Rauschhafte Verführung

Erfahrungen mit dem Hören und Sehen von Wagners Opern – eine verhaltene Lobrede zu seinem 200.

Rot-Grün (Foto: © Edler von Raben­stein — Fotolia.com)

Wagn­er habe ich mich langsam angenähert. Die erste über­wälti­gende Hör­erfahrung war der Schluß der Göt­ter­däm­merung mit Christa Lud­wig als Brün­hilde und dem Phil­har­monis­chen Staats-Orch­ester Ham­burg unter dem berühmten Wag­n­er-Diri­gen­ten Hans Knap­perts­busch Anfang der 60er Jahre. “Starke Scheite richtet mir auf”, dann ruft sie ihr Roß Grane und reit­et ins Feuer, eine selb­st angerichtete  archais­che Witwen­ver­bren­nung. Die Klang­massen auftür­mende Musik über­wältigte mich der­art, dass ich nicht wußte, wie mir geschah. Ich schwamm im Klang, wurde von ihm davonge­tra­gen, darüber und dazwis­chen die Stimme der Lud­wig. Immer neue Steigerun­gen, bis der Klang wie eine Riesen­welle über mir zusam­men­schlug und ich nach Luft schnappte.

Es war über­wälti­gend, ich fühlte mich aus­geliefert. Was war mit mir geschehen? Als Mit­tel der Ernüchterung las ich Theodor W.Adornos Ver­such über Wag­n­er. Was ich davon ver­stand, war die War­nung vor dem Rauschhaften und vor der Ver­her­rlichung des Nichti­gen, vor ein­er hei­d­nis­chen Remythisierung. “Die wahre Idee der Oper, die des Trostes, vor dem die Pforten der Unter­welt sich öff­nen, ist ver­lorenge­gan­gen.”

Hinzu kam Wag­n­ers dik­ta­to­ri­ales Gehabe und sein Spott über die Juden. Den jüdis­chen Diri­gen­ten Her­mann Levi, der die Urauf­führung des Parzi­val leit­en sollte, demütigte er auf schlimm­ste Weise, legte ihm nahe, sich vorher taufen zu lassen. Erst ein­mal wollte ich deswe­gen nichts mehr hören von dem Bayreuther Gesamtkün­stler, der nicht nur anti­semi­tisch getönte Schriften ver­fasst, son­dern dessen rauschhafte Musik den deutschen Weg in den schreck­lichen Weltkrieg und die Ver­nich­tung der europäis­chen Juden begleit­et hat­te.

Aber dann ich ließ mich Mitte der 60 er Jahre von einem guten Fre­und überre­den und ging mit ihm in eine Auf­führung  der Meis­tersinger von Nürn­berg in der Ham­bur­gis­chen Staat­sop­er. Und ich kon­nte mir nicht helfen, mir gefiel die Oper  schon von der ersten Szene an–  in der Kirche erklingt ein Gemein­de­choral, der Johannes den Täufer zum The­ma hat, “Edler Täufer, Christs Vor­läufer, nimmt uns gnädig an, dort am Fluss Jor­dan.” Zwei junge Men­schen, Eva und Walther von Stolz­ing, wech­seln während der Liturgie heftige Blicke und ver­lieben sich, das sprach mich an (war ich doch sel­ber zu dieser Zeit frisch ver­liebt).

Ich wurde verza­ubert von der Szene, in der Hans Sachs über den Zusam­men­hang von Flieder­duft, Liebesge­fühl und Gesang nach­denkt: “Wie duftet doch der Flieder so mild, so stark, so voll. Mir löst es weich die Glieder, will, dass ich was sagen soll.“ Der Johan­nistagjubel der Lehrbuben, das Ständ­chen Beckmessers, dann der Aus­bruch der Aggres­sion unter den Handw­erk­ern, die fugierte Prügel­szene in den Gassen Nürn­bergs, bis noch mal der Nachtwächter auf­taucht, dessen Horn­ruf  alles beruhigt, “hört ihr Leut und lasst euch sagen” — es war wun­der­bar.

