Bene-Diktum: Der Park – das wiedergefundene Paradies.

Zum 100jährigen Jubiläum des Stadtparks

Hier Mensch, da Sein (Bild: Florian Horn/Planetarium Hamburg)
Hier Mensch, da Sein (Bild: Flo­ri­an Horn/​Planetarium Hamburg)

Früh­mor­gens im Stadt­park. Auf der Stra­ße, die den Park durch­schnei­det, kom­men die Autos des mor­gend­li­chen Berufs­ver­kehrs nur schritt­wei­se vor­an. Ein paar Jog­ger, vom Pla­ne­ta­ri­um kom­mend, über­que­ren den Zebra­strei­fen. Ich fol­ge ihnen und kom­me in den ruhi­ge­ren Teil des Parks. Das Auto­ge­räusch wird lei­ser. Mor­gen­licht liegt hell auf der rie­si­gen grü­nen Wie­se. Cat Ste­vens Mor­gen­lied fällt mir ein: Mor­ning has bro­ken like the first mor­ning, black­bird has spo­ken like the first bird. Der Text stammt von der eng­li­schen Schrift­stel­le­rin Ele­a­n­or Farjeon.

Es ist schön, am Mor­gen in den Park zu tre­ten, wenn alles noch still und frisch ist. Die Dich­te­rin die­ses Lieds aber erlebt mehr als nur den mor­gend­li­chen Gar­ten. Ihr wird der Gar­ten durch­schei­nend für den ers­ten Gar­ten, den Gar­ten Eden. Sie ent­deckt die Spu­ren Got­tes im Gar­ten­park. Mit dem Licht und im Lied wird ihr erneut bewusst: Die Welt ent­springt dem Wort Got­tes. So schil­dert es jeden­falls die bibli­sche Schöp­fungs­ge­schich­te. “Und Gott sprach, es wer­de Licht. Und es ward Licht.“

Der Elek­tro­wa­gen der Park­rei­ni­gung schnurrt vor­bei, ein paar Kin­der sind auf dem Fahr­rad unter­wegs zur Hein­rich Hertz-Schu­le. Krä­hen flie­gen kräch­zend auf. Ein ers­ter Son­nen­strahl auf einem Rho­do­den­dron-Busch. „Sanft fal­len Trop­fen son­nen­durch­leuch­tet. So lag auf ers­tem Gras ers­ter Tau. Dank für die Spu­ren Got­tes im Gar­ten, grü­nen­de Fri­sche, voll­kom­me­nes Blau.“

Die Beschrei­bung des Gar­ten Edens am Anfang der Bibel lässt das Bild eines won­ne­vol­len Para­die­ses vor uns ent­ste­hen, das sich ähn­lich auch in ande­ren Kul­tu­ren fin­det. Was den Gar­ten Eden wie alle Para­die­se eigent­lich aus­macht, ist zwei­er­lei – die schö­ne Fül­le an Grün, Bäu­me, Pflan­zen, Vege­ta­ti­on und viel Was­ser, Inbe­griff von Lebens­kraft und Freu­de, gera­de im Ori­ent. Zum andern die Abgren­zung die­ses Gar­ten-Inne­ren gegen­über einer anders­ar­ti­gen, manch­mal feind­li­chen Außenwelt.

Das Wort Para­dies trägt die­se Vor­stel­lung bereits im Namen. Es stammt aus dem Per­si­schen und bedeu­tet umheg­ter umzäun­ter Gar­ten. Und auch im deut­schen Wort Gar­ten steckt das Ein­ge­grenz­te. Ohne Tren­nung von der nicht-para­die­si­schen Außen­welt ist also das Para­dies nicht zu haben. Hier gel­ten aber auch bestimm­te Regeln. Zwei Bäu­me ste­hen in sei­ner Mit­te. Vom Baum der Erkennt­nis des Guten und des Bösen soll der Mensch nicht essen, doch Eva und Adam ver­sto­ßen dagegen.

