Der zärtlichste Punkt im All

Kleists Wunderspiel "Das Käthchen von Heilbronn" am Thalia Theater, inszeniert von Bastian Kraft

kvhb
Mein Geist, von Wun­der­licht geblendet (Bild: NF/HHF)
Vielle­icht fängt man bei dieser Insze­nierung am besten von hin­ten an, vom Ende des vielle­icht merk­würdig­sten Textes, den der eige­nar­tig­ste unter den deutschen Dichtern geschaf­fen hat, Hein­rich von Kleis­tens “Das Käthchen von Heil­bronn oder die Feuer­probe”. Es ist alles geschehen, was das “his­torische Rit­ter­schaus­piel” in sich gebün­delt hat, die Intrige, die Kabale, die heili­gen Gesten, die Feme, und die Träume zwis­chen Sylvester und Hol­un­der­busch. Ein Satz nur genügt, nichts von Hochzeits­bal­dachi­nen, von Gift­mis­cherin­nen, denn es ist wohl alles gesagt: “Es wird sich schon erhellen.” Black, der Vorhang fällt und Schluss.

Es wird sich schon erhellen – das spricht vom Unge­fähren, von ein­er vagen Hoff­nung und auch vom dif­fusen Ungewis­sen. Gle­ichzeit­ig ver­weist er auf das erhel­lende Licht, die Aufk­lärung (“Eng­light­en­ment”) und das, was die Wahrhaftigkeit sein soll. In diesem Schlusssatz kul­miniert diese Insze­nierung und kul­miniert sich auch das Stück, reduziert auf das, was Kleist vielle­icht am Herzen lag, und vor allem, was sein Werk so weit­flächig durchzieht, und das ist nicht der Zin­nober von Dekor, Pose und Pathos, die man dem Text oft angedichtet hat.

So verzichtet der Regis­seur auf Kleists pom­pös angelegte Hochzeitsszene, mit der auch schon einige sein­er Vorgänger nicht viel anfan­gen kon­nten, jene immer auf der Suche nach dem Bruch im Stück, denn all das “roman­tis­che” Spiel mit Rit­terblut und der selt­sam “reinen” Titelfig­ur kon­nte ja nicht alles sein. Dabei geht es in diesem Text nicht um die Gebrochen­heit, die Per­spek­tive und einen Schluss, son­dern eher um eine Art fortwähren­der dialek­tis­ch­er Bipo­lar­ität, die dem Leser und Zuschauer selb­st über­lassen wer­den muss. “Seht, es gibt zwei Amphit­ry­onen”, so heißt es auch in der viel häu­figer gespiel­ten, weil ein­fach­er scheinen­den, antik­isieren­den Komödie des Dichters. Und dann gibt es eben keine echte Entschei­dung, wed­er für den einen oder anderen Amphit­ry­on, noch für das eine oder andere Prinzip im Spiel von Wahrheit und Falschheit.

Kraft hat das klug erkan­nt und sich auf den Dia­log konzen­tri­ert, der Urszene der Auseinan­der­set­zung zwis­chen Men­schen. Dieses Spiel ist trotz Schw­ert­ern und Roben (Kostüme: Dag­mar Raib) so reduziert wie ein kost­bar­er Braten­fond, eine Art Moleku­larküche Kleist’schen Spin­tisierens. Es rei­ht sich Gespräch an Gespräch, ganz allmäh­lich ver­fer­tigt sich dieser Abend beim Reden. Die Fig­uren fol­gen ihm.

Sein Wet­ter­strahl etwa hat grüb­lerische Züge, exakt in der Unentsch­ieden­heit und los­gelöst im Moment der Annäherung. Jens Harz­er, endlich gebremst in seinen zuweilen unerträglichen Manieris­men, sucht und find­et got­t­lob nichts, ist hin- und herg­eris­sen zwis­chen der eige­nar­ti­gen Fremdbes­tim­mung durch den Traum und der Wirk­lichkeit der macht­poli­tis­chen Entschei­dun­gen, die er tre­f­fen muss.

Ein schwieriger Charak­ter ist das, gezwun­gen, Härte zu zeigen und doch einiger­maßen ver­wirrt durch all die Merk­würdigkeit­en, die ihm durch das Phänomen der Käthchen-Fig­ur wider­fahren. Harz­er gelingt das ganz und gar vol­lkom­men, ein wenig ähnelt das ein­er bes­timmten Spezies junger Män­ner aus der so viel zitierten Gen­er­a­tion Y, die man in der Welt so trifft – qual­i­fiziert, bebrillt, gescheit, aber so wenig auf den Punkt, dass es zum Verzweifeln ist.

