Es gilt als das Salonstück Oscar Wildes schlechthin: “Bunbury oder Ernst sein ist alles” spielt mit der Form einer Verwechslungskomödie, war aber zur Zeit seiner Uraufführung 1895 in London durchaus als ironische Attacke auf die britische Oberschicht zu verstehen. Eine böse Pointe jagt die nächste, und wenn man Wilde einfach nur so wegliest, kann man schon mal die ein oder andere Spitze übersehen. Regisseur Anatol Preissler ist sich dessen bewusst und setzt in seiner Neuübersetzung und Regie auf konzentrierte Dialogarbeit mit seinen Schauspielern.
Die Freunde John Worthing (Felix Lohrengel) und Algernon Moncrieff (Patrick Abozen) haben sich beide mit einem erfundenen Freund bzw. Bruder die perfekte Carte Blanche zum Freigang erfunden – oder zum “bunburysieren”, wie Algernon das in Anlehnung an seinen erfundenen Freund “Bunbury” gern bezeichnet. Daraus ergibt sich im Lauf des Stücks die ein oder andere hübsche Verwechslung sowie größere und kleinere (Eifersuchts-)Dramen, bis sich am Ende alles in heiteres Wohlgefallen auflöst. Mehr braucht man über “Bunbury” eigentlich nicht zu wissen.
Auch wenn Wilde damit einst die Oberflächlichkeit und Nichtigkeit der britischen Oberschicht angriff, bleibt vom Stück heute kaum Brisanz, sondern vor allem eine gut gebaute Komödie. Und so bleibt der Regie aufgrund der dort benannten gesellschaftlichen Dünkel und Formalien kaum eine Alternative, als das Stück in der damaligen Zeit zu belassen. Diese Entscheidung treffen auch Preissler und sein Team (Bühne: Karel Spanhak, Kostüme: Marrit van der Burgt). Die Schauspieler spielen in reduzierten Versatzstücken eines naturalistischen Jahrhundertwende-Salons oder auf dem quietschgrünen Rasen des Parks vor Löwenstatuetten in historischem Kostüm. Schon daran mag es liegen, dass dieser “Bunbury” etwas verstaubt daherkommt.
Aber beginnen wir von vorn. Denn der Anfang ist ein herrlich zarter, wunderbarer Theatermoment im musikalischen Gewand. Da stehen die Schauspieler in streng formatierter Aufstellung, während es hinten am Prospekt langsam heller wird. Dazu erklingen mehrstimmig die ersten Takte von “All I Need” der Indie-Band Awolnation mit Klavierbegleitung. Das musikalische Arrangement von Jeff Frohner passt perfekt ins Setting, und man wünscht sich, dass diese Entscheidung auch bei den anderen Liedern durchgehalten worden wäre. Leider greift man da gern zum Halbplayback, und spätestens wenn das alternde Paar aus Reverend Chasuble (Frank Jordan) und Miss Prism (Maria Hartmann) sich “You´re the One that I want” aus dem Musical “Grease” entgegensingt, fällt das ästhetisch völlig aus dem Rahmen. Doch ein Ohrwurm, gepaart mit einer witzigen Choreographie, genügt erfahrungsgemäß, um das Publikum in Ekstase zu versetzen, und das geht auch im Ernst Deutsch Theater auf.
Apropos Choreographie: Preissler überlässt nichts dem Zufall. Nicht nur die Dialogregie sitzt perfekt, auch die Bewegungen und Gesten scheinen minutiös durchgetaktet. Am stärksten mag das bei den weiblichen Darstellerinnen ins Auge stechen. Christina Arndt als Gwendolen und Dagmar Bernhard als Cecily haben ihr Gestenrepertoire so verinnerlicht, dass da kaum noch Raum für natürliches Spiel bleibt. Das Kinn nach oben, die Hand ins Haar, sich ihrer weiblichen Reize durchaus bewusst, spielen sie sich hart an der Grenze zur Klamotte durch die Komödie. Dass das dramaturgisch durchaus Sinn macht – sie verkörpern hier in erster Linie Projektionsflächen –, macht es nicht weniger artifiziell und zeitweise langweilig zum Zusehen.
Die verkünstelte Welt, in der die Damen sich bewegen, findet in Lady Bracknell ihre Vollendung. Allerdings schafft es Jens Wawrczeck, seiner Rolle der gestrengen Tante Augusta eine solche Spielsicherheit zu geben, dass man ganz hingerissen zusieht. Dieser Kniff, ausgerechnet die Figur, die die gesellschaftliche Fassade am deutlichsten verkörpert, mit einem Mann zu besetzen, ist gewagt, geht aber voll auf. Elegant umschifft Wawrczeck die Fallen, die das bedeuten könnte. Lady Bracknell ist selbstverständlich aus Standesgründen gegen jede Ehe, die die jungen Bonvivants eingehen möchten. Bei ihr sitzt jede reduzierte Geste, jede gehobene Augenbraue, das Timing im Dialog ist perfekt.
So sehr man die Entscheidung zur gekünstelten Darstellung versteht – passt sie doch zum durchgestylten Dandytum, das Wilde einst lebte –, so schwierig ist es, hinter der Komödie am Ende mehr zu entdecken als die perfekte Fassade. Auch die jungen Männer tun sich mit ihren Rollen nicht leicht, da hilft es auch nicht, dass Patrick Abozen kopfüber auf dem Sofa herumturnt oder Felix Lohrengel mit Teekuchen bewirft. Der Butler spielt die beiden letztlich doch an die Wand – grandios und völlig ungerührt agiert Oliver Warsitz als Diener Lane bzw. Merriman in den beiden Haushalten seiner Herrschaften.
Um es kurz zu machen: Es ist ein vergnüglicher Abend mit feiner Musikauswahl, reizenden Choreographien und einem sehr spielfreudigen Ensemble. Doch gerät das Spiel, ästhetisch austariert bis in die letzte Geste, leider oft zur puren Pose.
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