Bene-Diktum: Hoffnungsbilder

Das Licht (Bild: Wikipedia)
Das Licht (Bild: Wikimedia Commons)
Das Licht (Bild: Wiki­me­dia Commons)

In Carl Phil­ip Ema­nu­el Bachs Ora­to­ri­um Auf­er­ste­hung und Him­mel­fahrt Chris­ti, sein 300. Geburts­tag wird gera­de in Ham­burg began­gen, singt der Chor: »Tri­umph, Tri­umph, des Herrn Gesalb­ter sieg­te, er steigt aus sei­ner Fel­sen­gruft. Tri­umph, Tri­umph, ein Chor von Engeln flie­get mit lau­tem Jubel durch die Luft«. Es macht Freu­de, das zu singen.

Die Auf­er­ste­hung Jesu als kos­mi­sches Ereig­nis – gefei­ert im Bild, man den­ke an Meis­ter Grü­ne­walds leuch­ten­den Auf­er­stan­de­nen, in den Wor­ten Paul Ger­hardts »Auf, auf, mein Herz, mit Freu­den« und in der Musik von C. P. E. Bach. Ästhe­tisch las­sen wir uns die Auf­er­ste­hung gefal­len, freu­en uns an den Wor­ten und Klän­gen, die die Über­win­dung des Todes­schick­sals fei­ern, las­sen uns von dem Jubel anstecken.

Als christ­lich Distan­zier­ter kann man Ostern als ein schö­nes Fest des Lebens fei­ern, mit vie­len Oster­ei­ern, Lamm­bra­ten und Nar­zis­sen, dazu mit Goe­thes Oster­spa­zier­gang eine welt­li­che Aus­le­gung genie­ßen – »sie fei­ern die Auf­er­ste­hung des Herrn, denn sie sind sel­ber auf­er­stan­den« – aus der dump­fen Enge der Kir­chen und Gas­sen in die freie, sich bele­ben­de Natur.

Die mit der Auf­er­ste­hung Chris­ti geschil­der­te Über­win­dung des Todes bleibt selbst für über­zeug­te Chris­ten eine Grenz­aus­sa­ge. Kön­nen sie das Unge­heu­re des Oster­glau­bens dem Nach­barn oder dem Betriebs­kol­le­gen so aus­le­gen, dass die­se sie nicht für supra­na­tu­ra­lis­tisch ein­ge­stell­te Spin­ner hal­ten müs­sen? Wir wis­sen, dass wir ster­ben müs­sen. Was danach kommt, wis­sen wir nicht.

Wenn der Pas­tor am Gra­be sagt: »Jesus Chris­tus spricht: Ich bin die Auf­er­ste­hung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben ob er gleich stür­be … Jesus Chris­tus wird dich auf­er­we­cken am Jüngs­ten Tage«, so for­mu­liert er eine unbe­weis­ba­re Hoff­nung. Ande­re wür­den sagen: einen illu­sio­nä­ren Trost. An die­ser Kri­tik ist etwas rich­tig erfasst.

Denn die Fra­ge ist ja: Zu wem in wel­cher Situa­ti­on ist die­ser Trost gesagt? Zu den Eltern, die ihr sie­ben­jäh­ri­ges Kind durch einen Ver­kehrs­un­fall ver­lo­ren haben? Bei der Trau­er­fei­er eines Unter­neh­mens­chefs, der 75jährig nach einem erfüll­ten Arbeits­le­ben heim­ge­gan­gen ist? Oder bei der 90jährigen Rent­ne­rin, die alters­ver­wirrt in einem Heim stirbt?

Anders gefragt: Soll denn für die, deren Leben all­zu früh abge­bro­chen wur­de, kei­ne Hoff­nung sein? Und soll für den­je­ni­gen, der sein Leben bis zur Nei­ge aus­ge­kos­tet hat, oft auf Kos­ten ande­rer, die­se Exis­tenz ins Jen­seits ver­län­gert werden?

