In Carl Philip Emanuel Bachs Oratorium Auferstehung und Himmelfahrt Christi, sein 300. Geburtstag wird gerade in Hamburg begangen, singt der Chor: “Triumph, Triumph, des Herrn Gesalbter siegte, er steigt aus seiner Felsengruft. Triumph, Triumph, ein Chor von Engeln flieget mit lautem Jubel durch die Luft”. Es macht Freude, das zu singen.
Die Auferstehung Jesu als kosmisches Ereignis – gefeiert im Bild, man denke an Meister Grünewalds leuchtenden Auferstandenen, in den Worten Paul Gerhardts “Auf, auf, mein Herz, mit Freuden” und in der Musik von C. P. E. Bach. Ästhetisch lassen wir uns die Auferstehung gefallen, freuen uns an den Worten und Klängen, die die Überwindung des Todesschicksals feiern, lassen uns von dem Jubel anstecken.
Als christlich Distanzierter kann man Ostern als ein schönes Fest des Lebens feiern, mit vielen Ostereiern, Lammbraten und Narzissen, dazu mit Goethes Osterspaziergang eine weltliche Auslegung genießen – “sie feiern die Auferstehung des Herrn, denn sie sind selber auferstanden” – aus der dumpfen Enge der Kirchen und Gassen in die freie, sich belebende Natur.
Die mit der Auferstehung Christi geschilderte Überwindung des Todes bleibt selbst für überzeugte Christen eine Grenzaussage. Können sie das Ungeheure des Osterglaubens dem Nachbarn oder dem Betriebskollegen so auslegen, dass diese sie nicht für supranaturalistisch eingestellte Spinner halten müssen? Wir wissen, dass wir sterben müssen. Was danach kommt, wissen wir nicht.
Wenn der Pastor am Grabe sagt: “Jesus Christus spricht: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben ob er gleich stürbe … Jesus Christus wird dich auferwecken am Jüngsten Tage”, so formuliert er eine unbeweisbare Hoffnung. Andere würden sagen: einen illusionären Trost. An dieser Kritik ist etwas richtig erfasst.
Denn die Frage ist ja: Zu wem in welcher Situation ist dieser Trost gesagt? Zu den Eltern, die ihr siebenjähriges Kind durch einen Verkehrsunfall verloren haben? Bei der Trauerfeier eines Unternehmenschefs, der 75jährig nach einem erfüllten Arbeitsleben heimgegangen ist? Oder bei der 90jährigen Rentnerin, die altersverwirrt in einem Heim stirbt?
Anders gefragt: Soll denn für die, deren Leben allzu früh abgebrochen wurde, keine Hoffnung sein? Und soll für denjenigen, der sein Leben bis zur Neige ausgekostet hat, oft auf Kosten anderer, diese Existenz ins Jenseits verlängert werden?
Die Auferstehungsbotschaft beinhaltet die Frage: Glaubst du an ein Leben nach dem Tode? In der Regel umgehen auch bekannte Theologen diese Frage, Dorothee Sölle hat sich als eine der wenigen Theologinnen persönlich dazu geäußert.
Sie hat die Frage verändert: Sie glaube an das Leben, das nach ihrem Tode weitergeht, an Gerechtigkeit und Frieden, die irgendwann lange nach ihrem Tod einmal sein werden. Aber: “Ich glaube nicht an eine individuelle Fortexistenz. Ich möchte auch nicht in die Lage kommen, daran glauben zu müssen. Ich empfinde das wie eine Krücke des Glaubens, aber eigentlich sollten wir ja gehen lernen.”
Sölle möchte den Tod als Teil des Lebens akzeptieren, sich damit aussöhnen, in den Kreislauf der Erde zurückzukehren. Vergänglichkeit und Liebe gehören zusammen. “Die Annahme des Todes ist nicht Verleugnung seines Schmerzes, seiner Unerträglichkeit, aber es ist ein Versuch ihn einzubeziehen in den Rhythmus des geschaffenen Lebens.”
So kann sie sagen, sie wolle im Tod ein Tropfen im Meer der Liebe Gottes werden. Das genüge ihr. Das finde ich ehrlich und sympathisch, und ich frage trotzdem:
Wie kann man heute von der Auferstehung reden?
