Nach diesem – was war das eigentlich? – kurzen Winter blüht nun schon wieder allmählich die Lust auf die kommende Festivalsaison auf, zum Einstieg fangen wir aber doch mal klein, fein und lieber in geschlossenen Räumen an, der Juni ist ja doch noch weit.
Als Wiederholungstäter besuchten wir am vergangenen Samstag das Hanse Song Festival in Stade, das dieses Jahr zum dritten Mal in der kleinen Hansestadt vom Hamburger Tapete Label veranstaltet wurde. Die große Stadt kaum hinter uns gelassen, gibt erwartet uns die wohltuende Feststellung: Hier hat sich seit dem letzten Jahr nicht viel verändert.
Durch die Gässchen der Altstadt ziehen wieder kleine und größere Grüppchen, von jung bis alt, zwischen den fünf Spielorten umher. In diesem Jahr ist noch ein neuer Raum im Landgericht hinzugewonnen worden. 850 Zuschauer zählte der Veranstalter in diesem Jahr, und es war somit erneut ausverkauft.
Aber, dass es dieses Jahr mehr Besucher geworden sind, fällt einem gar nicht so sehr auf. Stade ist ja in Hamburgs Süden und hat schon einmal die Restaurant-Tische vor die Tür gestellt. Das lässt schon fast mediterranes Flair aufkommen. Wie wandelbar diese Stadt doch ist!
Vor genau einem Jahr war sie noch ein verträumter Winterort und dieses Jahr gibt sie sich als mediterrane Hafenstadt. Das besondere des Hanse Song Festivals scheint die sympathische Gelassenheit aller Beteiligten. Man wird schon am Einlass freundlich willkommen geheißen, und an jedem Eingang zu den Spielorten bekommt man ein Lächeln und ein herzliches “Danke” zurück, wenn man sein Einlassbändchen vorzeigt.
Musikalisch scheint dieser Abend ganz unter dem Zeichen der singenden und Gitarre-spielenden Männer zu stehen. Ob allein, oder in Zweier bis Vierer-Konstellationen beherrschen sie die Bühnen. Insgesamt standen 15 Künstler und Bands auf dem Programm, darunter aber nur eine Solokünstlerin. Ansonsten waren die weiblichen Musikerinnen nur als Teil einer Band vertreten.
Zu dieser mehrheitlichen Gruppe zählt auch Christian Kjellvander, der in der St. Wilhadi Kirche vor den gut gefüllten Kirchenbänken mit einem Begleiter spielt. Sein jüngstes Album “The Pitcher” hat der Schwede in einer Kirche auf dem Land aufgenommen. So fühlen sich diese Songs hier in Stade auch quasi schon zuhause. Es sind eindeutig Kjellvander-Fans anwesend, denen die neuen Stücke schon bekannt sind, denn “The Valley“wird schon bei den ersten Tönen mit Jubelrufen empfangen. Aber sicherlich wird er nach dieser Show auch einige neue Fans hinzugewonnen haben, die er durch seine tiefe, warme Stimme in seinen Bann ziehen konnte.
Die beiden jungen Männer der Band Fotos scheinen auch genau zu wissen, wie man ein Landgericht richtig beschallt, nämlich mit Songs die von Schuld und Angst handeln. Da verzeiht man schon auch mal einen kleinen Texthänger wie bei dem Stück “On the run”, der einfach charmant mit “La las” überspielt wird. Wahrscheinlich ist es einfach die angsteinflößende Aura des Raumes, die dazu führt, dass man sich einfach auch mal in seinem Vortrag verhaspelt.
Etwas gelöster geht es dafür im Königsmarckssaal zu, bei einem – man kann schon sagen — alten Hasen der deutschen Musikszene. Michel van Dyke betritt, nach einer Bandphase mit Ruben Cossani, nun wieder als Solokünstler die Bühne. Er hat dafür zwei Mitmusiker nach Stade geholt, die ihn an Schlagzeug und Kontrabass unterstützen. “Der Veranstalter hat gesagt, es soll aber keine Rockshow werden” erzählt er von der Bühne herunter und setzt sich sogleich an den Flügel, um ein neues Stück von seinem noch unveröffentlichten Soloalbum zu spielen. Er weiß, wie man eingängige Popsongs schreibt, doch wahrscheinlich sind gerade die neuen Stücke dann doch noch zu unbekannt, als dass sie die Leute zum längeren Verweilen einladen würden.
So geht es dann auch bald weiter zur einer kleinen Stippvisite in den Schwedenspeicher. Obwohl dieser nur einen Katzensprung von den anderen Orten entfernt ist, wirkt er doch etwas abgeschnitten vom übrigen Geschehen. Es haben sich auch nur wenige Zuhörer bei dem Auftritt von Grand Opening eingefunden. Wir schnuppern auch nur kurz rein, was diese Dreier-Konstellation um John Roger Olson aus Stockholm darbietet. Was er dort unter seinem Hut hervorzaubert, sind schöne, aber sehr melancholisch-düstere Songs.
Auch schwedisch, aber von der etwas heiteren Sorte, geht es dann in der Seminarturnhalle weiter. Der dort folgende Programmpunkt Next Stop: Horizon präsentiert sich mit frisch veröffentlichter Platte dem Publikum in Stade. Die vierköpfige Band, bestehend aus zwei Männern und zwei Frauen, bietet an diesem schmucken Ort eine mitreißende Show.
