Like to be a Landei

Das Hanse Song Festival 2014

Macht doch mal die Fen­ster auf, denn: Next Stop Hori­zon (Foto: Hen­ning Anger­er)

Nach diesem – was war das eigentlich? – kurzen Win­ter blüht nun schon wieder allmäh­lich die Lust auf die kom­mende Fes­ti­val­sai­son auf, zum Ein­stieg fan­gen wir aber doch mal klein, fein und lieber in geschlosse­nen Räu­men an, der Juni ist ja doch noch weit.

Als Wieder­hol­ungstäter besucht­en wir am ver­gan­genen Sam­stag das Hanse Song Fes­ti­val in Stade, das dieses Jahr zum drit­ten Mal in der kleinen Hans­es­tadt vom Ham­burg­er Tapete Label ver­anstal­tet wurde. Die große  Stadt kaum hin­ter uns gelassen, gibt erwartet uns die wohltuende Fest­stel­lung: Hier hat sich seit dem let­zten Jahr nicht viel verän­dert.

Durch die Gäss­chen der Alt­stadt ziehen wieder kleine und größere Grüp­pchen, von jung bis alt, zwis­chen den fünf Spielorten umher. In diesem Jahr ist noch ein neuer Raum im Landgericht  hinzuge­won­nen wor­den. 850 Zuschauer zählte der Ver­anstal­ter in diesem Jahr, und es war somit erneut ausverkauft.

Aber, dass es dieses Jahr mehr Besuch­er gewor­den sind, fällt einem gar nicht so sehr auf. Stade ist ja in Ham­burgs Süden und hat schon ein­mal die Restau­rant-Tis­che vor die Tür gestellt. Das lässt schon fast mediter­ranes Flair aufkom­men. Wie wan­del­bar diese Stadt doch ist!

Vor genau einem Jahr war sie noch ein verträumter Win­terort und dieses Jahr gibt sie sich als mediter­rane Hafen­stadt. Das beson­dere des Hanse Song Fes­ti­vals scheint die sym­pa­this­che Gelassen­heit aller Beteiligten. Man wird schon am Ein­lass fre­undlich willkom­men geheißen, und an jedem Ein­gang zu den Spielorten bekommt man ein Lächeln und ein her­zlich­es “Danke” zurück, wenn man sein Ein­lass­bänd­chen vorzeigt.

Musikalisch scheint dieser Abend ganz unter dem Zeichen der sin­gen­den und Gitarre-spie­len­den Män­ner zu ste­hen. Ob allein, oder in Zweier bis Vier­er-Kon­stel­la­tio­nen beherrschen sie die Büh­nen. Ins­ge­samt standen 15 Kün­stler und Bands auf dem Pro­gramm, darunter aber nur eine Solokün­st­lerin. Anson­sten waren die weib­lichen Musik­erin­nen nur als Teil ein­er Band vertreten.

Zu dieser mehrheitlichen Gruppe zählt auch Chris­t­ian Kjel­l­van­der, der in  der St. Wil­ha­di Kirche vor den gut gefüll­ten Kirchen­bänken mit einem Begleit­er spielt. Sein jüng­stes Album “The Pitch­er” hat der Schwede in ein­er Kirche auf dem Land aufgenom­men. So fühlen sich diese Songs hier in Stade auch qua­si schon zuhause. Es sind ein­deutig Kjel­l­van­der-Fans anwe­send,  denen die neuen Stücke schon bekan­nt sind, denn “The Val­ley“wird schon bei den ersten Tönen mit Jubel­rufen emp­fan­gen. Aber sicher­lich wird er nach dieser Show auch einige neue Fans hinzuge­won­nen haben, die er durch seine tiefe, warme Stimme in seinen Bann ziehen kon­nte.

Die bei­den jun­gen Män­ner der Band Fotos scheinen auch genau zu wis­sen, wie man ein Landgericht richtig beschallt, näm­lich mit Songs die von Schuld und Angst han­deln. Da verzei­ht man schon auch mal einen kleinen Tex­thänger wie bei dem Stück “On the run”, der ein­fach char­mant mit “La las” über­spielt wird. Wahrschein­lich ist es  ein­fach die ang­ste­in­flößende Aura des Raumes, die dazu führt, dass man sich ein­fach auch mal in seinem Vor­trag ver­haspelt.

