Vorweg sei gesagt: Die Rezensentin hatte bislang kein gesteigertes Bedürfnis, nach Neuseeland zu reisen. Natürlich, irgendwann mal, wenn man Geld hat und sechs Wochen Urlaub, dann reist man ans andere Ende der Welt. Also nie. Die Neugier lockte sie aber doch in Anke Richters Lesung ihres Neuseeland-Auswanderer-Buches “Was scheren mich die Schafe?”.
Zusätzlich sei vorausgeschickt: Lesungen sind nicht so mein Ding. Wenn ich lese, will ich meine Ruhe. Wenn ich mir etwas ansehe, ist es Theater, Oper, Kino, also Veranstaltungen, bei denen etwas passiert. Trotz allem bin ich letztlich doch immer wieder überrascht, wie es mich berührt, wenn ein Autor seine eigene Sprache liest. Wie es mich anfasst zu hören, dass sie ihm vielleicht sogar etwas fremd geworden ist. Immerhin hat er sie abgegeben vor geraumer Zeit, und da liegt sie nun gedruckt zwischen zwei Buchdeckeln und ist eventuell gar nicht mehr so nah.
Anke Richter nun vereint das, was ich an Veranstaltungen mag, in die ich für gewöhnlich gehe, mit diesem oben beschriebenen Lesungs-Ding. Sie hat eine Requisitenkiste dabei, in der sie wühlt. Das hat fast etwas von Theater. Darin befindet sich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit: eine Weltkarte (auf der Neuseeland nicht drauf ist); eine Neuseeland-Schürze (auf der nur Neuseeland drauf ist); Ohrwärmer aus Opossum-Fell (wobei sie betont, dass man der Natur dort einen Gefallen tut, wenn man das Fell dieser possierlichen Landplage trage, das sei politisch völlig korrekt); Opossum-Brustwärmer (leider saß die Rezensentin in der achten Reihe, was eine Prüfung von deren Echtheit nicht zuließ); ein aufziehbarer Rugbyspieler (denn: “Sport ist ein wichtiger Topos”); “I love NZ”-Pulswärmer (die sie immer hebt, wenn sie gerade besonders böse Klischees über ihre neue Heimat verliest).
Ihr Buch ist die private Schilderung ihres Lebens in Neuseeland. Anke Richter ist intelligent, sie ist komisch, beim Lesen manchmal fast ein wenig atemlos, deswegen bremst sie sich gerne mal. Acht Jahre lebt sie bereits als Auslandskorrespondentin mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in der Hafenstadt Lyttelton, etwa 15 Kilometer von Christchurch. Und so liest sie mit einer großen Portion Selbstironie und Humor von Motto-Partys, Kölner Karneval und Immigranten-Paranoia, (schließlich baden Deutsche immer nackt, gehen im Stechschritt und tragen Sandalen mit Socken).
Um Eigen- und Fremdbilder geht es und um einen Haufen Klischees, die sie im Laufe des Abends mit Anekdoten aus dem Zuwanderer-Leben munter be- oder entkräftet.
Anke Richter ist alles, aber nicht selbstgerecht. Wenn sie über die Deutschen in Neuseeland berichtet, ist sie bissig, manchmal zynisch, aber meistens einfach urkomisch. Die Motto-Party zum Thema “Battle of Britain” hat sie gemeinsam mit ihrem Mann überlebt, obwohl “unsere karnevals-gestählte Beziehung auf diese Herausforderung” eigentlich nicht vorbereitet gewesen sei: Bei der Kostümwahl musste man Entscheidungen treffen zwischen bandagiertem Bombenopfer oder der Flucht nach vorn: “Vielleicht doch etwas mit Hakenkreuz?”. Beim Maori Education Course begreift sie die tiefe Verbundenheit der Ureinwohner mit ihrer Umwelt, sie bekommt Gänsehaut bei Kriegstänzen am Lagerfeuer und biedert sich doch nicht an. Sie berichtet vom ersten Kölner Karneval in Lyttleton, wo sich beim Schunkeln ihre “Herkunft ungestüm Bahn” brach, und liest mit toternster Stimme: “Jetzt spüre ich endlich auch so etwas wie den Geist meiner Ahnen. Er ist beim Schunkeln in mich gefahren.” Denn, so bemerkt sie trocken: “Die, die deutscher als deutsch ist, ist Anke Richter.”
Dann lacht sie ins Publikum und eröffnet die Fragerunde, die nach zögerlichem Beginn in Gang kommt. Sie wird gefragt nach dem Kulturschock, der sich mit großer Verzögerung einstellt, weil “es einem dort so leicht gemacht wird”; nach dem Februar-Erdbeben in Christchurch, und ob den Menschen die Leichtigkeit dadurch verloren gegangen sei. Sie gerät ins Schwärmen über die Neuseeländer, die ihre Situation mit Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft und ihrer zupackenden Art meistern. 200 Tote, das ist eine nationale Katastrophe für das Land, und die zerstörte Infrastruktur, all das macht ihr zu schaffen. Ihre Stimme klingt ein bisschen belegt, wenn sie das sagt. Diese Frau liebt das Land, das sie sich zur neuen Heimat gewählt hat. Und es wird womöglich lange dauern, bis sie sich wieder einmal die 22 Flugstunden nach Deutschland aufmacht, um unverbesserlich und komisch darüber zu berichten. Dann müssen wir eben nach Neuseeland. Also: Lesen Sie! Reisen Sie! Und berücksichtigen Sie dabei den wohlmeinenden Ratschlag der Autorin: “Wenn Sie nach Neuseeland fahren, tragen Sie gerne Sandalen, aber BITTE ohne Socken! Glauben Sie mir, das schadet uns allen!”
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