuschauer einen ausgeprägten Fremdschäm-Reflex – eine Freakshow, weit schlimmer als jedes RTL-2-Castingformat. Ebenso klar, dass das Verdrängte zugleich eine unheilvolle Faszination mit sich bringt. Etwa, als Anna-Maria beim Heimweg durch den dunklen Park Zeuge einer Gruppensex-Orgie in den Büschen wird und sich kaum losreißen kann.
Ulrich Seidl, seit seinem Film “Hundstage” 2001 einer der bekanntesten Vertreter eines Kinos eines radikalen und verstörenden Realismus, weiß, wovon er erzählt: Selbst in einer streng religiösen Familie aufgewachsen und eigentlich für die Priesterlaufbahn vorgesehen, arbeitet sich hier sichtbar an der Bigotterie seiner Kindheit und Jugend ab. Ein Bilderstürmer in eigener Sache.
Dabei liegt der Geschichte durchaus ein spannendes Gedankenspiel zugrunde: Wie verführerisch es ist, einen lebendigen Menschen zu ersetzen durch eine gedankliche Projektionsfläche. In der unbeholfenen Naivität, in der Anna-Maria ihrem Jesus Liebeserklärungen macht (“Mein Leben ist erst vollständig geworden, seit wir beiden eine Beziehung miteinander haben – du bist so ein schöner Mann!”) erinnert sie an einen Teenager. So wie auch 13jährige eher keusch unerreichbare Popstars anhimmeln, als sich auf eine handfeste Liebelei einzulassen.
Und sich bei Liebeskummer in Muttis Arme werfen. Mit der gleichen Inbrunst, in der Anna-Maria vor der Heimorgel ihre Kirchenlieder singt, in denen viel von himmlischen Vätern und Müttern die Rede ist. Dumm nur, dass der Angebetete nicht antwortet, egal, ob er Justin Bieber heißt oder Jesus von Nazareth. Dass eine derart kindliche Lebenshaltung auf die Dauer nicht taugt, um erwachsene Entscheidungen zu treffen. Und dass unerfüllte Liebe auch schnell umschlagen kann in Hass. Als “Religionshure” beschimpft Nabil seine Frau, aber das trifft es nicht: Anna-Maria ist viel mehr ein Religionsgroupie, flammend in ihrer Verehrung und in ihrer Enttäuschung gleichermaßen.
Das ist in sich schlüssig, und berührend ist es stellenweise auch. Trotzdem: Am Ende erstickt das Kirchen-Bashing im eigenen Klischee. Denn überraschend ist hier nichts, im Gegenteil. Genau wie man von einem Steven-King-Roman den Horror erwarten, der hinter amerikanischen Vorstadt-Fassaden lauert, bedient “Paradies: Glaube” sämtliche Vorurteile, die einem als allererstes zur katholischen Kirche und zu Österreich einfallen. Das Land der Fritzls und der Priklopils, der neurotischen Triebhaftigkeit hinter kleinbürgerlicher Saubermann-Fassade – als hätten wir’s nicht schon immer gewusst.
Und vermeintlich provokante Szenen wie Masturbation mit Kruzifix nimmt man beinahe achselzuckend zur Kenntnis, schließlich ist nichts so grauenhaft wie die Wirklichkeit der Missbrauchsfälle unter dem Deckmäntelchen der Nächstenliebe. Pädophilie, geile Kardinäle, zerrissene Priesterfamilien – alles schon mal gelesen, zuletzt als Titelgeschichte im “Stern”. Seidl pflegt seinen Tugendfuror mit umgekehrten Vorzeichen und rennt mit dieser Art der Religionskritik offene Türen ein. Schließlich schreiben wir das Jahr 2013, und diese Denkmuster seit Jahrzehnten in intellektuellen Kreisen en vogue (zur Erinnerung: “Gottesvergiftung”, der bekannte Abrechnungs-Essay des Psychoanalytikers Tilmann Moser, erschien bereits 1976).
Dass der Film bei seiner Präsentation bei den Filmfestspielen in Venedig dennoch das Zeug zum Skandal hatte, liegt einfach nur daran, dass ultra-konservative Organisationen reflexhaft nach jedem antiklerikalen Knochen schnappen, den man ihnen hinwirft. Da ist der Blasphemie-Vorwurf so sicher wie das Amen in der Kirche und wenn schon nicht kühl kalkuliert, dann doch gerne in Kauf genommen.
Und leider klafft im Zentrum des Films eine derart große Leerstelle, dass es schwer ist, den Figuren über eine längere Strecke nahe zu kommen. Denn bis zum Schluss verweigert Seidl beinahe jede Information über die Vorgeschichte dieses kreuzzüglerischen Paares. Dabei könnte es hier noch richtig interessant werden: Was hat diese christliche Fundamentalistin Anna-Maria dazu gebracht, einen Muslim zu heiraten – und ist ihr Fanatismus Folge ihrer Lebenserfahrung, oder Grund für das Scheitern der Ehe? Anders gefragt, wer war zuerst da: Jesus oder Nabil?
Ein grundsätzliches Problem, wenn Autoren, Filmemacher oder Künstler sich so sehr auf ein Thema kaprizieren, dass sie dabei ihre Figuren aus den Augen verlieren. Weil sie eher ein Exempel statuieren wollen als eine Geschichte erzählen. Im ersten Teil der “Paradies”-Trilogie waren es angejahrte Sextouristinnen als Kronzeuginnen für den kapitalistischen Charakter der Erotik, jetzt die bigotte Sprechstundenhilfe mit ihrer religiös-neurotischen Lebenslüge. Mal sehen, ob Seidl im dritten und letzten Film (“Paradies: Hoffnung”, Filmstart: 16. 5.) mehr Gnade walten lässt.
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