„Und das Weib sah, dass von dem Baum gut zu essen und dass er eine Lust für die Augen wäre und ver­lo­ckend, weil er klug mach­te und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr, auch davon, und er aß.“

Wir ken­nen die Fol­gen. Gott ent­deckt das Ver­ge­hen des ers­ten Men­schen­paa­res, als er abends im Gar­ten sich ergeht und sagt in einem Selbst­ent­schluss, unter dem wir alle zu lei­den haben, bis heute:

»Sieh, der Mensch ist gewor­den wie unser­ei­ner und weiß was gut und böse ist. Nun aber, dass er nicht aus­stre­cke sei­ne Hand und bre­che vom Baum des Lebens und esse und lebe ewig­lich. Und er trieb den Men­schen hin­aus und ließ lagern vor dem Gar­ten Eden die Che­ru­bim, mit dem flam­men­dem blit­zen­den Schwert.«

Wir sind ver­trie­ben aus dem Gar­ten Eden, und wir haben Sehn­sucht nach dem Para­dies. Es sind Erzäh­lun­gen, die die­se Sehn­sucht leben­dig hal­ten. Das Para­dies ist aber nicht nur ein Phan­ta­sie­pro­dukt, nicht nur Mythos. Die Archäo­lo­gie hat durch ihre Gra­bun­gen gezeigt, dass es die­se Gär­ten im alten Ori­ent wirk­lich gab, Tem­pel und Palast­gär­ten – Gär­ten mit dem Strom, der sich dann in vier Haupt­was­ser teilt. Sie glie­dern den Gar­ten in vier Tei­le. Nicht umsonst nann­ten sich also die früh­ba­by­lo­ni­schen Köni­ge „Herr der vier Quartiere“.

Die Schöp­fungs­ge­schich­te redet von Para­dies und Gar­ten, nicht vom Park. Dies Wort stammt von dem Fran­zö­si­schen parc und meint eine Grün­an­la­ge, die im grö­ße­ren Maß­stab die Natur idea­li­sie­rend dar­stellt, Natur zum Schau­en, nicht zum Betre­ten. Der Köl­ner Gar­ten­bau­di­rek­tor Encke stell­te Anfang des 20. Jahr­hun­derts fol­gen­de Über­le­gung an.

„Unse­re Parks, Volks­gär­ten und Plät­ze im all­ge­mei­nen müs­sen noch viel mehr für den Gebrauch als für das Beschau­en ein­ge­rich­tet wer­den. Es ist ein Unding, den Strom der Erho­lung suchen­den Besu­cher auf schma­len Wegen durch wei­te grü­ne Flä­chen zu füh­ren, so dass sie sehn­süch­tig auf den saf­ti­gen Rasen und die schat­ti­gen Hai­ne schau­en, aber den auf­ge­wir­bel­ten Staub schlu­cken müssen.“

Encke kom­bi­nier­te in dem von ihm ange­leg­ten Köl­ner Vor­ge­birgs­park eine Volks­wie­se zum Spie­len mit drei Son­der­gär­ten für beschau­li­ches Gehen und Ver­wei­len. So konn­ten die auf der Wie­se Spie­len­den unge­stört um Rabat­te und Bee­te ihren Nei­gun­gen nachgehen.

Im Spie­len zum Mensch wer­den, so fin­det man das in Schil­lers »Ästhe­ti­scher Erzie­hung des Men­schen«. Nach die­sem Prin­zip ist auch der Volks­park, der Park mei­ner Kind­heit Anfang der 50er Jah­re, gestal­tet. Struk­tu­riert durch ein weit­läu­fi­ges Wege­netz, ein­ge­bet­tet in einen groß­flä­chi­gen Wald mit Hügeln und Schluch­ten, liegt in sei­nem Zen­trum die gro­ße Spielwiese.

Etwa einen knap­pen Kilo­me­ter von unse­rem Rei­hen­haus in der Steen­kamp-Gar­ten­sied­lung ent­fernt, befand sich der Ein­gang zum Volks­park. Ich erin­ne­re mich noch gut an die Auf­re­gung, wenn wir zum Volks­park gin­gen und sich der Blick auf die gro­ße, von Bäu­men umstan­de­ne Wie­se öffnete.

Hier konn­ten wir nach Her­zens­lust Fuß­ball oder Völ­ker­ball spie­len, was uns in der Sied­lung wegen der um ihre Vor­gär­ten besorg­ten Nach­barn zumeist ver­wehrt war. Hier beob­ach­te­ten wir spä­ter Lie­bes­paa­re, die sich auf aus­ge­brei­te­ten Decken räkelten.Und wir schlu­gen uns in die Büsche, um Trap­per und India­ner zu spie­len, hier ban­den wir im Win­ter die Schlit­ten anein­an­der, saus­ten durch die Kur­ve, stürz­ten auch schon mal und hol­ten uns blu­ti­ge Nasen.

