Wie verfilmt man eine Geschichte, in deren Mitte eine riesige Leerstelle klafft? In der es um eine Liebe geht, die sich in ihrer Besessenheit zunehmend verselbständigt? Eine Geschichte, deren Hauptfigur, der geheimnisvolle Millionär und Partylöwe Jay Gatsby, über lange Zeit ein schillernder Spiegel für die Sehnsüchte und den Neid seiner Mitmenschen bleibt? “Der große Gatsby” von F. Scott Fitzgerald ist auch fast 90 Jahre nach seinem Erscheinen noch immer eine der Great American Novels: nicht, weil das Buch ein Sittenporträt der 20er Jahre zeichnet, sondern wegen seiner zeitlos bösen Geschichte von menschlichen Projektionen. Sicherlich ein Grund, warum sich Regisseure jeder Generation daran abarbeiten: Jay Gatsby und seine unerreichbare Geliebte Daisy Buchanan sind Figuren wie Leinwände, auf die jeder seinen eigenen Film projizieren kann. Eine Steilvorlage fürs Kino.
Dass der australische Regisseur Baz Luhrmann den Tanz der Bilder so virtuos beherrscht wie nur wenige andere, dafür hätte es nach “Romeo und Julia” (1996) und “Moulin Rouge” (2001) eigentlich keines Beweises mehr bedurft – er liefert ihn trotzdem, zeitgemäß in 3D. Völlig anders als der Emporkömmling Jay Gatsby schämt sich diese Art von Kino nicht für seine Herkunft: Luhrmann knüpft mit modernen Mitteln an die Anfangszeit der Bewegten Bilder an, als Filme nicht als Hochkultur galten, sondern als Rummelplatzattraktion. Wer in den 70er Jahren Kind war, erinnert sich vielleicht auch noch an die Anfänge des 3‑D-Kinos, ebenfalls in kuppelförmigen Zelten zwischen Riesenrad und Zuckerwattestand: dicht gedrängte Menschenmassen mit Rotgrün-Brillen, die alle gemeinsam das Gleichgewicht verloren, wenn der Zug von der Leinwand scheinbar auf sie zuraste.
Bei Luhrman bekommt der Raum Dimensionen, die zur Gigantomanie der Gatsby-Geschichte passen: “Bigger than life” rasen Schneeflocken in Richtung Zuschauer, stürzt der Blick in die neu entstehenden Häuserschluchten Manhattans, spielen schwarze Saxophonisten auf roten Feuertreppen. Ikonographische Bilder, viele davon eins zu eins aus dem Roman übernommen. Das abbröckelnde Riesen-Werbeschild eines Optikers in der Nähe einer Kohlenhalde, ein gigantisches Paar Augen hinter einer Brille, bekommt auf der Leinwand eine nahezu metaphysische Dimension: Als wäre hier ein ebenso allmächtiger wie mitleidloser Gott anwesend, unter dessen leerem Blick die Personen ins Verderben rasen. Dabei macht die Tiefe des Raumes das Geschehen nicht etwa lebensechter, im Gegenteil: Wenn Gatsby (Leonardo diCaprio) Daisy (Carey Mulligan) nachts im Park zwischen uralten Bäumen trifft, sieht das aus, als bewegten sich die beiden zwischen Hightech-Schiebekulissen. Störend? Kein bisschen: Derart theatralisches Kino braucht keinen unnötigen Realismus.
So passt es auch ins Bild, dass diese Ausstattungsorgie sich lässig über penible historische Korrektheit hinwegsetzt: Ob die Designer-Roben der Frauenfiguren wirklich originalgetreu so verarbeitet sind wie in den 20er Jahren – who cares? Hauptsache, sie sehen mit ihren stromlinienförmigen Häubchen und Koteletten aus, als wären sie einem Gemälde von Tamara de Lempicka entsprungen. Wie ein Puzzleteil passt auch der eklektizistische Soundtrack dazu, vom Original-Jazz der Prohibitionszeit bis zum zeitgenössischen Retrosound mit der Stimme von Lana del Rey.
Damit ist “Der große Gatsby” auch ein Kommentar zur Popkultur unseres Jahrzehnts: eine Collage aus Samples, Zitaten, Remixes. Selbst die altmodische Kommunikationstechnik im Film scheint auf DSL-Geschwindigkeit zu laufen: Derart häufig wird der Titelheld an den altmodischen Fernsprechapparat gerufen, als bekäme er laufend Push-Nachrichten vom Smartphone.
Ach ja: Die Bilder, der Ton, das Tempo – es könnte alles so schön sein. Wenn da nicht zwei Kleinigkeiten wären: die Menschen. Die Geschichte. Denn wie schon in seinen früheren Filmen reicht es Baz Luhrmann ja nicht, ein Feuerwerk abzubrennen – es soll auf der großen Leinwand auch um große Gefühle gehen. Und genau da beginnt das Problem: Wo so ein Höchstmaß an Künstlichkeit, an Oberfläche, an Show herrscht, da nimmt man es den Figuren schwer ab, dass sie nicht nur einen begehbaren Kleiderschrank und einen Fuhrpark haben. Sondern auch ein Herz. Deshalb wirken die emotionalen Szenen immer ein wenig so, als würde ein Top-Designer im Vogue-Interview plötzlich über seine schwierige Kindheit sprechen: seltsam deplatziert, beinahe zum Fremdschämen.
An den Schauspielern liegt das nicht: Der ewige Titanic-Posterboy Leonardo di Caprio spielt den verliebten Millionär Gatsby mit Wärme und Verve, Joel Edgerton gibt Daisys Ehemann ein herrlich schmieriges Gesicht, Tobey Maguires jungenhaftes Auftreten passt bestens zum schüchternen Erzähler Nick Carraway, und Carey Mulligan – nun ja: Eine hohle Nuss zu spielen, das ist eine ganz eigene Leistung.
Trotzdem: Wenn sich in der zweiten Hälfte des Films das Drama zuspitzt – die verwöhnte Daisy denkt überhaupt nicht daran, ihren wohlhabenden Mann für ihre Jugendliebe Gatsby zu verlassen –, dann ist man schon so auf Tempo, Action, Krawall gebürstet, dass man dem Kammerspiel eher unbeteiligt folgt.
Auf der Leinwand wird fotogen geheult, im Saal bleiben alle Augen trocken. Ernst ist das Leben, heiter die Kunst, Überschneidungen selten. Anrührend sind allenfalls jene Liebeserklärungen, die nach Zalando-Werbespot klingen und nicht nach Shakespeare. Wenn Daisy Jay Gatsby für seinen schönen Hemden lobt und für seine Eleganz – dann ist sie in ihrer Oberflächlichkeit ganz bei sich.
Aber vielleicht ist diese Art von lebensnaher Liebesgeschichte auch einfach unverfilmbar: Wie bringt man eine Person auf die Leinwand, die in der eigenen Erinnerung und Phantasie zu einem Bild reinster Liebe geworden ist, während sie in Wirklichkeit bloß dekorativ im Prada-Fummel herumsteht? Am ehesten spürbar wird diese romantisch überhöhte Sehnsucht in den Momenten, in denen Daisy gar nicht im Bild ist. In denen Gatsby über die Bucht hinüberblickt zum grünen Positionslicht auf Daisys und Toms Bootssteg. Der Rest ist: Lärm, Zirkus, Feuerwerk und jede Menge coole Klamotten. Immerhin: nicht die schlechtesten Voraussetzungen für einen unterhaltsamen Abend.
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