Wohin die Reise geht

Christopher Rüping richtet im Thalia in der Gaußstraße ein Theaterhörspiel ein. Seine Textvorlage: „Die lächerliche Finsternis“ von Kleist-Preisträger Wolfram Lotz.

Der Anfang der Geschichte (Bild: nf/HHF)
Der Anfang der Geschichte (Bild: nf/HHF)

Schon im Foy­er beginnt’s. Es wird um Ruhe gebeten, ein­er der Schaus­piel­er (Julian Greis) schwingt sich auf ein Podest, auf dem auch ein Boot ste­ht, die “Hope”. Man kenne das ja, sagt er, wenn vor ein­er Vorstel­lung ein­er was sagen würde, wäre das meist kein gutes Zeichen. Und so sei es auch in diesem Fall. Ein­er ihrer Darsteller – der unaussprech­liche afrikanis­che Name führt zu Gelächter im Pub­likum – sei nicht aufge­taucht, zu den Grün­den könne man hier nicht viel sagen. Aber nach einem Tele­fonat mit Joachim Lux habe man beschlossen, jeman­den aus dem Pub­likum zum Lesen des Ein­gangsmonologes zu bit­ten.

Ein klein­er Tumult, man redet durcheinan­der, und schon find­et sich – sich­er rein zufäl­lig – eine junge Dame, die das Podest erk­limmt und mit den vier Schaus­piel­ern auf der Bühne den Anfangsmonolog per­formt. Katin­ka, 34, macht das ganz entspan­nt. Sie sei etwas erkäl­tet gewe­sen, entschuldigt sie sich, aber nein, sagt sie auf Greis’ besorgte Nach­frage, Afri­ka habe sie noch nie besucht. Nichts­destotrotz zaubert das Restensem­ble je einen Mund­schutz aus der Hosen­tasche. Bei Afri­ka weiß man ja nie so genau. Und so erfahren wir die Geschichte von Ulti­mo, der “Pira­terie” in Mogadis­chu studiert hat, weil die wohlhaben­den Natio­nen die Fis­chgründe sein­er Heimat leerge­fis­cht haben.

Mit­ten drin sind wir in den The­men der Glob­al­isierung, und damit das keine schlechte Laune macht, wird eine Art Michael Jack­son-Med­ley anges­timmt, von “Heal The World” bis “They Don’t Real­ly Care About Us”. Das Pub­likum wird ins “Radios­tu­dio” gebeten. An der hin­teren recht­en Büh­nen­wand blinkt das “ON AIR”-Zeichen. Die Bühne selb­st eine Art Ver­such­sla­bor der Geräusche. Drei Tis­che mit Uten­silien zum Geräusche-Machen, eine Mikro­fonk­abine, ein paar Lam­p­en. Alles wirkt aufgeräumt, die the­atralen Mit­tel ste­hen ganz offen­sichtlich bere­it. Das Spiel kann begin­nen – wenn es das nicht längst schon hat.

Das Pub­likum wird darauf hingewiesen, dass, sobald das “ON AIR”-Zeichen zu blinken aufhöre, alles live über­tra­gen werde. Es ist mitver­ant­wortlich für die Atmo­sphäre, und ganz offen­sichtlich hat es seine helle Freude daran. In drei Grup­pen eingeteilt, bekommt es Auf­gaben zugewiesen – von frenetis­chem Applaus und Buh-Rufen zu Beginn der Radioshow bis hin zu Dschun­gel­geräuschen wie “Tsssssss” oder “Schh­h­h­h­hh”, wenn wir in das “Herz der Fin­ster­n­is” reisen.

Doch was wird denn nun im Radio über­tra­gen? Zu Besuch im Stu­dio ist Ober­feld­webel Oliv­er Pell­ner (Nic­ki von Tem­pel­hoff) und sein Adju­tant Ste­fan Dorsch (Pas­cal Houdus). Das Inter­view führt ein aufgeregter Radiomod­er­a­tor (Julian Greis). Camill Jam­mal ist für die Geräusche und das Klavier zuständig – zunächst zumin­d­est. Da sind von vorn­here­in Ungereimtheit­en in Pell­ners Geschichte, die den Mod­er­a­tor ver­wirren. Der Hin­dukusch, betont Pell­ner immer wieder auf Nach­frage des Mod­er­a­tors, sei defin­i­tiv ein Fluss, kein Gebirgs­mas­siv. Pell­ners Geschichte duldet keine Widerrede, und so nimmt sie uns mit auf den dun­klen Strom namens Hin­dukusch, der in die Tiefen des ani­malis­chen Dschun­gels ent­führt.