Die Gestalt des sprich­wörtlich gewor­de­nen Beckmess­er als Judenkarikatur zu sehen, sich­er, da war was dran. Aber die Komik seines von den Ham­mer­schlä­gen Hans Sach­sens  gestörten Liedes war doch ein wun­der­bar­er Ein­fall. Sachs Wah­n­monolog mit dem tiefen Blick in die Eit­elkeit des Lebens. Stolz­ings Preis­lied mit der Ver­söh­nung von griechis­chem Par­nass und christlichem Paradies. Und schließlich die Fes­t­wiese mit den poli­tisch leicht mis­szudeu­ten­den Worten Sachs: “Ver­achtet mir die Meis­ter nicht und ehret ihre Kun­st“, der Attacke  auf welschen Dun­st, und dann: ” Zerg­ing in Dun­st das heilge röm‘sche Reich, uns bleibe gle­ich die heil‘ge deutsche Kun­st.“

Sich­er, eine Abw­er­tung  eines anderes Volkes, aber auch eine Vision, nach der die Gesellschaft auf einem gemein­samem Kun­stver­ständ­nis auf­bauen müsse. Eine ein­deutige  Behaup­tung des Vor­rangs der Kun­st vor der Poli­tik. Trotz­dem wurde die Oper poli­tisch benutzt und mißbraucht, Hitler liess sie anläßlich der Parteitage in Nürn­berg und im Krieg vor ver­wun­de­ten Sol­dat­en spie­len. Auch nach dem Krieg wurde sie staat­stra­gend einge­set­zt, etwa zur Wieder­eröff­nung zer­störter Opern­häuser. Das war mir bewußt, aber es war es in diesem Moment nicht so wichtig. Ich ging nach Hause, erfüllt von ein­er heit­eren Hand­lung und ein­er dif­feren­zierten Musik, schwärmte mein­er Fre­undin bei einem Mond­scheinspazier­gang im Jenis­ch­park etwas vor, trällerte  “Der Vogel, der da sang, dem war der Schn­abel hold gewach­sen,” sowie “Lenzes Gebot, süße Not” und wurde zur Beloh­nung geküßt.

Vierzig Jahre später insze­nierte Peter Kon­witschny die Meis­tersinger  in dem gle­ichen Opern­haus. Die Fes­t­wiese sah hyper-idyl­lisch aus, allerd­ings bre­it­ete sie sich aus vor einem Prospekt des zer­bombten Nürn­berg.  Als die Auf­führung  an die Stelle mit den deutschen Meis­tern und welschem Tand kam, unter­brach der Diri­gent Ingo Met­z­mach­er sein Diri­gat und wandte sich direkt ans Pub­likum, in dem er diese Worte hin­ter­fragte. Ein Affront für viele Wag­ne­r­i­an­er. Für mich eine gelun­gene Unter­brechung. Ich hat­te in der Zwis­chen­zeit einige neue Erfahrun­gen mit Wag­n­ers Musik gemacht. In der Stuttgarter Oper hat­te ich in den 60er Jahren einige Insze­nierun­gen von Wieland Wag­n­er gese­hen, der mit den real­is­tis­chen Kostümin­sze­nierun­gen aufräumte und dank Lichtregie die See­len­re­gun­gen darzustellen ver­suchte.

Ein­mal war ich sog­ar bei den Bayreuther Fest­spie­len. Nor­maler­weise musste man Jahre warten, bis man in den Genuß der begehrten Tick­ets kam. Ich hat­te Glück, ich  bekam 1978 Pressekarten über die Frank­furter Hefte, für die ich damals regelmäßig Kom­mentare und  Artikel schrieb. Also lieh ich mir den Smok­ing meines Brud­ers aus und fuhr nach Bayreuth, quartierte mich im Hotel zur Post ein und ging mor­gens zu den Vorträ­gen über die musik­drama­tis­chen Werke, die ich nach­mit­tags sehen sollte: ich fühlte mich wie ein­er, der in die Mys­te­rien der Wag­n­er­schen Musik eingewei­ht wird.