Da sind erstens biblische und poetische Trostbilder von einem Leben nach dem Tode. Zweitens gibt es die präsentische Deutung des Auferstehungsgeschehens, drittens schließlich die apokalyptische Hoffnung auf die Wiederbringung der sinnlos Gemordeten.
Poetische Hoffnungsbilder lassen in ihrer bildhaften Redeweise erkennen, dass sie Trost sein wollen: “Oft, denk ich, sie sind nur ausgegangen, bald werden sie wieder nach Hause gelangen”, so heißt es bei Friedrich Rückert in den Kindertotenliedern. 1834 waren die beiden einzigen Kinder Rückerts und seiner Frau während einer Scharlach-Epidemie gestorben. Und er fährt fort: “Sie sind uns nur vorausgegangen. Wir holen sie ein auf jenen Höhen im Sonnenschein.”
Das ist keine Dogmatik, sondern poetische Trostpredigt. Unter dem Verlust eines geliebten Menschen Leidende sagen wohl auch: Es ist, als wäre er/sie nur kurz weggegangen. Natürlich wissen wir: Der Verstorbene hat uns für immer verlassen, er wird nicht wieder kommen. Und doch trösten wir uns mit dem, es ist als wäre es so.
Und wir trösten uns mit der Hoffnung des Wiedersehens. In dem Gedicht Nicht mutig macht die Dichterin Marie-Luise Kaschnitz die Frage nach der individuellen Fortexistenz zu einer des Mutes, mit der Menschen der Endlichkeit des Lebens begegnen.
Die Mutigen wissen
Daß sie nicht auferstehen
Daß kein Fleisch um sie wächst
Am jüngsten Morgen.
Daß sie nicht mehr erinnern
Niemandem wieder begegnen
Daß nichts ihrer wartet
Keine Seligkeit
Keine Folter
Ich bin nicht mutig
Ich bin nicht mutig, anders gesagt: Ich bin trostbedürftig, ich brauche die Krücke der Glaubenshoffnung. Mutig der Vergänglichkeit ins Auge sehen, das kann nicht jeder. Aber auch hier gibt es ein Hoffnungsbild. Denn wir Menschen wissen um unsere Vergänglichkeit, unser Geist transzendiert das Vorfindliche, geht in dieser Welt nicht auf.
Da ist der alte, schön formulierte Gedanke Augustins: “Unser Herz ist unruhig, bis es ruht in dir, Gott.” Der Mensch weiß um seinen Tod, aber auch um seine göttliche Bestimmung. Er kommt von dem Einen und wieder will wieder dahin, selbst wenn ihm diese Bestimmung im Getriebe des Lebens verloren geht.
Zweitens die präsentische Deutung der Auferstehung. Die theologische Kritik der Geschichten vom leeren Grab ist nicht zu widerlegen. Das, was in den Ostergeschichten dargestellt ist, das Sehen des Auferstandenen, hat keine historische Qualität.
Tatsächlich aber bewegt die Auferstehung Jesu vor allem zur Auferstehung mitten im Leben; Auferstehung ist eine Lebenspraxis. Christus ist in dieser Sicht nicht der einzige Auferstandene, sondern der Anführer einer Auferstehungsbewegung. Auferstehung geschieht überall dort, wo Menschen sich dem Leben in die Arme werfen.
Diese Kraft ist erfahrbar in kleinen alltäglichen Heilungs- und Glückserfahrungen. Sie ist wirksam in sozialen Bewegungen für Frieden und Gerechtigkeit, sie lebt in Basisgemeinden und Aktionsgruppen. Die Hungertücher lateinamerikanischer christlicher Künstler wissen von dieser Auferstehung in Solidarität und Protest zu berichten.
Aufstehen und Auferstehen sind im Griechischen dasselbe Wort. Aufstand für das Leben, hieß es in der Friedensbewegung. Sich gegen die von Menschen gemachten, todbringenden Mächte einsetzen, in diesem Sinn steht Christus immer neu in das Leben auf.