Als Jüng­ling lern­te ich dann den Dah­li­en­gar­ten schät­zen, mit 40.000 Pflan­zen inzwi­schen eine tou­ris­ti­sche Attrak­ti­on. Dort las ich nach einer ers­ten schmerz­li­chen Lie­bes­ent­täu­schung Benn und Rilke-Gedichte.

[…] Noch ein­mal das Ersehnte
den Rausch, der Rosen Du
Der Som­mer stand und lehnte
und sah den Schwal­ben zu.

Noch ein­mal ein Vermuten
wo längst Gewiss­heit wacht
Die Schwal­ben strei­fen die Fluten
und trin­ken Fahrt und Nacht
. […]

Damals wuss­te ich noch nichts von den berühm­ten Gemäl­den mit dem Sinn­spruch, dass auch in Arka­di­en, also in der sprich­wört­lich schöns­ten Land­schaft Grie­chen­lands, der Tod gegen­wär­tig ist. „Et in Arca­dia ego“ steht auf dem Grab­mal, das auf den Gemäl­den von Guer­ci­no und Pous­sin eine Grup­pe von Hir­ten betrof­fen betrach­tet. »Selbst in Arka­di­en habe ich, der Tod, Gewalt«.

Dies Memen­to mori, Geden­ken des Todes, war im Alto­na­er Volks­park unmit­tel­bar nicht zu fin­den. Aber neben­an. Denn der Alto­na­er Haupt­fried­hof schloss sich direkt an den Park an. Hier war ich 15jähriger an einem kal­ten Janu­ar­tag dem Sarg mei­ner früh ver­stor­be­nen Mut­ter gefolgt. Hier saß ich oft auf dem Bänk­chen neben ihrem Grab­stein, lan­ge Zeit untröstlich.

Aber all­mäh­lich wan­del­te sich die Trau­er in ein ele­gi­sches Emp­fin­den, in ein eher kon­tem­pla­ti­ves Ver­sun­ken­sein in den Gedan­ken der Sterb­lich­keit. Die herbst­li­che Pracht der Dah­li­en kurz vor dem Ver­blü­hen, die toten Eltern, das Ver­ge­hen einer Lie­be. Und die im Gedicht ein­ge­fan­ge­ne Stim­mung die­ses Über­gangs. Der Park mit sei­ner Blu­men­pracht, volks­nah und gra­tis, mach­te es mir Emp­find­sa­men mög­lich, auf ange­neh­me Wei­se trau­rig zu sein und sich doch des Lebens zu freu­en. Vom Fuß­ball­spiel des 10jährigen zum melan­cho­li­schen Sprach­spiel des Jünglings.

Und jetzt wird noch ein­mal deut­lich, dass wir doch aus dem Para­dies ver­trie­ben sind, denn wir sind sterb­lich. Das Erschre­cken dar­über ver­lässt uns, wenn wir unse­rer Ver­gäng­lich­keit bewusst sind, auch in schöns­ter Land­schaft nicht. Aber der Mensch weiß sich zu hel­fen. Er träumt vom himm­li­schen Para­dies, wo kein es kein Leid und kei­ne Trä­nen mehr gibt.

Und er errich­tet Parks zu sei­nem Ver­gnü­gen, die ihn an das urzeit­li­che Para­dies erin­nern: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.

Ein schö­ner Sams­tag­nach­mit­tag im Som­mer auf der gro­ßen Wie­se im Stadt­park. Hun­der­te von Men­schen lagern und lie­gen, spie­len und erge­hen sich auf der rie­si­gen Grün­flä­che, die fast zwei Kilo­me­ter lang und 300 Meter breit ist. Da spielt eine Grup­pe von 10 Män­nern Fuß­ball. Zwei Tore haben sie mit Stö­cken abgesteckt.Gelegentlich wird es laut wenn sie sich anfeu­ern oder kri­ti­sie­ren, spiel doch ab, du Hei­ni. Ein ver­schos­se­ner Ball rollt dahin, wo sich eine Kin­der­ge­burts­tags­ge­sell­schaft aus­ge­brei­tet hat. Ein Tisch mit Ker­zen und Geburtstagskuchen.

Es wird gere­det, gelacht. Manch ein Frem­der wird zum Gril­len ein­ge­la­den. Setz dich hin, greif zu. Alte Gast­freund­schaft lebt wie­der auf. Ein baby­lo­ni­sches Stim­men­ge­wirr liegt über der gro­ßen Wiese.