Etwas gelöster geht es dafür im Königs­mar­ckssaal zu, bei einem – man kann schon sagen — alten Hasen der deutschen Musik­szene. Michel van Dyke betritt, nach ein­er Band­phase mit Ruben Cos­sani, nun wieder als Solokün­stler die Bühne. Er  hat dafür zwei Mit­musik­er nach Stade geholt, die ihn an Schlagzeug und Kon­tra­bass unter­stützen. “Der Ver­anstal­ter hat gesagt, es soll aber keine Rock­show wer­den” erzählt er von der Bühne herunter und set­zt sich sogle­ich an den Flügel, um ein neues Stück von seinem noch unveröf­fentlicht­en Soloal­bum zu spie­len. Er weiß, wie man eingängige Pop­songs schreibt, doch wahrschein­lich sind ger­ade die neuen Stücke dann doch noch zu unbekan­nt, als dass sie die Leute zum län­geren Ver­weilen ein­laden wür­den.

So geht es dann auch bald weit­er zur ein­er kleinen Stip­pvis­ite in den Schwe­den­spe­ich­er. Obwohl dieser nur einen Katzen­sprung von den anderen Orten ent­fer­nt ist, wirkt er doch etwas abgeschnit­ten vom übri­gen Geschehen. Es  haben sich auch nur wenige Zuhör­er bei dem Auftritt von Grand Open­ing einge­fun­den. Wir schnup­pern auch nur kurz rein, was diese Dreier-Kon­stel­la­tion um John Roger Olson aus Stock­holm dar­bi­etet. Was er dort unter seinem Hut her­vorza­ubert, sind schöne, aber sehr melan­cholisch-düstere Songs.

Auch schwedisch, aber von der etwas heit­eren Sorte, geht es dann in der Sem­i­nar­turn­halle weit­er. Der dort fol­gende Pro­gramm­punkt Next Stop: Hori­zon präsen­tiert sich mit frisch veröf­fentlichter Plat­te dem Pub­likum in Stade. Die vierköp­fige Band, beste­hend aus zwei Män­nern und zwei Frauen, bietet an diesem schmuck­en Ort eine mitreißende Show.

Sie vere­inen in ihren Songs ein buntes Sam­mel­suri­um an musikalis­chen Stilen, der von Blues bis Folk reicht. Und vor allem die mehrstim­mig intonierten Pas­sagen, die von den weib­lichen Stim­men getra­gen wer­den, erin­nern schon ein­mal an Soul alter Schule.

Wenn es eine offizielle Hymne für das Hanse Song Fes­ti­val 2014 geben sollte dann sollte an dieser Stelle der gle­ich­namige Titel­track des aktuellen Albums “The Har­bour, My Home” nominiert wer­den — “Meet me by the lines oft he har­bour …”!

Dieses wun­der­bare Konz­ert muss aber den­noch bere­its vor seinem Ende ver­lassen wer­den, um wieder einen guten Platz im Königs­mar­ckssaal zu ergat­tern. Denn jet­zt ste­ht endlich, ganz allein, eine weib­liche Musik­erin im Mit­telpunkt, näm­lich die aus­tralis­che Wahlber­lin­ern Kat Frankie.

Sie set­zt sich sogle­ich an den Flügel und begrüßt die Zuhör­er “Ich werde jet­zt für euch ein paar deprim­ierende Lieder spie­len” – das Gelächter im Pub­likum kon­tert sie mit ern­ster Miene: “I’m not jok­ing”. Und sie begin­nt ihr Set mit Lied “Peo­ple”, das wahrlich deprim­ierend, aber auch ganz wun­der­schön ist.

Danach ent­fal­tet sie ihre ganze musikalis­che Kun­st, die das Pub­likum ins Staunen ver­set­zt. Diese Frau braucht keine Band und keine Instru­mente, son­dern nur ihre Stimme, ein Mikro­fon und eine Loop-Mas­chine. So schichtet sie nach und nach komis­che Laute, Schnipser, Klopfer, Klatsch­er und Gesumme ver­schieden­er Ton­höhen übere­inan­der. Auf diesen Klangtep­pich legt sie  zum Schluss ihren Gesang.