Seinen Gegen­part soll die vielfach gelobte Birte Schnöink bieten, fast ist sie so etwas wie ein Star an diesem Hause. An und für sich eine wun­der­bare Rolle mit großem Entwick­lungspoten­zial für eine junge Schaus­pielerin, doch merk­würdig blass und kraft­los kommt dieses Käthchen daher, irgend­wie erleuchtet zwar, gewiss zart bis zur Niedlichkeit, aber nie auf dem Weg, die kleistsche Indif­ferenz und jenes unerk­lär­liche Drän­gen der Fig­ur auszu­loten. Möglicher­weise fällt eine schär­fere Kon­turierung der Fig­ur aber auch der konzep­tionellen Reduk­tion zum Opfer, das ist angesichts der auf­fäl­li­gen Präzi­sion der Kraftschen Kom­po­si­tion aber eher ver­wun­der­lich.

Diese Präzi­sion offen­bart sich auch im schwankhaften Per­son­al des “Rit­ter­spiels”, dem “bösen” Burgfräulein Kuni­gunde von Thur­neck und ihrer Kam­mer­zofe Ros­alie (San­dra Flubach­er), dem “ehrbaren “Waf­fen­schmied Theobald Friede­born und dem Deus ex Machi­na des Stück­es, der kurz auftre­tenden Kaiser-Charge.

Um so schön­er ist es, hier die ges­tanden­sten Kräfte des Haus­es zu sehen, sämtlich noch aus der gerne verk­lärten Zeit Jür­gen Flimms. Wolf-Diet­rich Sprengers Theobald Friede­born ist eine feine Charak­ter­studie, in Ver­wirrung und Verzwei­flung maßgebend, weit ent­fer­nt vom zauseli­gen Alten ander­er Insze­nierun­gen, untröstlich und mit herzzer­reißen­den kleinen Beschle­u­ni­gun­gen in Dik­tion und Mimik. Christoph Bantzer erzählt, besmok­ingt, die Aufk­lärungs­geschichte über Käthchens Herkun­ft, die sie legit­imieren soll, nicht als senilen Her­ren­witz, son­dern schafft es auch hier, das Erstaunen zu zeigen, das an diesem Abend allem zu eigen ist, dem Stück, der Welt, dem Leben.

Es gibt ein kleines Frag­ment dieses Stück­es, nicht enthal­ten in der Spielfas­sung, veröf­fentlicht aber in einem dieser ewig gescheit­erten Pro­jek­te, die Kleist einst unter­nahm, der Zeitschrift “Phöbus”, Kleist änderte diese Szene für die Fas­sung, die heute gespielt wird zugun­sten ein­er knap­peren Vari­ante, die den dra­matur­gis­chen mehr Fort­gang vorantreibt. Es spricht darin des Grafen Gegen­spielerin Kuni­gunde von Thur­neck, darin enthal­ten eine Art Cre­do dieser Fig­ur: “Die Kun­st die du an meinem Putztisch übst,/ Ist mehr, als bloß ein sin­nereizen­des Verbinden von Gestal­ten und von Farben./Das unsicht­bare Ding, das Seele heißt,/ Möcht ich an allem gern erscheinen machen,/Dem Toten selb­st, das mit ver­bun­den ist./Nichts schätz ich so ger­ing an mir, daß es/entblößt von jeglich­er Bedeu­tung wäre.” 

So sehen wir auch die Kuni­gunde dieser Insze­nierung vor uns – nicht als berech­nende Megäre, son­dern als eben­so irrlichternde Fig­ur wie die anderen Traumtänz­er dieses Textes, stets bemüht, die Hal­tung zu bewahren und dabei einen Weg zu find­en. Vic­to­ria Trauttmans­dorff trägt den Abend über eine zweite Haut aus dehn­barem Stoff, einen fal­tenwer­fend­en Nude-Look; so wie Eiskun­stläuferin­nen, die Blöße zeigen wollen, aber blasse haut­far­bene Triko­ta­gen präsen­tieren. Darüber Roben, Klei­der aus dem Kat­a­log von Gala und Bunte, den oberen Zehn­tausend angemessene Bek­lei­dung, darunter eine Hülle, die alles glät­tet. Dass diese Schaus­pielerin über solche inner­lichen wie äußer­lichen Grate wan­deln kann, wis­sen wir aus vie­len anderen Insze­nierun­gen, auch schlechteren als dieser. Bas­t­ian Kraft erspart allen die große Ver­schwörungs­the­o­rie, das gel­lende “Gift­mis­cherin” am Schluß des let­zten Aktes und gibt auch dieser Fig­ur die große Chance zur Indif­ferenz.

