Durchhalten vom Ende der Welt bis in die Zukunft

Ein Kurzbesuch auf dem Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel

Es ist Som­mer in der Stadt, und das kann man sehen. Auch auf Kamp­nagel, wo das Gelände sich wie jedes Jahr für das “Inter­na­tionale Som­mer­fes­ti­val” beson­ders hüb­sch gemacht hat. Das muss an dieser Stelle mal gesagt sein: Allein ein Besuch ohne Plan ist zur Fes­ti­valzeit ein Genuss. Was da an Ideen­re­ich­tum, Liebe zum Detail und Design zusam­menkommt, ist alle Jahre wieder beein­druck­end. Und das Pub­likum weiß das. Als ich die heiß begehrte Fes­ti­val­tasche erwer­ben will, ergat­tere ich die let­zte. Und das vier Tage vor Fes­ti­val­ende. Ich bekomme sie geschenkt und ver­spreche, sie in den Tiefen mein­er Tasche zu ver­ber­gen, damit das Rest-Pub­likum nicht nei­disch wird.

Soviel zum Gewand des Fes­ti­vals. Was da inhaltlich zusam­menkommt, ist ein ful­mi­nan­ter Bogen der inter­na­tionalen Theater‑, Tanz- und Musik­szene, und das wis­sen inzwis­chen nicht nur die Ham­burg­er zu schätzen. Mit untrüglichem Gespür lädt Fes­ti­valleit­er Matthias von Hartz hier alles auf das Kamp­nagel-Gelände, was inter­na­tion­al Rang und Namen hat oder drin­gend ent­deckt gehört.

In der Instal­la­tion “The End” darf man sich von den schwülen Tem­per­a­turen draußen erholen. Kün­stler Rag­nar Kjar­tans­son aus Reyk­javik verewigt zwei Lone­some-Cow­boys an diversen Instru­menten in ein­er kanadis­chen Win­ter­land­schaft. Auf fünf Lein­wän­den sieht man sie alles vom Klavier bis zum Schlagzeug spie­len. Und der erhitzte Besuch­er ste­ht staunend in der Mitte des Raumes, wenn die einzel­nen Bilder und Klänge zu einem Ganzen wer­den. Aber nicht nur ein ful­mi­nan­ter Effekt, son­dern ein klares Konzept ste­ht hin­ter Kjar­tanssons Idee: Während seine dick ver­mummten Musik­er sich zwis­chen­durch die rot gefrore­nen Fin­ger kneten, muss auch der Zuschauer Geduld mit­brin­gen, um die winzi­gen Verän­derun­gen auf den Lein­wän­den wahrzunehmen.  Dauer und Durch­hal­ten seien Kjar­tanssons zen­tralen The­men, heißt es auf dem zur Instal­la­tion verteil­ten Zettel. Man möchte gern länger, kann aber nicht. Denn durch­hal­ten muss man gle­ich in k2. Schade. Für diesen Zwang zur Entschle­u­ni­gung hätte man gern ein biss­chen mehr Zeit mit­ge­bracht.

Doch damit darf man gle­ich weit­er­ma­chen bei Forced Enter­tain­ment aus Sheffield, den Alt­meis­tern der Per­for­mance um den kün­st­lerischen Direk­tor Tim Etchells. Mit ihrem neuesten Pro­jekt “Tomorrow’s Par­ties” sind sie in k2 zu Gast und laden zu einem Gedanken­spiel. Die bei­den Per­former Ter­ry O’Con­nor und Robin Arthur ste­hen auf ein­er Europalette unter ein­er bun­ten Lichter­kette. Und da wer­den sie auch bis zum Ende bleiben. Aber so sta­tisch die Ver­such­sanord­nung, so beweglich sind die bei­den im Kopf. “In the future there won’t be coun­tries” begin­nt Ter­ry O’Con­nor das Spiel der Möglichkeit­en. Wie unsere Zukun­ft ausse­hen kön­nte, entwick­eln sie in Phan­tasien, Wel­tun­ter­gangsszenar­ien und kru­den Geschicht­en. Ob es keine Men­schen gibt oder sehr viele oder einige wenige, die unglück­lich sind, weil sie unter Wass­er leben, ob Krieg zu ein­er Art Enter­tain­ment wird (“You know, like sum­mer games?”) oder ob Sex in der Super­mark­tschlange dem­nächst an der Tage­sor­d­nung ste­ht: So absurd die Ideen teil­weise sind, so erschreck­end vorstell­bar wer­den sie im näch­sten Moment.

Sie wären nicht Forced Enter­tain­ment, wenn das nicht eine Mis­chung wäre aus höchst amüsant, bit­ter­böse und ziem­lich anstren­gend. Denn die Visio­nen reißen nicht ab, und man muss wach bleiben im Kopf und konzen­tri­ert bei der Sache, son­st ist man raus. Und das ver­suchen sie mit allen Mit­teln, die das The­ater ihnen bietet. Knapp 70 Minuten fordern sie ihr Pub­likum her­aus, und je später es wird, desto weniger Licht gibt es, desto leis­er sprechen die bei­den, desto mehr zerdehnt sich das Kon­tin­u­um Zeit. Und die Schein­wer­fer sir­ren tröstlich bei den let­zten Fan­tasien, die uns zurück in die Gegen­wart holen: “Or in the future there will be only two peo­ple left.” Und da ste­hen sie die bei­den, die uns eine Stunde geban­nt haben und der let­zte Satz lautet “Or in the future peo­ple will only live for an hour”.
Nach langem Applaus stolpert man hin­aus in den Som­mer­abend mit einem Haufen Bilder und Szenar­ien im Kopf. Und freut sich darüber, dass Sheffield in Zeit­en wie diesen so nah ist und die The­ater­welt so klein.

Wir suchen ihn auch …

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