Pell­ner hat den Auf­trag, Karl Deutinger zu find­en, einen deutschen Offizier, der in der Wild­nis wahnsin­nig gewor­den sei und zwei sein­er Kol­le­gen getötet habe.

Doch scheint diese wah­n­witzige Reise ohne Plan, daran verzweifelt Unterof­fizier Dorsch immer wieder aufs Neue. “Was ist unser Auf­trag?” will er von Pell­ner wis­sen, während die Mück­en sie zer­stechen, Regen, Blitz und Don­ner über sie here­in­brechen und auch, als sie in einem ital­ienis­chen Blauhelm­lager lan­den, das versehrte Ein­heimis­che vor den Über­grif­f­en der Tal­iban schützen soll. “Was ist unser Auf­trag?” fragt Dorsch, während der Mod­er­a­tor in sein­er Auf­nah­me­box fast ver­rückt wird, weil der Dschun­gel durch alle Ritzen kommt. Erd­ver­schmiert und ver­schwitzt kämpft Greis in sein­er Kabine dage­gen an, dass die Geschichte Über­hand nimmt.

Nach und nach nimmt das Geschehen von der Gaußs­traßen­bühne Besitz. Da Regis­seur Christoph Rüping die Zitatebene immer wieder expliz­it betont, ist das manch­mal bek­lem­mend, meist aber voll Ironie und bös­er Komik – beispiel­sweise dann, wenn alle “Wum­bawum­ba”-Laute von sich geben sollen, um die Geräuschkulisse der ver­stüm­melten Einge­bore­nen darzustellen. Auch wenn Greis und Houdus (im rosa Glitzerklei­d­chen) die Geschichte vom “Lip­pen­bär”, einem Sex­touris­ten im Nir­gend­wo, erzählen. Oder dann, wenn Greis als ver­meintlich­er Kroate Bojan Sto­jkovic die tragis­che Geschichte vom Unter­gang sein­er Fam­i­lie dazu miss­braucht, dem Pub­likum let­ztlich seine rechte Socke zu verkaufen. Grandios komisch auch Jam­mal, wenn er – aus­ges­tat­tet mit Wat­te­bauch und Tam­pon­aden im Mund – zum verzweifel­ten Kom­man­dan­ten Lodet­ti im Blauhelm­lager wird, der im Dschun­gel am meis­ten die Piz­za Pomodore e Moz­zarel­la ver­misst – und natür­lich das “Inter­netz”. Es ist zum Verzweifeln.

Zwis­chen­drin immer wieder “Wer­bepausen” – oder Lesezeit von “Das Herz der Fin­ster­n­is”, dem Orig­inal­text von Joseph Con­rad, der 1979 Fran­cis Ford Cop­po­la zu seinem Vietnam-(Anti-)Kriegsfilm “Apoc­a­lypse Now” als Vor­lage diente. Im Text von Autor Wol­fram Lotz, der wiederum Cop­po­las Film als Vor­lage angibt, ver­schwim­men die Orte, es gibt keinen konkreten Schau­platz, nur Szenar­ien der Glob­al­isierung. Ein end­los­er, undefiniert­er Unort von Glob­al­isierungss­chau­plätzen entste­ht, und so ist es nur kon­se­quent, dass dieser Ort von der Bühne Besitz ergreift und schließlich sog­ar den Autor ins Geschehen holt. Dorsch – oder der Schaus­piel­er Houdus? – fordert den Autor im Pub­likum her­aus. Wie einst die Fig­uren in Piran­del­los “Sechs Per­so­n­en suchen einen Autor” ste­ht er, die Arme in die Seit­en gestemmt vor Lotz. “Was ist unser Auf­trag?” fragt er, und Lotz, am Abend der Urauf­führung selb­stver­ständlich im Pub­likum, geste­ht ganz ruhig und etwas hemd­särmelig, dass er das selb­st nicht weiß.

Dass der Abend in vie­len Ver­sio­nen enden kann, ist somit klar. Dass er sich selb­st immer wieder in Frage stellt, zum schön­sten Meta-The­ater wird, auch. Aber was ist denn nun eigentlich unser Auf­trag? Was wollen wir in ein­er Gesellschaft ohne Glauben, fragt Dorsch, was sollen wir in dem Dschun­gel unser­er Wahrnehmung, kurz: am Arsch der Welt? Die Bühne ist im Chaos, die Schaus­piel­er ver­schwitzt und das Pub­likum ganz still. Jed­er möge hier selb­st seinen Auf­trag find­en, soviel ist klar, und sich nicht ver­laufen im Dschun­gel der eige­nen Geschichte. Und bitte, das darf auf keinen Fall passieren, in der voll­ständi­gen Demon­tage dieses Nicht-The­at­er­abends.

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