Nachdem noch vor einigen Wochen – Anfang bis Mitte November – so heiß diskutiert wurde, ist jetzt erst mal Ruhe eingekehrt. Das Erschrecken war groß, als man gleich nach dem spektakulären “Münchner Bilderfund” die deutsche Geschichte wieder einmal verarbeiten musste: Das Thema NS-Vergangenheit lässt das Land nicht los, und nun trifft es den Kunstbereich – ein neues Feld interessanter, unaufbereiteter Entdeckungen.
Schwelte es doch Jahrzehnte unter diversen Deckmäntelchen, dass sich in hiesigen Museen noch Dutzende Werke in den Sammlungen und Kellern befinden, deren Provenienz nicht hinreichend geklärt ist – so kam es auch im Fall Cornelius Gurlitt zum Tragen, dass erst einmal unter dem Mantel der Verschwiegenheit recherchiert werden wollte. Damit nicht sofort die Öffentlichkeit aufschreit, als Gurlitts Wohnung im Februar 2012 durchsucht wird. Trotzdem schreit sie nun, die Öffentlichkeit, berechtigterweise.
Denn nicht die Tatsache, dass so viele Kunstwerke noch immer nicht den Weg zu ihren eigentlichen – rechtmäßigen – Besitzern gefunden haben, ist erschreckend, sondern vielmehr die Vorgehensweise in diesen Fällen. Zahlreiche der rund 1400 Bilder, die in der Münchner Wohnung des 80-Jährigen gefunden wurden, sollen aus Raubzügen der Nationalsozialisten stammen.
So wird Herr Gurlitt beispielhaft zum Sündenbock der jahrzehntelangen, unbedachten Aufarbeitung sensibler Enteigungsvorfälle während des Zweiten Weltkriegs stilisiert. Pure Entrüstung wird vorgeschoben: Wie kann es nur sein, dass ein Mann so lange in Münchens feinem Bohème-Viertel Schwabing unbemerkt mit diesen hochkarätigen Bildern leben konnte? Dabei ist es nur ein geringer Teil, der den Zusatz “besonders wertvoll” erhält.
Weitaus unverständlicher ist meines Erachtens die unfassbar unsensible Bezeichnung “Taskforce” – in der englischen Militärsprache steht diese Vokabel für Einsatzverband, die amerikanische Navy nutzte diesen Begriff für ihre maritimen Einsatzkräfte und Kampfgruppen im Zweiten Weltkrieg.
Hier kümmern sich nun nationale und internationale Experten – gnädigerweise werden auch zwei Experten der Jewish Claims Conference und ein Experte der israelischen Holocaust Era Asset Restitution Taskforce (Project HEART) hinzugezogen – um den “Schwabinger Kunstfund”.
Wieder einmal geht es um Recht und Moral, um den Umgang mit der Schuldfrage – doch vielleicht sollte man sich fragen, was die deutsche Realität letztlich ausmacht. Daher müssen sich Verantwortliche – also Staatsanwälte, Museumsdirektoren, Kultusminister oder Sonderbeauftragte etwa – verlässlich dazu äußern, was in den “Lost Art”-Registern noch nachzuholen ist.
Denn dies ist die offizielle deutsche Datenbank zur Dokumentation von Raub- und Beutekunst, an die sich nur die wenigsten Museen bisher herangewagt haben – aus Unsicherheit, Unwissen oder weil sie ganz einfach die Werke selbst behalten wollen. Das Ganze ist keine Task-Force, sondern bislang eher eine Farce mit wildem Durcheinander und zu langer Zurückhaltung, aufgeheizt mit temporär überbordendem Interesse sowohl deutscher als auch amerikanischer Medien unter dem Gesichtspunkt „historisches Interesse“.
So entstehen noch weitere Fehler, verursacht durch Inkompetenz und Geheimniskrämerei – das wirkt gegenwärtig äußerst rückständig und unzeitgemäß.
Beschäftigen wird es das Kompetenz-Team über Jahre hinaus, denn die Fragen sind auch nicht ganz einfach zu klären: Was macht den Geldwert der Einzelobjekte aus? Was ist ihre kunsthistorische Bedeutung? Welche der Werke stammen aus NS-Raubzügen? Auf was für einer Rechtsgrundlage basiert die Abholung sämtlicher Bilder aus Gurlitts Wohnung? Und was ist nun mit den Ansprüchen? Was ist verjährt? Tauchen fehlende Dokumente wieder auf?
Ein frommer Wunsch, nicht nur zu Weihnachten: Mehr Transparenz, Durchhaltevermögen und ein Hauch gesunder Menschenverstand in Sachen Provenienzforschung.
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