Eine Idee von Stil

Wider das Formprinzip: »Ariodante« in Lübeck, inszeniert von Wolf Widder

Così fan tutte (Bild: Olaf Malzahn)

Es gibt Rit­uale, an denen gibt es keinen Zweifel. Zumin­d­est nicht in der bürg­er­lichen und in der medi­alen Welt. Dazu gehören Unum­stößlichkeit­en: Die rote Rose ist das Geschenk der wahren und der echt­en Liebe, selb­stver­ständlich wird bei der bevorste­hen­den Traum-Hochzeit die Braut ihre Hochsteck­frisur mit ein paar ver­spiel­ten Schläfen­lock­en Leichtigkeit ver­liehen. Nicht anders ist das in den anderen Spielarten der Unter­hal­tungsin­dus­trie, wir wis­sen, wenn der Geigen­klang im Film sich von Moll nach Dur wan­delt, dann ist das Hap­py End­ing nah. Jedes dieser Stereo­type verur­sacht vor allem ein wohliges Gefühl der Fes­tigkeit, ein entspan­ntes Wahrnehmen von Sicher­heit­en, von Erwart­barem. Die Unwäg­barkeit ist das Geschäft der Unter­hal­tung sel­ten, es ver­langt unbe­d­ingt das Wieder­erkennbare und das min­der Kom­plexe, um einem bre­it­en Pub­likum zu genü­gen. Es ist vor allem ein Aus­druck der Form, der Vor­lage und der Wieder­hol­barkeit sein­er Illu­sio­nen, im besten Falle auch des Wieder­erken­nens. Das ist das Prinzip des Pop.

Nun möge sich trotz­dem allerd­ings nie­mand ein­bilden, dass dies alles eine Erfind­ung der mod­er­nen und kom­mer­zori­en­tierten Ver­w­ert­barkeit von Kul­tur­phänomen sei und ja in der alten Zeit die Kun­st allein der Erken­nt­nis und den pla­tonis­chen Ide­alen des Schö­nen, Guten und Wahren gefol­gt sei. Das ist mit­nicht­en so, der For­mal­is­mus gehört zum Wesen des Wohlbefind­ens unter den Rezip­i­en­ten. Und keine Zeit hat den For­mal­is­mus so auf die Spitze getrieben, wie der aus dem Geist der Zer­störung aufgestiegene Barock, der viel­geliebte Stil der bürg­er­lichen Mit­telk­lasse­bil­dung. Seine For­mal­is­men sind nicht min­der auf­fäl­lig als das immer wieder auftre­tende Intro – Cho­rus – Refrain-Schema des Pop­songs, ver­schleiert nur durch sein arti­fizielles Dekor, aber auch dieses fol­gt der genau artikulierten Form. Wer denn je durch einen der geometrischen Gärten dieser Zeit flaniert ist oder sich an der kon­struk­tiv­en Eigen­heit ein­er Fuge delek­tiert, weiß, was gemeint ist.

Man muss diesen Stil nicht, wie Theodor W. Adorno es tat, als bürg­er­lich-repres­siv betra­cht­en, doch sein Wort vom “struk­tiv­en Wesen” dieser Epoche wiegt schw­er und fordert zur Aufmerk­samkeit auf angesichts ein­lul­len­der Rep­e­ti­tion und Wohlge­fäl­ligkeit. Das bet­rifft auch und ger­ade die “Wieder­ent­deck­ung” von Opern­stof­fen dieser Epoche, sind diese jedoch am wenig­sten für Spiel und Entwick­lung von Fig­uren konzip­iert, son­dern als Num­mern­folge stereo­typer Hand­lungsmuster.

So ist denn auch Georg Friedrich Hän­dels “Ari­o­dante”, die am Lübeck­er The­ater jüngst Pre­miere hat­te, ein the­atralisch über­aus trock­en­er Stoff mit eben­so schlichtem Hand­lungs­gerüst voller Stereo­type. Es  gehört die Geschichte um den Rit­ter Ari­o­dante, der in seinem per­sön­lichen Glück – es ste­hen Thron­folge und die glück­haften Heirat mit der Infan­tin bevor – durch eine hin­terlistige Intrige eines Neben­buh­lers gestört wird, am ehesten in die Kat­e­gorie der Laborkon­struk­tion der Gefüh­le. Genau­so zeigte sie die spätere Aufk­lärung gerne – dort aber in ihrer Ent­deck­ung psy­chol­o­gis­ch­er Zusam­men­hänge. Daran ist jedoch 1735, im Entste­hungs­jahr dieser Oper, noch nicht zu denken.

