Disco No. 11

Impressionen von der Frankfurter Buchmesse 2011

Slide 1
Slide 2
Slide 3
Slide 4
Slide 5
Slide 6
Slide 7
Slide 8
Slide 9
Rigid­in­g­rigid­in­g­rigidigidigid­ing – das junge blonde Mäd­chen mit der viel zu großen Brille skandiert mit bei­den Zeigefin­gern einen Dance­floor­feger der Jahrhun­der­twende und schaut rhyth­misch entrückt. Etwas weit­er vorne im Getüm­mel schre­it SPIEGEL-Kul­turchef Matthias Matussek dem Kisch-Preis-Träger Alexan­der Osang etwas ins Ohr. Der Worte sind an einem anstren­gen­den Mes­se­tag in Frank­furt genug gewech­selt und die Bücher­mäd­chen und die Jungs mit den Bärten und Nerd­brillen wollen tanzen. Man sieht sog­ar Sneak­ers zum Anzug – you’re so Berlin, yeah! Wo son­st Frank­furter Bankangestellte den Frust der Eurokrise wegschüt­teln wollen, im schick­en “Vel­vet Club” feiert der Piper Ver­lag die Buchmesse. Es ist schon so, daß sich Form und Inhalt paaren.

*

Es gibt ja diese kleinen Spielzeug­pap­pdinger, mit denen man Worte zusam­menset­zen kann, zum Beispiel Schimpf­worte. Das sind dann 3 oder 4 kleine Räd­chen, an denen man drehen muß, damit sich in Fen­stern die Wort­teile zusam­menset­zen. Dann kommt dabei so was Putziges raus wie “Blöd-stink-gesicht” oder Ähn­lich­es. Es ist höchst wahrschein­lich, daß die Ver­lage, die diese his­torischen Romane Jahr für Jahr her­aus­brin­gen, solche kleinen Pap­präd­chen für ihre Titel haben. Auf dem ersten Räd­chen ste­hen dann Dinge wie “Die Frau”, “Der Weg” oder “Die Spur”, in der Mitte ist dann die passende Kon­junk­tion einge­druckt, und dann kom­men die Sig­nal­worte wie “Papst”, wahlweise “Päp­stin” oder “Falke”. Kann man gut pro­bieren: “Die Frau des Rit­ters” – exzel­lent! – “Die Frau des Pap­stes” – noch bess­er! – “Der Weg der Päp­stin” – Erfol­gsti­tel 2013.

*

Manch ein­er mag sich noch an die “Edi­tion Suhrkamp” erin­nern. Da erschienen dann Titel wie Theodor W. Adornos “Min­i­ma Moralia” oder Thomas Bern­hards Nov­el­le “Ja”, und hüb­sch waren die Bänd­chen auch, der Schutzum­schlag war vom Meis­ter Willi Fleck­haus selb­st gestal­tet. Die Edi­tion hieß nach dem Ver­leger, der set­zte seinen guten Namen unter das Werk. Sozusagen eine sig­nifikante Buchrei­he. Heute ist die Hälfte des Ran­dom House-Standes mit Plakat­en ein­er “Edi­tion Hei­den­re­ich” tapeziert. Da gibt dann ein plau­driges Fernse­h­gesicht (“Meine bei­den Lei­den­schaften: Musik und Büch­er”) seinen Namen für Titel wie »Der stumme Pianist« und »Ich hänge im Tri­olen­git­ter«.

*

Die Mienen sind erwartungsvoll und die gut zwei Dutzend Men­schen, in der Überzahl Frauen, blick­en auf die Bühne eines ziem­lich großen Standes. Sind das etwa die gle­ichen Bücher­mäd­chen, die in der Nacht zuvor im coolen Vel­vet die Glieder schwenk­ten? So ganz ist das nicht auszuschließen, aber auch nicht nach­weis­bar, schließlich war es da ziem­lich dunkel. Auf der Bühne ste­ht ein drahtiger Anfangs­fün­fziger in einem sehr blauen Hemd und hat ein Head­set auf. Es ist Robert Betz, das kann man auf den Tafeln lesen, die über­all hän­gen. Auf denen ste­ht der Name und man sieht seinen Kopf. Das Head­set fehlt, dafür hat er eine Brille auf, auf dem Bild. Eines sein­er Büch­er heißt “Willst du nor­mal sein oder glück­lich?” Das Geschäft scheint zu laufen, so große Stände hat son­st Ber­tels­mann oder so. Der glück­liche Herr Betz sagt wirk­lich erbauliche Dinge: “Und wis­sen sie was, ich sage ihnen eins: Gefüh­le müssen gefühlt wer­den.” Das ist wirk­lich stark.