Die Auf­er­ste­hungs­bot­schaft beinhal­tet die Fra­ge: Glaubst du an ein Leben nach dem Tode? In der Regel umge­hen auch bekann­te Theo­lo­gen die­se Fra­ge, Doro­thee Söl­le hat sich als eine der weni­gen Theo­lo­gin­nen per­sön­lich dazu geäußert.

Sie hat die Fra­ge ver­än­dert: Sie glau­be an das Leben, das nach ihrem Tode wei­ter­geht, an Gerech­tig­keit und Frie­den, die irgend­wann lan­ge nach ihrem Tod ein­mal sein wer­den. Aber: »Ich glau­be nicht an eine indi­vi­du­el­le Fort­exis­tenz. Ich möch­te auch nicht in die Lage kom­men, dar­an glau­ben zu müs­sen. Ich emp­fin­de das wie eine Krü­cke des Glau­bens, aber eigent­lich soll­ten wir ja gehen lernen.«

Söl­le möch­te den Tod als Teil des Lebens akzep­tie­ren, sich damit aus­söh­nen, in den Kreis­lauf der Erde zurück­zu­keh­ren. Ver­gäng­lich­keit und Lie­be gehö­ren zusam­men. »Die Annah­me des Todes ist nicht Ver­leug­nung sei­nes Schmer­zes, sei­ner Uner­träg­lich­keit, aber es ist ein Ver­such ihn ein­zu­be­zie­hen in den Rhyth­mus des geschaf­fe­nen Lebens.«

So kann sie sagen, sie wol­le im Tod ein Trop­fen im Meer der Lie­be Got­tes wer­den. Das genü­ge ihr. Das fin­de ich ehr­lich und sym­pa­thisch, und ich fra­ge trotzdem:

Wie kann man heu­te von der Auf­er­ste­hung reden?

Da sind ers­tens bibli­sche und poe­ti­sche Trost­bil­der von einem Leben nach dem Tode. Zwei­tens gibt es die prä­sen­ti­sche Deu­tung des Auf­er­ste­hungs­ge­sche­hens, drit­tens schließ­lich die apo­ka­lyp­ti­sche Hoff­nung auf die Wie­der­brin­gung der sinn­los Gemordeten.

Poe­ti­sche Hoff­nungs­bil­der las­sen in ihrer bild­haf­ten Rede­wei­se erken­nen, dass sie Trost sein wol­len: »Oft, denk ich, sie sind nur aus­ge­gan­gen, bald wer­den sie wie­der nach Hau­se gelan­gen«, so heißt es bei Fried­rich Rück­ert in den Kin­der­to­ten­lie­dern. 1834 waren die bei­den ein­zi­gen Kin­der Rück­erts und sei­ner Frau wäh­rend einer Schar­lach-Epi­de­mie gestor­ben. Und er fährt fort: »Sie sind uns nur vor­aus­ge­gan­gen. Wir holen sie ein auf jenen Höhen im Sonnenschein.«

Das ist kei­ne Dog­ma­tik, son­dern poe­ti­sche Trost­pre­digt. Unter dem Ver­lust eines gelieb­ten Men­schen Lei­den­de sagen wohl auch: Es ist, als wäre er/​sie nur kurz weg­ge­gan­gen. Natür­lich wis­sen wir: Der Ver­stor­be­ne hat uns für immer ver­las­sen, er wird nicht wie­der kom­men. Und doch trös­ten wir uns mit dem, es ist als wäre es so.

Und wir trös­ten uns mit der Hoff­nung des Wie­der­se­hens. In dem Gedicht Nicht mutig macht die Dich­te­rin Marie-Lui­se Kaschnitz die Fra­ge nach der indi­vi­du­el­len Fort­exis­tenz zu einer des Mutes, mit der Men­schen der End­lich­keit des Lebens begegnen.

