Mein Herz brennt

Karin Beier inszeniert Tschechows Komödie »Onkel Wanja« am Schauspielhaus.

Schneegestöber

Sie verzweifeln am Leben, an der Sinnlosigkeit ihres Daseins: die Fig­uren in Tsche­chows Komödie “Onkel Wan­ja”. Und das tun sie mit in Karin Beiers Insze­nierung mit so großar­tiger Kör­per­lichkeit und Komik, dass man beglückt in die Hände klatschen möchte über diesen Abend, über dieses Ensem­ble.

Ger­ade der hoch­pro­duk­tive Anton Tsche­chow, der in den 44 Jahren seines kurzen Lebens neben seinen Stück­en und Erzäh­lun­gen zwei Schulen, ein Kranken­haus und ein Feuer­wehrde­pot grün­dete, ver­stand, wie unnütz ein Leben sich anfühlen muss, wenn man an der eige­nen Daseins­berech­ti­gung zweifelt. „Wie gut wäre es, wenn jed­er von uns eine Schule, einen Brun­nen oder son­st etwas in der Art hin­ter­ließe“, notierte er, „damit das Leben nicht vorüber eilt und spur­los in der Ewigkeit ver­schwindet.“

Ein weißer Steg, der sich über die gesamte Büh­nen­bre­ite erstreckt, ist die schmale Spielfläche der neun Schaus­piel­er. Rund herum nichts als Matsch und Schmod­der, ein Land, auf dem, das sieht man sofort, alle Mühen aus­sicht­s­los sind. Was soll hier schon wach­sen? Dass Son­ja (Lina Beck­mann) sich trotz­dem abmüht in all dem Schlamm, mit ihren Gum­mistiefeln und dem stetig schmutziger wer­den­den Rock, ist nur eines der Bilder für die Aus­sicht­slosigkeit men­schlich­er Bemühun­gen.

Doch hat sie, wie sie mit trotzigem Stolz ihrem Vater, dem Pro­fes­sor, dar­legt, sein Gut in Schuss gehal­ten, damit er sich auf die Wis­senschaft konzen­tri­eren kon­nte. Jet­zt ist er als Emer­i­tus mit sein­er schö­nen jun­gen Gat­tin auf das Gut zurück­gekehrt, weil das Leben in der Stadt zu teuer ist. Und er bringt alles durcheinan­der. Um sieben am Abend wird zu Mit­tag gegessen, und der Tee im Samowar wird kalt, weil das Früh­stück erst mit­tags stat­tfind­et. Denn der Pro­fes­sor ist schlaf­los, er bekommt keine Luft. Nachts liegt er wach und ruft nach sein­er Frau. Die hinge­gen ist auf der Pirsch und auf der Flucht zugle­ich. Im nächtlichen Möbel-Sam­mel­suri­um auf dem schmalen Büh­nen­steg schle­ichen, tanzen und trinken die Fig­uren den Tag her­bei.

Doch sind die nächtlich-geis­ter­haften Unruhen nur äußer­liche Symp­tome ein­er inner­lich krank­enden Struk­tur. Jet­zt wo Wan­ja den Pro­fes­sor von Nahem betra­chtet, stellt er fest, dass dessen Wis­senschaft sinn­los war, die Artikel in den Zeitschriften sich wider­sprechen, kurz: dass alle Mühen Son­jas und Wan­jas, die die Arbeit Pro­fes­sor Sere­br­jakows in der Stadt ermöglicht haben, min­destens eben­so wert­los sind wie das Papi­er, auf dem die Abhand­lun­gen geschrieben sind. Damit der Pro­fes­sor in der Stadt, dem klas­sis­chen Sehn­sucht­sort nahezu aller Tschechow’schen Fig­uren, leben kon­nte, haben Son­ja und Onkel Wan­ja das eigene Dasein im Matsch ver­wirkt.