*

Drei kleine Män­ner: Rein­hold Mess­ner ist ein ziem­lich klein­er Mann, den man, flankiert von seinem Gefolge, im Getüm­mel fast über­sieht. Eugen Ruge ist auch recht klein, nur hat der kein Gefolge. Immer­hin hat er den Buch­han­del­spreis gewon­nen für sein spätes Debüt “In Zeit­en des abnehmenden Lichts” bei Rowohlt.

Ein gefeiertes Buch, sprach­lich fein, aber wohl auch nicht so groß wie seine Lor­beeren. Vielle­icht sollte man das im HHF besprechen. An dem ger­adezu winzi­gen Stand des Ham­burg­er Insti­tuts für Sozial­forschung, der kaum mehr als eine Abseite ist, sitzt ein weit­er­er klein­er Mann mit Bart und Brille. Es ist zwar selt­sam, aber Jan-Philipp Reemts­ma zu pho­togra­phieren, ist unmöglich. Zuviel Zurück­hal­tung.

*

Alice Schwarz­ers beste Fre­undin ist Mar­garete Mitscher­lich, das erzählt sie Frank Schirrma­ch­er und ein­er großen Men­schen­traube am FAZ-Stand. Eva Mattes ist später dort, sie hat ein Buch geschrieben. Was wirk­lich schlimm ist, ist diese unglaubliche Mat­tesche Schaus­pielerin­nen-Aura, die auch noch im Zwis­chen­gang zu spüren ist. Wie auf der Bühne bei Peter Zadek damals, nur Jahre später und näher dran.

*

Ach, diese Englän­der. Da haben sie zwar Jahrhun­derte die Welt kolonisiert und ziem­lich viele Sachen mit nach Hause gebracht. Aber Geschmack haben sie. Der Direk­tor des British Muse­um, Neil Mac­Gre­gor, trägt einen grauen Anzug aus der Jermyn Street, Maßschuhe und entspricht auch son­st der Vorstel­lung des britis­chen Gen­tle­man. Er plaud­ert gewitzt und gelehrt über sein denkwürdi­ges Geschichts­buch “Die Geschichte der Welt in 100 Objek­ten”, ein so dick­er Wälz­er, daß er nicht auf den Cof­fee-Table paßt. Wie Dinge aus einem Muse­um ihre Geschichte erzählen, ist bemerkenswert und warum vorher noch kein­er auf diese Idee gekom­men ist, ver­wun­der­lich.

*

Kleist­jahr ist ja auch. Sog­ar im Fernse­hen. Da gibt es einen Trail­er auf 3Sat, der auf einen Kleist­film zum Todestag hin­weist. Schluß­bild: Ein Mann, wohl die Kleist­fig­ur, sitzt mit einem Lap­top im Baum, dazu Kleist­briefe aus dem Off. Manch­mal sind Spartenkanäle auch nicht das Wahre. Wobei das anschließnde Gespräch mit Adam Soboczyn­s­ki und Gün­ter Blam­berg­er, bei­de mit Kleist­titeln auf der Messe,  das reine Vergnü­gen an Ken­ner­schaft und Elo­quenz ist, sog­ar Mod­er­a­torin Tina Mendel­sohn ist gut informiert.

*

Zwei Tage nach der Piper-Par­ty postet Matthias Matussek auf Face­book: “Was für ein schön­er stiller Mor­gen!” Er ist in der Benedek­tin­er­a­btei Maria Laach.

Ein paar der mit­ge­bracht­en Büch­er
[Ama­zon Part­ner­links]:

Eugen Ruge:
In Zeit­en des abnehmenden Lichts
Eva Mattes:

Wir kön­nen nicht alle wie Berta sein«:
Erin­nerun­gen

Neil Mac­Gre­gor:
Die Geschichte der Welt in 100 Objek­ten

Adam Soboczyn­s­ki:

Kleist. Vom Glück des Unter­gangs

Gün­ter Blam­berg­er:
Hein­rich von Kleist: Die Biogra­phie

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*