Es wird sich schon erhellen – das spricht vom Ungefähren, von einer vagen Hoffnung und auch vom diffusen Ungewissen. Gleichzeitig verweist er auf das erhellende Licht, die Aufklärung (“Englightenment”) und das, was die Wahrhaftigkeit sein soll. In diesem Schlusssatz kulminiert diese Inszenierung und kulminiert sich auch das Stück, reduziert auf das, was Kleist vielleicht am Herzen lag, und vor allem, was sein Werk so weitflächig durchzieht, und das ist nicht der Zinnober von Dekor, Pose und Pathos, die man dem Text oft angedichtet hat.
So verzichtet der Regisseur auf Kleists pompös angelegte Hochzeitsszene, mit der auch schon einige seiner Vorgänger nicht viel anfangen konnten, jene immer auf der Suche nach dem Bruch im Stück, denn all das “romantische” Spiel mit Ritterblut und der seltsam “reinen” Titelfigur konnte ja nicht alles sein. Dabei geht es in diesem Text nicht um die Gebrochenheit, die Perspektive und einen Schluss, sondern eher um eine Art fortwährender dialektischer Bipolarität, die dem Leser und Zuschauer selbst überlassen werden muss. “Seht, es gibt zwei Amphitryonen”, so heißt es auch in der viel häufiger gespielten, weil einfacher scheinenden, antikisierenden Komödie des Dichters. Und dann gibt es eben keine echte Entscheidung, weder für den einen oder anderen Amphitryon, noch für das eine oder andere Prinzip im Spiel von Wahrheit und Falschheit.
Kraft hat das klug erkannt und sich auf den Dialog konzentriert, der Urszene der Auseinandersetzung zwischen Menschen. Dieses Spiel ist trotz Schwertern und Roben (Kostüme: Dagmar Raib) so reduziert wie ein kostbarer Bratenfond, eine Art Molekularküche Kleist’schen Spintisierens. Es reiht sich Gespräch an Gespräch, ganz allmählich verfertigt sich dieser Abend beim Reden. Die Figuren folgen ihm.
Sein Wetterstrahl etwa hat grüblerische Züge, exakt in der Unentschiedenheit und losgelöst im Moment der Annäherung. Jens Harzer, endlich gebremst in seinen zuweilen unerträglichen Manierismen, sucht und findet gottlob nichts, ist hin- und hergerissen zwischen der eigenartigen Fremdbestimmung durch den Traum und der Wirklichkeit der machtpolitischen Entscheidungen, die er treffen muss.
Ein schwieriger Charakter ist das, gezwungen, Härte zu zeigen und doch einigermaßen verwirrt durch all die Merkwürdigkeiten, die ihm durch das Phänomen der Käthchen-Figur widerfahren. Harzer gelingt das ganz und gar vollkommen, ein wenig ähnelt das einer bestimmten Spezies junger Männer aus der so viel zitierten Generation Y, die man in der Welt so trifft – qualifiziert, bebrillt, gescheit, aber so wenig auf den Punkt, dass es zum Verzweifeln ist.
Seinen Gegenpart soll die vielfach gelobte Birte Schnöink bieten, fast ist sie so etwas wie ein Star an diesem Hause. An und für sich eine wunderbare Rolle mit großem Entwicklungspotenzial für eine junge Schauspielerin, doch merkwürdig blass und kraftlos kommt dieses Käthchen daher, irgendwie erleuchtet zwar, gewiss zart bis zur Niedlichkeit, aber nie auf dem Weg, die kleistsche Indifferenz und jenes unerklärliche Drängen der Figur auszuloten. Möglicherweise fällt eine schärfere Konturierung der Figur aber auch der konzeptionellen Reduktion zum Opfer, das ist angesichts der auffälligen Präzision der Kraftschen Komposition aber eher verwunderlich.
Diese Präzision offenbart sich auch im schwankhaften Personal des “Ritterspiels”, dem “bösen” Burgfräulein Kunigunde von Thurneck und ihrer Kammerzofe Rosalie (Sandra Flubacher), dem “ehrbaren “Waffenschmied Theobald Friedeborn und dem Deus ex Machina des Stückes, der kurz auftretenden Kaiser-Charge.
Um so schöner ist es, hier die gestandensten Kräfte des Hauses zu sehen, sämtlich noch aus der gerne verklärten Zeit Jürgen Flimms. Wolf-Dietrich Sprengers Theobald Friedeborn ist eine feine Charakterstudie, in Verwirrung und Verzweiflung maßgebend, weit entfernt vom zauseligen Alten anderer Inszenierungen, untröstlich und mit herzzerreißenden kleinen Beschleunigungen in Diktion und Mimik. Christoph Bantzer erzählt, besmokingt, die Aufklärungsgeschichte über Käthchens Herkunft, die sie legitimieren soll, nicht als senilen Herrenwitz, sondern schafft es auch hier, das Erstaunen zu zeigen, das an diesem Abend allem zu eigen ist, dem Stück, der Welt, dem Leben.