Ich lernte einiges über die Leit­mo­tivik Wag­n­ers, in gewiss­er Weise ist der Zuhör­er durch sie weit­er als der Pro­tag­o­nist auf der Bühne. Ertönt ein Motiv, weist es auf Schick­sal­haftes voraus. Dann zu Mit­tag essen, sich fes­tlich anziehen, zum grü­nen Hügel pil­gern, wo auch die Promi­nenz vor­fährt. Es waren Fest­spiele wie im antiken Griechen­land zu Ehren eines Gottes, eine Unter­brechung des All­t­ags, Gottes­di­enst im ursprünglichen Sinne, Wei­h­es­piele, nicht Musik­the­ater wie son­st, wo man nach anstren­gen­der Beruf­stätigkeit abends noch schnell in die Oper het­zt und in der Mitte des 1. Aktes ein­schläft …

Die Sitze  im Fest­spiel­haus sind unbe­quem und angesichts der Länge der Wag­n­er-Opern ist auch die Sitz-Leis­tung des Zuschauers nicht zu ver­acht­en. Magisch der Moment, wenn die ersten Tak­te aus dem verdeck­ten Orch­ester­graben erklin­gen. Ich sah den Ring des Nibelun­gen in der berühmten Insze­nierung von Patrice Chere­au, musikalisch geleit­et von Pierre Boulez, eine bildge­waltige Para­bel auf den Auf­stieg des indus­triellen Kap­i­tal­is­mus und sein Prof­it­streben. Und dann der Parzi­val, das Büh­nen­wei­h­fest­spiel, für mich als The­olo­gen auch eine inhaltliche Her­aus­forderung mit der kun­stre­ligiösen Gral­side­olo­gie  und der anstößi­gen Formel “Erlö­sung dem Erlös­er”.

Aber das Vor­spiel, jene selt­sam verklin­gen­den nach­hal­len­den Klang­fol­gen, als habe die Musik einen “Astralleib”(Adorno), der Kar­fre­itagsza­uber, Kling­sors Garten mit den Blu­men­mäd­chen, das war schon raf­finierte Ver­führung, der ich mich schw­er  entziehen kon­nte. So viele Ein­drücke in diesen Bayreuther Tagen, dass ich anschließend nichts zu Papi­er brachte. Bayreuth ist bis heute Gegen­stand heftiger Kon­tro­ver­sen. Die von der Fam­i­lie Wag­n­er, beson­ders dem Patri­archen Wolf­gang, ver­wal­teten Fest­spiele ver­weigerten sich jahrzehn­te­lang der Aufar­beitung der poli­tis­chen Ver­strick­un­gen. Ob es mit seinen Töchtern, die nun in der Ver­ant­wor­tung ste­hen, anders wird, ist unklar.

Den Tris­tan ent­deck­te ich später,  nach der Poli­tisierung von 1968 und nach eige­nen Liebe­sent­täuschun­gen. “Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schön­sten aller Träume noch ein Denkmal set­zen, in dem von Anfang bis zum Ende die Liebe sich ein­mal so recht sät­ti­gen soll: ich habe im Kopfe Tris­tan und Isol­de ent­wor­fen, die ein­fach­ste aber voll­blütig­ste musikalis­che Kom­po­si­tion;“ schreibt Wag­n­er 1854 pathetisch an Liszt.

Gemein­sam ver­fluchen Tris­tan und Isol­de im 2. Akt den Tag, feiern die Nacht der Welt-Entrück­ung: “Dem Tage, dem Tage/ dem tück­ischen Tage/ dem härtesten Feinde/ Hass und Klage”. Wie in Novalis Hym­nen an die Nacht, die wohl das Vor­bild für den eksta­tis­chen Nacht­ge­sang der Lieben­den abgegeben haben, sehnen sie sich zur heili­gen Nacht als ein­er neuen Form der Offen­barung: “Frau Minne will, es werde Nacht.”