Von der Frei­licht­büh­ne her hört man die Geräu­sche des Sound­checks. Bob Dylan, der berühm­te Musi­ker, soll heu­te abend dort auftreten.

In Abwand­lung der bibli­schen Spei­sungs­wun­der könn­te man sagen, dass im Stadt­park ein wun­der­sa­mes Ver­gnü­gen der Zehn­tau­send sich ereig­net. Eine wun­der­sa­me Ver­meh­rung von Spiel­freu­de und Abwechs­lung, Unter­hal­tung und Zeit­ver­treib, sonn­täg­li­chem Ver­gnü­gen und Gesel­lig­keit ohne gro­ßen Auf­wand. Was die Men­schen so glück­lich macht, ist der gute Geist des Parks, das schö­ne Wet­ter, der freie Samstag.

„Und Gott der Herr, pflanz­te einen Gar­ten in Eden gen Osten hin und setz­te den Men­schen hin­ein, den er gemacht hat­te, dass er ihn bebau­te und bewah­re.“ Der Mensch wird Gärtner.

Es wird Abend im Stadt­park. Die Son­ne geht unter. Ein schö­nes Abend­rot über­zieht den west­li­chen Him­mel. Lang­sam wird es dunk­ler. Die Fami­li­en mit den klei­nen Kin­dern bre­chen auf, die Älte­ren blei­ben noch ein biss­chen, schau­en ver­sun­ken dem Son­nen­un­ter­gang zu. Immer noch stei­gen von den Grill­feu­ern Rauch­schwa­den auf.

In einem gesel­li­gen Kreis wird gesun­gen. „Kein schö­ner Land in die­ser Zeit, als hier das unse­re weit und breit, wo wir uns fin­den wohl unter Lin­den zur Abend­zeit.“ Und das schwer­mü­ti­ge „Abend­stil­le über­all“. Ein paar Jugend­li­che ste­hend fei­xend dabei. Volks­lie­der, wie ätzend. „Abend­stil­le über­all, nur am Bach die Nach­ti­gall, singt ihre Wei­se kla­gend und lei­se durch das Tal“

In der Gast­wirt­schaft am Schwimm­bad haben sich hun­der­te jun­ger Leu­te zum,wie es heißt, „schöns­ten Son­nen­un­ter­gang in Ham­burg“ ver­sam­melt. Das Bier fließt in Strö­men. Grup­pen in ange­reg­ten Gesprä­chen. Ers­te Dylan-Klän­ge, die von der Frei­licht­büh­ne her­über­we­hen, las­sen auf­hor­chen. The times they are a chan­ging. Wann haben wir das zum ers­ten Mal gehört? Und wo, mit wem?

Es ist Nacht gewor­den. Rich­tig dun­kel. Ein Wind ist auf­ge­kom­men und lässt die Bäu­me rau­schen. Das Kon­zert ist schon seit einer hal­ben Stun­de zu Ende. Die letz­ten Besu­cher eilen zur U‑Bahn-Sta­ti­on oder zum Park­platz. Nur ver­ein­zelt sieht man noch eng­um­schlun­ge­ne Paa­re. Unter der Brü­cke am See hat ein Obdach­lo­ser sich ein Lager berei­tet. Eine Nach­ti­gall beginnt zu schlagen.

Ein nächt­li­cher Park ist auch unheim­lich, erin­nert an das Aus­ge­setzt­sein des Men­schen in unwirt­li­cher Natur. Man hört ent­fernt krei­schen­de Stim­men. Was spielt sich dort ab? Über­fäl­le gibt es natür­lich auch in Stadt­parks, Gewalt und Ver­ge­wal­ti­gun­gen. Hin­ter der fried­li­chen Sze­ne ist immer auch das Grau­en gegenwärtig.

Doch fort mit die­sen Gedan­ken. Die­se Nacht ist zau­ber­haft und fried­lich. Wären wir jetzt mit Shake­speare im Park bei Athen, viel­leicht wür­de die Elfen­kö­ni­gin Tita­nia mit ihren Geis­tern und Elfen auf­tre­ten. Und wirk­lich – tan­zen da nicht eini­ge von ihnen auf der von Nebel bedeck­ten Wie­se? Hören wir nicht ihre fein gespon­ne­ne Musik? Und stei­gen nicht Gebe­te zu Gott und sei­nen Engeln auf, dass sie uns beschüt­zen mögen in die­ser Nacht?

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