Es gibt ein kleines Fragment dieses Stückes, nicht enthalten in der Spielfassung, veröffentlicht aber in einem dieser ewig gescheiterten Projekte, die Kleist einst unternahm, der Zeitschrift “Phöbus”, Kleist änderte diese Szene für die Fassung, die heute gespielt wird zugunsten einer knapperen Variante, die den dramaturgischen mehr Fortgang vorantreibt. Es spricht darin des Grafen Gegenspielerin Kunigunde von Thurneck, darin enthalten eine Art Credo dieser Figur: “Die Kunst die du an meinem Putztisch übst,/ Ist mehr, als bloß ein sinnereizendes Verbinden von Gestalten und von Farben./Das unsichtbare Ding, das Seele heißt,/ Möcht ich an allem gern erscheinen machen,/Dem Toten selbst, das mit verbunden ist./Nichts schätz ich so gering an mir, daß es/entblößt von jeglicher Bedeutung wäre.”
So sehen wir auch die Kunigunde dieser Inszenierung vor uns – nicht als berechnende Megäre, sondern als ebenso irrlichternde Figur wie die anderen Traumtänzer dieses Textes, stets bemüht, die Haltung zu bewahren und dabei einen Weg zu finden. Victoria Trauttmansdorff trägt den Abend über eine zweite Haut aus dehnbarem Stoff, einen faltenwerfenden Nude-Look; so wie Eiskunstläuferinnen, die Blöße zeigen wollen, aber blasse hautfarbene Trikotagen präsentieren. Darüber Roben, Kleider aus dem Katalog von Gala und Bunte, den oberen Zehntausend angemessene Bekleidung, darunter eine Hülle, die alles glättet. Dass diese Schauspielerin über solche innerlichen wie äußerlichen Grate wandeln kann, wissen wir aus vielen anderen Inszenierungen, auch schlechteren als dieser. Bastian Kraft erspart allen die große Verschwörungstheorie, das gellende “Giftmischerin” am Schluß des letzten Aktes und gibt auch dieser Figur die große Chance zur Indifferenz.
Die Welt, in der sich all jenes verhält, ist eine synthetische. Der Bühnenbildner Peter Bauer hat eine auf die zwölfeinhalb Meter große Drehbühne des Haues abgestimmte Rundkonstruktion gebaut, eine überdimensionale Vorhangstange, rundherum mit Gaze verkleidet, sie hängt hoch im Himmel des Bühnenturms. Innerhalb dieses flatterhaften Runds sind kreisförmig angeordnete durchlöcherte Versatzstücke aufgestellt, von innen beleuchtet, eine Projektion von Lichtpunkten auf den umgebenden durchscheinenden Vorhang. Ein kleines Planetarium, die Welt, der Kosmos auf dem Gazeschleier, zudem Abbildungsfläche von großen Schattenbildern von all den Dingen, die nur bedingt interessieren, Schwertkämpfe und all dem ritterspielenden Dekor (“Eine Herberge”). An des Kleist’schen Zeitgenossen Schinkels Sternenhimmel zu denken, ist da eines, wiederum sich der Konzentration auf das Wesentliche anheimzugeben, das Andere. Denn genau dazu dient diese so technisch scheinende Konstruktion, Orte zu schaffen für die so ungemein dichten Dialogszenen.
In der “Feuerprobe”, jener mystisch-verklärten Action-Szene Kleists, in der das “unschuldige” Käthchen in den Flammen des gebrandschatzten Schlosses Thurneck geopfert werden soll und von himmlischen Mächten – “dem Cherub” – gerettet wird, zeigt sich die Stärke des Bühnenkonzepts, kein Flammenzauber, keine öde Projektion. Das Gazerund von innen rot beleuchtet, Rauch, Text. Der Vorhang fällt wie Jerichos Mauern, die kreisrunde stählerne Tragekonstruktion fährt hinab, ein neuer Spielort entsteht aus diesen Grundmauern. Zum Schluss trudelt eine Feder aus dem Bühnenhimmel – ein kleines, aber starkes Bild für das unerhörte Moment dieser Rettung, das Unglaubliche, den rettenden Schutzengel.
Auf diesem Fundament nun ruht die Kernszene des Dramas, Käthchens Vision im Holunderstrauch, die Zusammenfügung der vorbestimmten Traumwelten zwischen Strahl und dem “Mädchen”. Der Bühnenhintergrund schwarz, offen bis zur Brandmauer, das stählerne Rund, darauf Birte Schnöink im – naturgemäß – weißen Kleidchen, die derben Stiefel an den Füßen, im gleißenden Licht von oben, beinahe wie die Verkündigungszenen alter Bibelschinken. Jens Harzer, ganz in Schwarz, fragend, tastend, mit großer Vorsicht sich nähernd. Seine Diktion ist verhalten und unsicher. Er berührt zuerst die Stiefel, nähert sich von der Peripherie, fragt wieder, wartet auf Antworten und erkennt. Das Dialogprinzip der Inszenierung wird hier aufs Äußerste konzentriert, ein Zaubermoment, allein aus diesem Grund muss man ins Theater gehen.
Ein schon zehn Jahre alter Lyrikband der Schriftstellerin Silke Scheuermann trägt den Titel “Der zärtlichste Punkt im All”.
“Obwohl sie behaupten man sehe von oben
den womöglich zärtlichsten
Punkt im All
eine übergroße Murmel mit blauem Zentrum”
heißt es da im Eröffnungsgedicht “Flüsternde Dörfer”. Dort ist es eine Verheißung, eine Versprechung, eine Idee. Jedoch, um diesen Punkt für den Augenblick zu sehen, brauchen wir, hier im Theater, nicht einmal nach oben zu steigen. Und es wird auch etwas versprochen: Es wird sich schon erhellen.
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