Sie vereinen in ihren Songs ein buntes Sammelsurium an musikalischen Stilen, der von Blues bis Folk reicht. Und vor allem die mehrstimmig intonierten Passagen, die von den weiblichen Stimmen getragen werden, erinnern schon einmal an Soul alter Schule.
Wenn es eine offizielle Hymne für das Hanse Song Festival 2014 geben sollte dann sollte an dieser Stelle der gleichnamige Titeltrack des aktuellen Albums “The Harbour, My Home” nominiert werden — “Meet me by the lines oft he harbour …”!
Dieses wunderbare Konzert muss aber dennoch bereits vor seinem Ende verlassen werden, um wieder einen guten Platz im Königsmarckssaal zu ergattern. Denn jetzt steht endlich, ganz allein, eine weibliche Musikerin im Mittelpunkt, nämlich die australische Wahlberlinern Kat Frankie.
Sie setzt sich sogleich an den Flügel und begrüßt die Zuhörer “Ich werde jetzt für euch ein paar deprimierende Lieder spielen” – das Gelächter im Publikum kontert sie mit ernster Miene: “I’m not joking”. Und sie beginnt ihr Set mit Lied “People”, das wahrlich deprimierend, aber auch ganz wunderschön ist.
Danach entfaltet sie ihre ganze musikalische Kunst, die das Publikum ins Staunen versetzt. Diese Frau braucht keine Band und keine Instrumente, sondern nur ihre Stimme, ein Mikrofon und eine Loop-Maschine. So schichtet sie nach und nach komische Laute, Schnipser, Klopfer, Klatscher und Gesumme verschiedener Tonhöhen übereinander. Auf diesen Klangteppich legt sie zum Schluss ihren Gesang.
Und wenn man die Augen schließt, könnte man meinen, dass dort auf einmal eine vollständige Band mitsamt mehrstimmigem Chor auf der Bühne stehen würde. Die Zuhörer im Saal sind tief beeindruckt, wir sind es auch. Und nach dem Konzert vernimmt man mehrfach staunende Worte, dass man so etwas noch nie gesehen habe, hier in Stade, und auch anderswo, vielleicht nicht.
Nach ihrer Zugabe eilen wir schnell zurück ins Landgericht, wo Honig schon auf der Bühne, oder sollte man eher sagen “vor dem Kadi”, stehen. Doch leider kommen wir dafür etwas zu spät, und der Raum ist schon so überfüllt, dass man sich mit einem Platz vor der Tür begnügen muss. Aus dem kleinen Saal dringen die Töne ihres heimlichen Hits “For Those Lost At Sea” – auch wahrlich ein “Hanse Song” – in das Foyer, wo man es sich schon auf Liegestühlen bequem gemacht hat.
Gegenüber in der St. Wilhadi Kirche, steht bereits Luka Bloom allein mit seiner Gitarre vor dem Altar. Die Bänke sind auch hier wieder gut gefüllt, wobei man hier eher ein älteres Publikum erblicken kann, Luka Bloom ist ja auch an diesem Abend auch der älteste Musiker im Programm.
Allerdings ist der Ire bei einem Festival, bei dem die Songs im Mittelpunkt stehen, genau richtig aufgehoben. Er ist ein wahrer Geschichtenerzähler, der die Pausen zwischen seinen Songs mit Anekdoten zu seinen Liedern zu schmücken weiß. So erzählt er zum Beispiel, dass er aus eigener Erfahrung weiß, wie es sich anfühlt in einer Stadt wie Stade aufzuwachsen, mit einer Großstadt direkt vor der Nase und meint, “I know what it’s like to be a Landei”. Und selbstverständlich hat er darüber auch mit “I’m a Bogman” einen Song geschrieben.
In der Seminarturnhalle erwartet man kurz darauf schon den letzten Programmpunkt des Abends. Vielleicht erwarten aber einige auch schon die folgende Aftershow-Party, denn was auf der Bühne passiert, wird nicht mehr von allen Anwesenden wahrgenommen. Es werden schon eifrig Gespräche an der Bar geführt und die Erlebnisse des Abends resümiert.
Als dann die vier Mitglieder der The Soft Hills aus Seattle die Bühne betreten, können sie die Menge nicht mehr so wirklich mitreißen. Ein Zuschauer lässt bei ihrem Anblick die – zugegebenermaßen passende – Bemerkung fallen “Jetzt spielt auch noch das Lehrerkollegium”. Dieser Programmpunkt war von den Veranstaltern nicht wirklich geschickt gelegt, der Applaus nach den Stücken fällt dementsprechend zurückhaltend aus.
Die Band hätte einen anderen Rahmen verdient, mit einer weniger lästigen Geräuschkulisse und aufmerksameren Zuhörern. Die Musik ist auch nicht eingängig genug, und es fehlt der Band an Bühnenpräsenz, um hier noch das Ruder umreißen zu können. Und man möchte den vier jungen Männern in diesem Moment irgendwie mitteilen, dass das hier nicht immer so ist und dass sie doch gerne noch einmal wiederkommen mögen.
Dass es auch zu dieser späten Uhrzeit noch möglich ist, dankbare Zuhörer zu finden, beweist dann aber noch einmal Luka Bloom.
Da er bereits angekündigt hatte, dass er nicht für 36 Stunden nach Stade kommen kann, nur um dann 45 Minuten auf der Bühne zu stehen, zieht er sein Konzert noch ein wenig in die Länge. Es ist mittlerweile schon 23:15 Uhr, als er seine Zugabe spielt – ohne Verstärkung beschallt er das ansonsten mucksmäuschenstille Kirchenschiff. Aus. See you next year!
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