Und wenn man die Augen schließt, kön­nte man meinen, dass dort auf ein­mal eine voll­ständi­ge Band mit­samt mehrstim­migem Chor auf der Bühne ste­hen würde. Die Zuhör­er im Saal sind tief beein­druckt, wir sind es auch. Und nach dem Konz­ert vern­immt man mehrfach staunende Worte, dass man so etwas noch nie gese­hen habe, hier in Stade, und auch ander­swo, vielle­icht nicht.

Nach ihrer Zugabe eilen wir schnell zurück ins Landgericht, wo Honig schon auf der Bühne, oder sollte man eher sagen “vor dem Kadi”, ste­hen. Doch lei­der kom­men wir dafür etwas zu spät, und der Raum ist schon so über­füllt, dass man sich mit einem Platz vor der Tür beg­nü­gen muss. Aus dem kleinen Saal drin­gen die Töne ihres heim­lichen Hits “For Those Lost At Sea” – auch wahrlich ein “Hanse Song” –  in das Foy­er, wo man es sich schon auf Liegestühlen bequem gemacht hat.

Gegenüber in der St. Wil­ha­di Kirche, ste­ht bere­its Luka Bloom allein mit sein­er Gitarre vor dem Altar. Die Bänke sind auch hier wieder gut gefüllt, wobei man hier eher ein älteres Pub­likum erblick­en kann, Luka Bloom ist ja auch an diesem Abend auch der älteste Musik­er im Pro­gramm.

Allerd­ings ist der Ire bei einem Fes­ti­val, bei dem die Songs im Mit­telpunkt ste­hen, genau richtig aufge­hoben. Er ist ein wahrer Geschicht­en­erzäh­ler, der die Pausen zwis­chen seinen Songs mit Anek­doten zu seinen Liedern zu schmück­en weiß. So erzählt er zum Beispiel, dass er aus eigen­er Erfahrung weiß, wie es sich anfühlt in ein­er Stadt wie Stade aufzuwach­sen, mit ein­er Großs­tadt direkt vor der Nase und meint, “I know what it’s like to be a Lan­dei”. Und selb­stver­ständlich hat er darüber auch mit “I’m a Bog­man” einen Song geschrieben.

In der Sem­i­nar­turn­halle erwartet man kurz darauf schon den let­zten Pro­gramm­punkt des Abends. Vielle­icht erwarten aber einige auch schon die fol­gende After­show-Par­ty, denn was auf der Bühne passiert, wird nicht mehr von allen Anwe­senden wahrgenom­men. Es wer­den schon eifrig Gespräche an der Bar geführt und die Erleb­nisse des Abends resümiert.

Als dann die vier Mit­glieder der The Soft Hills aus Seat­tle die Bühne betreten, kön­nen sie die Menge nicht mehr so wirk­lich mitreißen. Ein Zuschauer lässt  bei ihrem Anblick die – zugegeben­er­maßen passende – Bemerkung fall­en “Jet­zt spielt auch noch das Lehrerkol­legium”. Dieser Pro­gramm­punkt war von den Ver­anstal­tern nicht wirk­lich geschickt gelegt, der Applaus nach den Stück­en fällt dementsprechend zurück­hal­tend aus.

Die Band hätte einen anderen Rah­men ver­di­ent, mit ein­er weniger lästi­gen Geräuschkulisse und aufmerk­sameren Zuhör­ern. Die Musik ist auch nicht eingängig genug, und es fehlt der Band an Büh­nen­präsenz, um hier noch das Rud­er umreißen zu kön­nen. Und man möchte den vier jun­gen Män­nern in diesem Moment irgend­wie mit­teilen, dass das hier nicht immer so ist und dass sie doch gerne noch ein­mal wiederkom­men mögen.

Dass es auch zu dieser späten Uhrzeit noch möglich ist, dankbare Zuhör­er zu find­en, beweist dann aber noch ein­mal Luka Bloom.

Da er bere­its angekündigt hat­te, dass er nicht für 36 Stun­den nach Stade kom­men kann, nur um dann 45 Minuten auf der Bühne zu ste­hen, zieht er sein Konz­ert noch ein wenig in die Länge. Es ist mit­tler­weile schon 23:15 Uhr, als er seine Zugabe spielt – ohne Ver­stärkung beschallt er das anson­sten mucksmäuschen­stille Kirchen­schiff. Aus. See you next year!

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