Vor allem Wan­ja (Char­ly Hüb­n­er) geht an dem Ver­lust sein­er Daseins­berech­ti­gung zugrunde. Da ste­ht er, den Bauch trotzig nach vorn gereckt, in Gum­mistiefeln und behauptet sich. Doch was, wenn die Behaup­tung kein Ziel mehr find­et? Hoff­nungs­los und hündisch liebt er die junge Gat­tin (Anja Laïs) seines ehe­ma­li­gen Idols. Doch die geht unglück­lich an dem Leben auf dem Land zugrunde. Aus Langeweile nur ver­führt sie Astrow, den Arzt, den Son­ja seit Jahren liebt. Wie ein Raubti­er pirscht sie sich über den schmalen Steg, faucht oder lässt stolz das Innen­fut­ter ihres Man­tels zu einem kun­stvollen Pfauen­rad bauschen. „Du darf­st dich nicht so lang­weilen, kein Wun­der geht´s dir schlecht“ sagt Son­ja und ahnt nicht, dass aus­gerech­net ihre schöne Stief­mut­ter ihr den Mann stre­it­ig macht, dessen Vorträge über das Wald­ster­ben sie aus dem Eff­eff zitieren kann.

Die Rück­sicht­slosigkeit, mit der die Fig­uren sich gegen­seit­ig benutzen, mal als Tisch oder Sitzmö­bel, auf dem Kör­p­er des anderen Platz nehmen und ihn in die Ecke stellen, passt zu diesem Text. Auf einem schmalen Grat find­et Karin Beier ihre eigene Sprache für Tsche­chow. Man muss unwillkür­lich an rus­sis­che The­ater­tra­di­tio­nen denken – wie an die Kör­per­lichkeit von Mey­er­holds Bio­mechanik. Beier packt den Text an der Wurzel, bringt ihn zurück an seinen Ursprung und kat­a­pul­tiert ihn ins Heute. Nicht durch aktuelle Bezüge, son­dern deshalb, weil man ger­ade heute jede dieser Fig­uren in ihrem Zweifeln und Straucheln ein biss­chen mögen muss. Und weil man sie fast greifen kann, da sie durch ihre ganz eigene (Körper-)Sprache so berührbar wer­den.

Alle brechen sie ständig in Trä­nen aus, sie zit­tern, krampfen und schreien. Das Innen bah­nt sich seinen Weg in kör­per­lich­er Komik. Wun­der­bar, wie Astrow (Paul Her­wig) auf dem Raubkatzenkör­p­er der schö­nen Ele­na Cel­lo spielt, die sich biegt und windet. Lina Beck­mann hat ihren eige­nen, grandios komis­chen Stil für Son­ja gefun­den: stark, ein biss­chen hemd­särmelig, verzweifelt, und doch immer wieder mit trotziger Ansage an das Leben. Gut, dass wenig­stens ihre alte Kinder­frau (wun­der­bar: Juliane Koren) ihr einen Lin­den­blü­ten­tee kochen kann. Weil dann ist alles vergessen. Und arbeit­en hil­ft sowieso.

Auch wenn Wan­ja das nicht glauben möchte. Er hätte doch ein Dos­to­jew­s­ki wer­den kön­nen oder ein Schopen­hauer. Es kann doch nicht sein, dass er sein Leben für dieses „Fleis­chge­birge“ ver­wirkt hat. „Gib mir was, du musst mir was geben“, sagt er zu Astrow, „mein Herz bren­nt.“ Und man glaubt ihm das sofort. Der Schnee legt sich gnädig und dicht über das Land und deckt den Matsch zu, als der Pro­fes­sor schließlich abreist. Endlich gibt es wieder mit­tags Mit­tagessen, und der Tee im Samowar wird heiß getrunk­en. Alles wird wieder wie es war. Und doch ist nichts mehr wie zuvor.

Schneegestöber
Schneegestöber (Bild: HHF/NF)

 

 

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