Wer bin ich?

Cäthe Sielands Debut-Album "Ich muss gar nichts"

 

Gestreifte Hose. (Foto: iman­ic — Foto­lia)

Popmusikalis­che Sehn­sucht­sräume und Iden­ti­fika­tion­s­muster zu beobacht­en ist ja immer ganz hil­fre­ich, wenn es darum geht, sich ein Bild über eine neue Plat­te zu machen. Pop­musik funk­tion­iert in den sel­tensten Fällen über die Musik selb­st, fast nie über das reine Werk, dazu kommt in erster Lin­ie eine Menge anderes Zeug wie Image (Rock – Auf­begehren, Pop – Glam­our, Avant­garde – Intellekt), Ausse­hen (Haare hoch? Haare ab? Nieten? Anzug?), Ziel­grup­pe­naus­rich­tung (Kaufmich! Genau deswe­gen!) und eben die immer­währende und alles entschei­dende Frage nach der Iden­tität: “Wer bin ich?” Früher war das eine Frage für den jun­gen Erwach­se­nen, mit der fortschre­i­t­en­den Adoleszen­zver­längerung in der Gesellschaft fra­gen sich das noch ein paar Opas mehr. Es trifft dann auf den Kün­stler wie auch auf den Hör­er zu, bei­de zusam­men find­en sich in Einigkeit und dann ist ein Fan da. Der wird dann von der Kul­turindus­trie bedi­ent, die Erwartung­shal­tung, die das Image weckt, muß erfüllt wer­den. Der Kon­sens ist so ein­fach.

Wenig ein­fach ist das mit Cäthe Sielands “Ich muss gar nichts”. Die New­com­erin ist, wie es sich gehört, jung, gut ausse­hend und hat natür­lich ein Alle­in­stel­lungsmerk­mal, das irri­tieren soll und muß, ihre beein­druck­ende Stimme. Früher nan­nte man so etwas “Reibeisen­stimme”, und die Damen, die mit so etwas auf­trat­en, tru­gen dann in der Regel ein genau­so wider­borstiges, aber dann auch immer mark­tkom­pat­i­bel teil­do­mes­tiziertes Image. Gian­na Nan­ni­ni, Mar­i­anne Faith­full, Bon­nie Tyler, Tina Turn­er – alle schwanken zwis­chen Selb­st­darstel­lung und dem Klis­chee ein­er weib­lich­er Stärke, die Dinge ver­spricht. Ich muss gar nichts – das schlägt in diese Kerbe, rauhe Stimme, wildes Mäd­chen, Pro­jek­tions­flächen männlichen Pop­kul­tur. Und ein paar Tak­te des Open­ers “Unter mein­er Haut” genü­gen, um an genau jene Musikkas­sette mit “Bel­lo e Impos­si­bile” zu denken, die bei der Fahrt über den Bren­ner anno 1986 im Autora­dio klap­perte, der eine oder andere Syn­thie-Loop kommt anscheinend auch direkt von dieser MC. Mit anderen Worten: Cäthe singt mit so ’ner Art Pow­er-Stimme und es rockt drumherum, als wären Nir­vana nie passiert. Die Plat­te trägt schon zu Beginn eine Led­er­jacke, eine von der ganz abgewet­zten Art.

Nun ist das kein Kirmes-Rock mit irgendwelchen deutschen Tex­ten, was man jet­zt vielle­icht denken kön­nte, so retro ist die Chose nicht. Musikalisch ist da zum Glück mehr drin, schon “Senori­ta” ist eine feine Num­mer mit hüb­schen rhyth­mis­chen Ver­schiebun­gen, schw­erem Curt-Cress-Beat und reich­lich zurück­gelehn­ter Stim­mung, die Stimme nicht ganz an der Rampe ste­hend. Soweit pri­ma, wenn die Sache mit dem Image nicht wäre, denn dazu gibt es lei­der ein fürchter­lich­es Video, das die Sän­gerin in dieser ver­lo­ge­nen Riot-Girl-FuckMe-Pose (Kor­sage! Kam­er­aflirt!! Abbruch­haus!!!) zeigt, die einem im Buch­laden an Rubriken wie “Freche Frauen” denken läßt. Und dum­mer­weise ist der Text zu diesem Song dann auch noch aus dem Jar­gonkistlein ein­er Selb­sthil­fe­gruppe entsprun­gen:

“Meine Schwest­er ist ein depres­siv­er Schwan
Ihre Augen sind trübes Glas.
Ich male Man­dalas auf die Tape­ten um sie herum …”

Cäthe schreibt – guter Ton für anständi­ge New­com­er, die, laut Pres­se­text, einen Pop­kurs absolviert haben – ihre Texte selb­st. Das geht mal poet­isch ganz gut (“Ding”), rutscht mal in die doofe Mack­er­at­titüde (“Kau­gum­mi”) und ist manch­mal sog­ar ganz lustig (“Spir­ituell”). Die Bilder sind in der Regel etwas abge­grif­f­en (“Ich grüß den Pflaster­maler von Paris …”) aber irgend­wie in Ord­nung. Die Songs sind gut pro­duziert, gute Musik­er mis­chen da im Hin­ter­grund mit und wenn es mal nicht ganz so röhrend nach vorne geht, kommt ein schönes warmes Tim­bre zum Vorschein, dessen Brüchigkeit nichts mit oller Rock­röhren-Herrlichkeit zu tun hat. (“Bleib hier”, “Ich muss gar nichts”) Die Stimme ist wirk­lich inter­es­sant und auch beein­druck­end, da gibt es keinen Zweifel. Aber so ganz ist noch nicht klar, wo die Reise wirk­lich hinge­hen soll. Man sollte das beobacht­en.

[xrr rating=3/5]

Cäthe: Ich muss gar nichts [Ama­zon Part­ner­link]

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*