Die Muti­gen wissen
Daß sie nicht auferstehen
Daß kein Fleisch um sie wächst
Am jüngs­ten Morgen.
Daß sie nicht mehr erinnern
Nie­man­dem wie­der begegnen
Daß nichts ihrer wartet
Kei­ne Seligkeit
Kei­ne Folter
Ich bin nicht mutig

Ich bin nicht mutig, anders gesagt: Ich bin trost­be­dürf­tig, ich brau­che die Krü­cke der Glau­bens­hoff­nung. Mutig der Ver­gäng­lich­keit ins Auge sehen, das kann nicht jeder. Aber auch hier gibt es ein Hoff­nungs­bild. Denn wir Men­schen wis­sen um unse­re Ver­gäng­lich­keit, unser Geist tran­szen­diert das Vor­find­li­che, geht in die­ser Welt nicht auf.

Da ist der alte, schön for­mu­lier­te Gedan­ke Augus­tins: »Unser Herz ist unru­hig, bis es ruht in dir, Gott.« Der Mensch weiß um sei­nen Tod, aber auch um sei­ne gött­li­che Bestim­mung. Er kommt von dem Einen und wie­der will wie­der dahin, selbst wenn ihm die­se Bestim­mung im Getrie­be des Lebens ver­lo­ren geht.

Zwei­tens die prä­sen­ti­sche Deu­tung der Auf­er­ste­hung. Die theo­lo­gi­sche Kri­tik der Geschich­ten vom lee­ren Grab ist nicht zu wider­le­gen. Das, was in den Oster­ge­schich­ten dar­ge­stellt ist, das Sehen des Auf­er­stan­de­nen, hat kei­ne his­to­ri­sche Qualität.

Tat­säch­lich aber bewegt die Auf­er­ste­hung Jesu vor allem zur Auf­er­ste­hung mit­ten im Leben; Auf­er­ste­hung ist eine Lebens­pra­xis. Chris­tus ist in die­ser Sicht nicht der ein­zi­ge Auf­er­stan­de­ne, son­dern der Anfüh­rer einer Auf­er­ste­hungs­be­we­gung. Auf­er­ste­hung geschieht über­all dort, wo Men­schen sich dem Leben in die Arme werfen.

Die­se Kraft ist erfahr­bar in klei­nen all­täg­li­chen Hei­lungs- und Glücks­er­fah­run­gen. Sie ist wirk­sam in sozia­len Bewe­gun­gen für Frie­den und Gerech­tig­keit, sie lebt in Basis­ge­mein­den und Akti­ons­grup­pen. Die Hun­ger­tü­cher latein­ame­ri­ka­ni­scher christ­li­cher Künst­ler wis­sen von die­ser Auf­er­ste­hung in Soli­da­ri­tät und Pro­test zu berichten.

Auf­ste­hen und Auf­er­ste­hen sind im Grie­chi­schen das­sel­be Wort. Auf­stand für das Leben, hieß es in der Frie­dens­be­we­gung. Sich gegen die von Men­schen gemach­ten, tod­brin­gen­den Mäch­te ein­set­zen, in die­sem Sinn steht Chris­tus immer neu in das Leben auf.

Aller­dings ist mit die­ser lebens­prak­tisch ori­en­tier­ten Auf­er­ste­hungs­deu­tung nicht alles gesagt. Es gibt zuviel sinn­lo­ses Lei­den, das durch die gegen­warts­ori­en­tier­te Deu­tung von Auf­er­ste­hung nicht erfasst wird.

Hier setzt das apo­ka­lyp­ti­sche Auf­er­ste­hungs­ver­ständ­nis an: Auf­er­ste­hung meint Hoff­nung für die sinn­los Gemor­de­ten, für die wie Chris­tus Gemar­ter­ten und zu Tode Gequäl­ten, für die Kin­der, die in Krie­gen und Kata­stro­phen lei­den und ster­ben muss­ten. Was ist mit ihnen?

Muss der tote Chris­tus ihnen, so die schreck­li­che Visi­on des Jean Paul, vom Welt­ge­bäu­de her­ab sagen, dass kein Gott, kein lie­ben­der Vater sei, und wir alle Wai­sen sind, dass es kei­ne Auf­er­ste­hung gibt?

