Das Thema ist Sprengstoff. Migration, Religion und Terrorismus werden in „Geächtet“ im liberalen Wohlstandsbürgertum New Yorks verhandelt. Allerdings nicht diskursiv, sondern auf persönlicher Ebene. „Das Thema Islam triggert die Furcht in den Menschen“, sagt Autor Ayad Akhtar im SZ-Interview. Und genau mit dieser Angst spielt er in einer explosiven Vier-Personen-Konstellation. Das Original „Disgraced“, 2013 am Broadway uraufgeführt, wurde mit dem Pulitzer Preis für Drama ausgezeichnet. Und ja, es ist ein sehr sauber und stringent gearbeitetes Stück mit einer klaren Dramaturgie bis zum bitteren Ende. Es mag aber vor allem am derzeit für Deutschland brisanten Thema liegen, dass es zeitgleich in Hamburg, München und Berlin auf den Spielplänen steht.
Die Bühne ist rückwärtig durch einen kupferfarbenen Perlenvorhang begrenzt, auf den immer zu Szenenbeginn der zeitliche Verlauf des Stückes projiziert wird. Innerhalb von einem halben Jahr ab dem Spätsommer 2011 geht es hier rasant bergab – was man dem schicken Designersofa, auf dem man sich in gut sitzenden Klamotten lümmelt, zu Beginn noch nicht ansieht (Bühne: Jo Schramm, Kostüm: Karen Simon). Mehr Kulisse brauchen die Schauspieler nicht. Ayad Akhtar schreibt „Geächtet“ in der klassischen angelsächsischen Tradition des Well-made Play und hält die Einheit des Ortes ein. Immer wieder prallen die Figuren hier in unterschiedlichen Konstellationen aufeinander, bis am Ende nur einer übrig bleibt.
Amir (Carlo Ljubek) ist ganz oben angekommen in der amerikanischen Gesellschaft. Er ist Apostat, hat dem muslimischen Glauben abgeschworen. Zu viele schlechte Erinnerungen aus seiner Erziehung sind daran geknüpft. „Weiße Frauen haben keine Selbstachtung“ – das ist nur einer der Sätze, die seine Mutter ihm eingetrichtert hat, wie er seiner Ehefrau Emily (Ute Hannig) erzählt. Die wiederum setzt sich als Künstlerin nun ausgerechnet intensiv mit dem Islam auseinander, ist fasziniert von Weisheit und Reichtum der islamischen Kultur. Amir versucht vergeblich, sie zu überzeugen, dass man diese Werte von der – in seinen Augen rückständigen – Religion nicht trennen könne.
Er ist ein junger, hochdotierter Anwalt in einer renommierten New Yorker Kanzlei, und er wäre nie so weit gekommen, hätte er seinen Namen nicht von Abdullah in Kapoor geändert, davon ist er überzeugt. Der Senior der Kanzlei schenkt ihm eine Buddha-Statue, und das ist ihm nur recht, er will mit seiner Herkunft Pakistan und der muslimischen Religion nicht in Verbindung gebracht werden. Dass eine solche Fassade schnell bröckelt, wird spätestens klar, als er sich von Emily überreden lässt, auf Wunsch seines Neffen Abe (Jonas Hien) einen wegen Terrorverdachts inhaftierten Imam juristisch zu beraten. Der Fall wird ihn beruflich das Genick kosten.
In der Tradition der Erfolgsstücke einer Yasmina Reza blättert der dünne Lack der liberalen Zivilisation bei den Figuren Stück für Stück bis in die offene Konfrontation. Doch liegt Akhtars Fokus auf einer beängstigenden Aussage: Integration, ganz gleich auf welchem Niveau sie gelebt wird, ist ein fragiles Konstrukt. Alte kulturelle Prägungen brechen sich auch nach Generationen noch Bahn. Daran mag es liegen, dass Akhtar in „Geächtet“ eine Mischung aus Boulevardkomödie und Tragik vorlegt, die den Schauspielern teilweise zu schaffen macht.
Das Stück eskaliert bei einem gemeinsamen Abendessen mit Amirs Kollegin Jory (Isabelle Redfern), einer Afro-Amerikanerin, und deren Mann Isaac (Samuel Weiss), einem jüdischen Amerikaner. Letzterer hat Emilys Kunst als Kurator zum künstlerischen Durchbruch verholfen. Und natürlich hatten sie eine Affäre, die letztlich das Ende von Amirs und Emilys Ehe bedeuten wird. Katalysator für die Eskalation des Abends ist allerdings eine Menge Alkohol, sehr früh kommen Themen wie ethnisches Profiling und Verschleierungsverbot auf den Couchtisch. Vor den vier unterschiedlichen biographischen Hintergründen der Figuren läuft das Gespräch so schnell aus dem Ruder wie ein entgleister Zug.
Klaus Schumacher lässt die Figuren in seiner Inszenierung zielstrebig in Richtung Untergang straucheln. Er vertraut der Vorlage und seinem Ensemble, lässt die vier Biografien aufeinander prallen und scheint die Konstellation zu beobachten wie in einem Experiment. Manchmal hätte man sich gewünscht, dass eine Pointe klarer gesetzt oder ein Seitenhieb deutlicher ausgespielt worden wäre. Aber letztlich tut seine sezierende Sichtweise dem Stück gut.
„Geächtet“ ist ein starker Stoff, der mit den Ängsten spielt, die heute in vielerlei Richtungen brodeln. Dass er die Dramaturgien an deutschsprachigen Theatern so überzeugt, liegt vor allem daran, dass er uns die gehobene Gesellschaft eines ehemaligen Einwanderungslandes als Spiegel vorhält. In den USA leben seit mehreren Generationen unterschiedlichste Kulturen neben- und miteinander. In Deutschland, wo man sich erst seit der aktuellen politischen Situation mit der Rolle als Einwanderungsland auseinandersetzt, blickt man mit diesem Stück auf mögliche Konstellationen der Zukunft. Kulturelle Identität ist ein fragiles Konstrukt, das über Generationen hinweg entsteht. Integration ist daher viel mehr als eine Aufgabe. Sie ist eine Haltung, die auch nach Jahrzehnten sorgfältig geübter Rollen von einem Moment auf den anderen zeigt, wie porös sie ist.
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