Das ist die Rück­nahme des bib­lis­chen “Es werde Licht” aus der priester­lichen Schöp­fungs­geschichte, das Haydn in seinem Ora­to­ri­um Die Schöp­fung so großar­tig gestal­tet hat. Es ist darüber hin­aus die Rück­nahme des Lichtgedankens der Aufk­lärung. Die musikalis­che Beschrei­bung von Chaos und Lichtschöp­fung war schon bei Haydn mehr als nat­u­ral­is­tis­che Malerei — sie war in Töne geset­zte philosophis­che Hoff­nung auf eine bessere Welt. Diese Welt versinkt bei Wag­n­er, dem nachrev­o­lu­tionären Kom­pon­is­ten. Die ungelösten Wider­sprüche der Welt des Tags sollen aufge­hoben wer­den im Mys­teri­um der Liebesnacht: “O sink hernieder, Nacht der Liebe, gib vergessen, daß ich lebe …” Ein solch­es Pro­jekt muss mißlin­gen.

In der Ham­burg­er Tris­tan-Insze­nierung von Ruth Berghaus wird diese Ent­frem­dung szenisch überzeu­gend zum Aus­druck gebracht – die bei­den Lieben­den ste­hen einan­der abge­wandt in ein­er gewalti­gen Indus­trie-Tur­bine, die in ein­er kalt-wüsten­haften Land­schaft aufragt. Wir wis­sen, wie die Geschichte von Tris­tan und Isol­de endet. Tris­tan, in ver­rä­ter­isch­er Liebe ent­deckt, wird im Zweikampf ver­wun­det, mit ein­er Wunde, die nicht heilen will. Er siecht dahin, in Fieberträu­men. Isol­de darf endlich den Ver­ban­nten auf­suchen, zu spät, er stirbt in ihren Armen. Sie selb­st stirbt den Liebestod, stirbt dem toten Geliebten nach, indem sie sich der Weise des Sehn­suchtsmo­tivs ein­ver­leibt, die so wun­der­voll und leise won­nekla­gend ertönt. Sie schre­it­et, gleit­et hinüber in des “Welt-Atems wehen­dem All.”

Die langsame Steigerung von Isol­des Ster­bege­sang kommt zu ihrem Höhep­unkt auf diesem Wort Welt-Atem; der wogende Schall, der tönende Schall wird musikalis­ches Ereig­nis, wird noch ein­mal uner­hört schön­er Klan­grausch, indem Stimme und Orch­ester sich aussin­gen, um dann langsam zu versinken, zu ver­löschen — auf dem gehal­te­nen Wort Lust  “Mit der schwarzen Flagge, die am Ende weht, will ich mich dann zudeck­en, um zu ster­ben.” Wag­n­ers pate­htis­ch­er Satz klingt in mir nach

Wag­n­ers Wirkung in der musikalis­chen Welt ist unge­brochen. Das Event-Mar­ket­ing anlässlich von Wag­n­ers  200. Geburt­stag am 22. Mai 2013 läuft über­all auf vollen Touren, am inten­sivsten in Deutsch­land, das nach wie vor die meis­ten Opern­häuser der Welt betreibt. In Ham­burg begin­nt der Wag­n­er-Wahn mit 10 Wag­n­er-Opern  im April und Mai. Ein gross­er Luxus für eine kleine Schicht von  Bun­des­bürg­ern, meine Wenigkeit gehört dazu, aber  auch die Bun­deskan­z­lerin, die Bayreuth jedes Jahr mit ihrem Besuch beehrt. Die von Wag­n­er angestrebte Ästhetisierung der Gesellschaft, Kun­st statt Poli­tik, im Som­mer auf dem Grü­nen Hügel, find­et sie sozusagen schon mal statt. Danach wieder: pol­i­tics as usu­al.

 

 

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