Mit der apo­ka­lyp­ti­schen Auf­er­ste­hungs­bot­schaft wird die Fra­ge gestellt, ob die Geschich­te abge­schlos­sen ist. Ich erin­ne­re an den Ter­ror­an­schlag auf das World Trade Cen­ter in New York. Die Tür­me stürz­ten ein, begru­ben 3000 Men­schen unter sich. Inzwi­schen sind die Trüm­mer weg­räumt. Wo die Tür­me stan­den, sind zwei qua­dra­ti­sche Becken ent­stan­den, in die Was­ser fließt dar­un­ter sind die Namen der Toten verzeichnet.

Gebäu­de kann man wie­der errich­ten, sogar schö­ner und gewal­ti­ger als die­je­ni­gen, die zer­stört wur­den – dank des Behar­rungs­ver­mö­gens und der Kraft der in ihr leben­den Menschen.

Was aber ist mit den Men­schen, die in ihnen leb­ten, die in der Zer­stö­rung auf oft schreck­li­che Wei­se zu Tode kamen? Gibt es eine Hoff­nung auf Wie­der­her­stel­lung, auf Wie­der­gut­ma­chung des den sinn­los Gemor­de­ten ange­ta­nen Unrechts? Der nüch­ter­ne Betrach­ter muss zunächst sagen: Nein.

Denn das ver­gan­ge­ne Unrecht ist gesche­hen und abge­schlos­sen; die Erschla­ge­nen und Ver­brann­ten sind wirk­lich erschla­gen und ver­brannt. Doch die theo­lo­gi­sche Betrach­tung der Geschich­te fin­det sich mit die­ser Deu­tung nicht ab. In reli­giö­sen Bil­dern ent­steht der ver­we­ge­ne Gedan­ke der Auferstehung.

Zuerst in einer Visi­on des Pro­phe­ten Eze­chi­el – er sieht zunächst ein wei­tes Feld, auf dem Toten­ge­bei­ne lie­gen, dann aber, wie Seh­nen und Fleisch auf den Gebei­nen wach­sen, wie sich Haut auf ihnen bil­det und schließ­lich der Lebens­geist, Got­tes Odem, aus allen vier Wind­rich­tun­gen in sie fährt und sie wie­der leben­dig wer­den. »Sie stan­den auf, heißt es, eine rie­si­ge Men­schen­men­ge«.

Aus dem Toten­feld der Geschich­te wird Kraft des Geis­tes Got­tes und der visio­nä­ren Bega­bung des Men­schen die Spie­gel­schrift des Gegen­teils; wird Auferstehung.

Im Geschick Jesu wird dann die­se Hoff­nung zum zen­tra­len Heils­ge­sche­hen. Der Gekreu­zig­te und schmach­voll zu Tode Gequäl­te wird von Gott aus der Gewalt des Todes befreit und wie­der zum Leben erweckt. Und der Apos­tel Pau­lus führt die­se Hoff­nung dann wei­ter mit dem Satz: »Wir, die wir uns zu die­sem Jesus beken­nen, wer­den am Ende der Zei­ten auch ver­wan­delt wer­den und auferstehen.«

Der Kern die­ser reli­giö­sen Hoff­nungs­bil­der auf Auf­er­ste­hung ist also nicht ein­fach das Wei­ter­le­ben nach dem Tode, son­dern die Bot­schaft: Die Geschich­te ist für die zu Tode Gemar­ter­ten nicht abgeschlossen.

Es gibt für sie eine Wie­der­her­stel­lung, die nur in ver­we­ge­nen Hoff­nungs­bil­dern, im Gedicht, in einer Visi­on aus­sag­bar ist, Auf­er­ste­hungs­glau­be ist kein spe­ku­la­ti­ves Wis­sen. Wal­ter Ben­ja­mins »Engel der Geschich­te« sieht mit weit auf­ge­ris­se­nen Augen, wie die Kata­stro­phe, die die Mensch­heits­ge­schich­te oft ist, sich vor ihm auf­türmt, denn: »Er möch­te wohl ver­wei­len und das Zer­schla­ge­ne zusammenfügen.«

Aber es gelingt nicht, weil ein Wind ihn unauf­halt­sam in die Zukunft treibt. Doch die Kunst kann die­sem Wind zumin­dest für Augen­bli­cke standhalten.

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