Die Welt, in der sich all jenes ver­hält, ist eine syn­thetis­che. Der Büh­nen­bild­ner Peter Bauer hat eine auf die zwölfein­halb Meter große Drehbühne des Haues abges­timmte Rund­kon­struk­tion gebaut, eine überdi­men­sion­ale Vorhangstange, rund­herum mit Gaze verklei­det, sie hängt hoch im Him­mel des Büh­nen­turms. Inner­halb dieses flat­ter­haften Runds sind kre­is­för­mig ange­ord­nete durch­löcherte Ver­satzstücke aufgestellt, von innen beleuchtet, eine Pro­jek­tion von Licht­punk­ten auf den umgeben­den durch­scheinen­den Vorhang. Ein kleines Plan­e­tar­i­um, die Welt, der Kos­mos auf dem Gazeschleier, zudem Abbil­dungs­fläche von großen Schat­ten­bildern von all den Din­gen, die nur bed­ingt inter­essieren, Schw­ertkämpfe und all dem rit­ter­spie­len­den Dekor (“Eine Her­berge”). An des Kleist’schen Zeitgenossen Schinkels Ster­nen­him­mel zu denken, ist da eines, wiederum sich der Konzen­tra­tion auf das Wesentliche anheimzugeben, das Andere. Denn genau dazu dient diese so tech­nisch scheinende Kon­struk­tion, Orte zu schaf­fen für die so unge­mein dicht­en Dialogszenen.

In der “Feuer­probe”, jen­er mys­tisch-verk­lärten Action-Szene Kleists, in der das “unschuldige” Käthchen in den Flam­men des gebrand­schatzten Schloss­es Thur­neck geopfert wer­den soll und von himm­lis­chen Mächt­en – “dem Cherub” – gerettet wird, zeigt sich die Stärke des Büh­nenkonzepts, kein Flam­men­za­uber, keine öde Pro­jek­tion. Das Gazerund von innen rot beleuchtet, Rauch, Text. Der Vorhang fällt wie Jeri­chos Mauern, die kreis­runde stäh­lerne Tragekon­struk­tion fährt hinab, ein neuer Spielort entste­ht aus diesen Grund­mauern. Zum Schluss trudelt eine Fed­er aus dem Büh­nen­him­mel – ein kleines, aber starkes Bild für das uner­hörte Moment dieser Ret­tung, das Unglaubliche, den ret­ten­den Schutzen­gel.

Auf diesem Fun­da­ment nun ruht die Kern­szene des Dra­mas, Käthchens Vision im Hol­un­der­strauch, die Zusam­men­fü­gung der vorbes­timmten Traumwel­ten zwis­chen Strahl und dem “Mäd­chen”. Der Büh­nen­hin­ter­grund schwarz, offen bis zur Brand­mauer, das stäh­lerne Rund, darauf Birte Schnöink im – naturgemäß – weißen Klei­d­chen, die der­ben Stiefel an den Füßen, im gleißen­den Licht von oben, beina­he wie die Verkündi­gungszenen alter Bibelschinken. Jens Harz­er, ganz in Schwarz, fra­gend, tas­tend, mit großer Vor­sicht sich näh­ernd. Seine Dik­tion ist ver­hal­ten und unsich­er. Er berührt zuerst die Stiefel, nähert sich von der Periph­erie, fragt wieder, wartet auf Antworten und erken­nt. Das Dialog­prinzip der Insze­nierung wird hier aufs Äußer­ste konzen­tri­ert, ein Zauber­mo­ment, allein aus diesem Grund muss man ins The­ater gehen.

Ein schon zehn Jahre alter Lyrik­band der Schrift­stel­lerin Silke Scheuer­mann trägt den Titel “Der zärtlich­ste Punkt im All”.
“Obwohl sie behaupten man sehe von oben
den wom­öglich zärtlich­sten
Punkt im All
eine über­große Murmel mit blauem Zen­trum”
heißt es da im Eröff­nungs­gedicht “Flüsternde Dör­fer”. Dort ist es eine Ver­heißung, eine Ver­sprechung, eine Idee. Jedoch, um diesen Punkt für den Augen­blick zu sehen, brauchen wir, hier im The­ater, nicht ein­mal nach oben zu steigen. Und es wird auch etwas ver­sprochen: Es wird sich schon erhellen.

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