Allerdings ist mit dieser lebenspraktisch orientierten Auferstehungsdeutung nicht alles gesagt. Es gibt zuviel sinnloses Leiden, das durch die gegenwartsorientierte Deutung von Auferstehung nicht erfasst wird.
Hier setzt das apokalyptische Auferstehungsverständnis an: Auferstehung meint Hoffnung für die sinnlos Gemordeten, für die wie Christus Gemarterten und zu Tode Gequälten, für die Kinder, die in Kriegen und Katastrophen leiden und sterben mussten. Was ist mit ihnen?
Muss der tote Christus ihnen, so die schreckliche Vision des Jean Paul, vom Weltgebäude herab sagen, dass kein Gott, kein liebender Vater sei, und wir alle Waisen sind, dass es keine Auferstehung gibt?
Mit der apokalyptischen Auferstehungsbotschaft wird die Frage gestellt, ob die Geschichte abgeschlossen ist. Ich erinnere an den Terroranschlag auf das World Trade Center in New York. Die Türme stürzten ein, begruben 3000 Menschen unter sich. Inzwischen sind die Trümmer wegräumt. Wo die Türme standen, sind zwei quadratische Becken entstanden, in die Wasser fließt darunter sind die Namen der Toten verzeichnet.
Gebäude kann man wieder errichten, sogar schöner und gewaltiger als diejenigen, die zerstört wurden – dank des Beharrungsvermögens und der Kraft der in ihr lebenden Menschen.
Was aber ist mit den Menschen, die in ihnen lebten, die in der Zerstörung auf oft schreckliche Weise zu Tode kamen? Gibt es eine Hoffnung auf Wiederherstellung, auf Wiedergutmachung des den sinnlos Gemordeten angetanen Unrechts? Der nüchterne Betrachter muss zunächst sagen: Nein.
Denn das vergangene Unrecht ist geschehen und abgeschlossen; die Erschlagenen und Verbrannten sind wirklich erschlagen und verbrannt. Doch die theologische Betrachtung der Geschichte findet sich mit dieser Deutung nicht ab. In religiösen Bildern entsteht der verwegene Gedanke der Auferstehung.
Zuerst in einer Vision des Propheten Ezechiel – er sieht zunächst ein weites Feld, auf dem Totengebeine liegen, dann aber, wie Sehnen und Fleisch auf den Gebeinen wachsen, wie sich Haut auf ihnen bildet und schließlich der Lebensgeist, Gottes Odem, aus allen vier Windrichtungen in sie fährt und sie wieder lebendig werden. “Sie standen auf, heißt es, eine riesige Menschenmenge”.
Aus dem Totenfeld der Geschichte wird Kraft des Geistes Gottes und der visionären Begabung des Menschen die Spiegelschrift des Gegenteils; wird Auferstehung.
Im Geschick Jesu wird dann diese Hoffnung zum zentralen Heilsgeschehen. Der Gekreuzigte und schmachvoll zu Tode Gequälte wird von Gott aus der Gewalt des Todes befreit und wieder zum Leben erweckt. Und der Apostel Paulus führt diese Hoffnung dann weiter mit dem Satz: “Wir, die wir uns zu diesem Jesus bekennen, werden am Ende der Zeiten auch verwandelt werden und auferstehen.”
Der Kern dieser religiösen Hoffnungsbilder auf Auferstehung ist also nicht einfach das Weiterleben nach dem Tode, sondern die Botschaft: Die Geschichte ist für die zu Tode Gemarterten nicht abgeschlossen.
Es gibt für sie eine Wiederherstellung, die nur in verwegenen Hoffnungsbildern, im Gedicht, in einer Vision aussagbar ist, Auferstehungsglaube ist kein spekulatives Wissen. Walter Benjamins “Engel der Geschichte” sieht mit weit aufgerissenen Augen, wie die Katastrophe, die die Menschheitsgeschichte oft ist, sich vor ihm auftürmt, denn: “Er möchte wohl verweilen und das Zerschlagene zusammenfügen.”
Aber es gelingt nicht, weil ein Wind ihn unaufhaltsam in die Zukunft treibt. Doch die Kunst kann diesem Wind zumindest für Augenblicke standhalten.
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