Sie finden die Wahl zum Kotzen? Ne, das finde ich ’ne völlig okaye (!) Information. Ja, die FDP ist raus, steht hier in der BILD. Möchten Sie das singen vielleicht? Ich meine, die Nachrichten müssen ja raus aus Ihrem Körper. Vielleicht machen Sie mal ’ne Transformationsparty. Nachrichten singen und tanzen oder so? Nein, nicht?”
Schauspieler Daniel Lommatzsch schwitzt. Er steckt in einer Telefonzelle im Seitenfoyer des Thalia Theaters, und als wäre das nicht schon beengend genug, hat man ihn in einen Fatsuit gepackt. Warum, wird nicht klar, aber das macht ja nichts. Lommatzsch hat Telefondienst. Sein Job besteht darin, zufällig Nummern aus dem Telefonbuch zu suchen und die Menschen, die er erreicht, dazu zu bewegen, die Informationen aus den Nachrichten in Energie umzuwandeln.
“Telefonation” heißt das im Übersichtsplan, den man beim Eintritt ins Thalia Theater überreicht bekommt. Die offensichtlich ältere Dame am anderen Ende der Leitung will die Nachrichten zwar nicht tanzen, freut sich aber über Abwechslung und telefoniert ambitioniert. Vielleicht ist das das Theater der Zukunft. Eine Art Telefondienst am Volk gegen Einsamkeit und Isolation. Ganz gleich, das Zuhören ist durchaus amüsant.
Im Mittelrangfoyer klappt das mit der Transformation von Informationen in Energie zumindest bei der Schauspielerin im silbrigen Ganzkörperbody. Sie tanzt Schlagworte aus den Nachrichten im Aerobic-Rhythmus. “Syrienkonflikt! Syrienkonflikt! … Fünf, sechs, sieben acht! Giftgas! Giftgas! Und eins …!” Das umstehende Publikum hält Weingläser in der Hand und grinst. Immerhin eine Dame macht begeistert mit. Eine schlechte Quote, denn diverse Statistinnen im Overall sind um Publikumsanimation bemüht. Aber das will nicht so richtig. Man ist eben doch im Theater und nicht auf der “Mein Schiff 2”. Warm wird es im Foyer trotzdem. Also doch Energie.
Zwei Orte des Experiments, für das Nicolas Stemann mit seinem vielköpfigen Schauspielensemble, Musikern, Malern, Philosophen und Wissenschaftlern das Thalia-Foyer in Ausnahmezustand versetzt. Hier werden Nachrichten vorgelesen, als Chanson vertont, es gibt eine Diskursecke, und als Krönung sind die Medienvertreter vor Ort und filmen. So schließt sich der Kreis. Die Informationen kommen hinein und wieder heraus aus der Wirklichkeitsmaschine. Stemann ist begeistert. Und der Gedanke hat durchaus seinen Reiz.
Nach zwei Stunden dürfen alle schließlich doch in den Zuschauerraum. Projiziert auf den eisernen Vorhang erzählt das Ensemble des Abends von dem Experiment, die Nachrichten real werden zu lassen. Ein Schauspieler hört Nachrichten über Kopfhörer und erzählt sie dem Publikum. Beim Bericht über den Einsatz eines UN-Hubschraubers fliegt ein ferngesteuerter Spielzeughubschrauber über die Bühne, der Propellerlärm aus den Boxen ist ohrenbetäubend.
Als das gesamte Ensemble verschiedene Nachrichten zeitgleich erzählt, die Gleichzeitigkeit der Informationen zu einem vielstimmigen Brei wird, lassen sich nur noch einzelne Informationen erahnen. Man hört den Satz “In China gilt Hundefleisch als Delikatesse”, und schon darf eine Hundestatisterie die Bühne bevölkern. Reizende junge Damen mit Hundemasken und in schwarz-rot-goldenen Paillettentrikots auf allen Vieren, die andere Nachrichten grimmig ankläffen, wenn die Überhand nehmen. Auf Leinwand sehen wir einen Flugzeugabsturz, und weil die Außenrealität inzwischen längst das Thalia Theater übernommen hat, dürfen die Schauspieler den Bühnentod sterben, während “Sunday Bloody Sunday” von U2 läuft.
Das Ende ist ein wiederauferstandenes Ensemble, das Konfetti streut, während eine Mischung aus Elch und Mickey Maus “Dreams of my Reality” singt, und die schwarz-rot-goldenen Hundedamen tanzen. Von der Leinwand spricht ein erschöpfter Schauspieler, sie seien immer so müde gewesen während des Experiments. All diese Nachrichten, die Wirklichkeit wurden – das hält ja auch wirklich keiner aus. “Es ist nicht wichtig, ob die Wirklichkeitsmaschine existieren kann,” sagt einer auf der Leinwand. “Die Wirklichkeitsmaschine hat kein Ergebnis.” Leider muss man dem zustimmen. Der Impetus ist klar. Die Nachrichten überrollen uns schon mal, und schön ist die Wirklichkeit meistens nicht. Das ist eine etwas dünne Erkenntnis für einen fünftägigen Ausnahmezustand. Aber so ist das nun mal mit Experimenten. Man weiß vorher nie um ihren Ausgang.
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