Trotz­dem erin­nern einzelne Ele­mente dur­chaus an ein weitaus späteres Werk, das mit Täuschung und Exper­i­menten in Liebes­din­gen ungle­ich vir­tu­os­er umge­ht als das in sein­er Zeit gefan­gene Hän­del-Stück: Loren­zo da Pontes »Così fan tutte«. Auch hier gibt es das Moment der Täuschung, den vorgegebe­nen Betrug und, eine im Kern syn­thetis­che Kostümierung, die zur Ver­wirrung der Befind­lichkeit­en führt. Sieht man »Ari­o­dante« als einen dra­matur­gis­chen Vor­läufer und älteres Geschwis­terkind des Mozartschen und da Pon­teschen Exper­i­men­tierkas­tens und set­zt das entsprechend um, lassen sich hin­ter all den For­mal­is­men tat­säch­lich lebendi­ge Charak­tere erah­nen, deren Entwick­lung auch einen heuti­gen Zuschauer inter­essieren kann.

Ariodante
Glit­ter and Be Gay (Bild: Olaf Malzahn)

Und genau das macht Regis­seur Wolf Wid­der in sein­er Lübeck­er Insze­nierung – von Anbe­ginn wird jede Note bespielt. Mit dem ersten Ouvertüren­ton reißt der Vorhang auf, das unter dem über­aus feinge­sponnenen Diri­gat von Andreas Wolf ste­hende Lübeck­er Orch­ester kitzelt von Anfang die aller­schön­sten Far­ben aus der Par­ti­tur und auf der Bühne ist Bewe­gung, Spiel und Tanz. Wid­der gibt den Pro­tag­o­nis­ten Ari­o­dante und Ginevra ein Spiegel­paar zweier Tänz­er (Mar­tin Rup­pel und Alexan­der Wilbert) mit, wom­it zugle­ich das ewige Prob­lem der Barock­op­er, was denn mit den heute über­flüs­sig erscheinen­den Bal­lettmusiken zu tun sei, gelöst ist. Und so nimmt denn die schon erwäh­nte Hand­lung Num­mer um Num­mer, Da-capo-Arie für Da-capo-Arie ihren Lauf. Dabei hil­ft ihm das über die Jahre so gewach­sene Ensem­ble mit seinen Aktiv­posten Evmor­fia Metax­a­ki (Ginevra), Wio­let­ta Hebrows­ka (Ari­o­dante), dem, nun­mehr und bedauern­swert­er­weise schei­den­den, Daniel Jenz (Lur­canio) und Andrea Stadel (Dalin­da) sehr.

Alle sind sie nicht wirk­liche Spezial­is­ten für die end­losen Koloraturen dieses Gen­res, doch gelingt ihnen angesichts der Vor­gabe das Größt­mögliche, näm­lich all den Klis­cheefig­uren von bet­ro­ge­nen Edel­fräuleins, verzweifel­ten Rit­tern und rach­süchti­gen Edlen kurzfristig und für die Dauer ein­er Arie Leben einzuhauchen. Evmor­fia Metax­a­ki hat in ihrer Rolle einen der ganzen starken Auftritte in ihrer an Höhep­unk­ten gewiss nicht armen Lübeck­er Kar­riere, Wio­let­ta Hebrows­ka, die ewig Spielver­liebte, set­zt das Bravourstück dieses Werkes, “Scherza infi­da” in ein­er sän­gerisch nahezu unmöglichen Posi­tion um, am Boden liegend, den Kopf in der Arm­beuge – trotz­dem und ger­ade deswe­gen ein Augen­blick anrühren­der und ger­adezu atem­ber­auben­der Expres­siv­ität. In ihrer schnei­den­den Stimm­führung bril­lant und der alle Char­genknöpfe drück­enden Überze­ich­nung der Schurken­par­tie Poli­nes­so ist auch die Gastaltistin Romi­na Bos­co­lo ein echter Gewinn für diesen Abend.

So ist man denn schnell beim Hap­py End­ing, der Schurke ver­nichtet am Boden und das Paar glück­lich vere­int – so will es die zu erwartende Vor­gabe. Doch der Regis­seur greift vor und nimm das Arti­fizielle, den zukün­fti­gen aufk­lärerischen Moment beim Wort. Ganz wie die Paare ein halbes Jahrhun­dert später – im Labor der Lieben­den der Così – will dann doch nicht die Freude des glück­lichen Endes auf­tauchen. Die ge- und ent­täuschte Ginevra ist gefan­gen in der Erwartung des kom­menden “Glücks”, der glitzernde Kro­n­leuchter des Palastes (Ausstat­tung: Pierre Albert), in dem sie die kün­ftige Herrscherin sein wird, hat sie fast erdrückt und ihre Blicke sind ob all des for­mal­isierten Jubels mehr als zweifel­nd. Wir wis­sen nun, es gibt keine rote Rosen für sie und in der Oper ist alles Schein. In der Mod­erne tritt die Form hin­ter das Indi­vidu­um zurück, nicht übel für ein 282 Jahre altes Stück.

 

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*