Im dritten Teil unseres Interviews äußert sich Ludwig von Otting zu Vergangenheit und Zukunft in der Hamburger Kulturpolitik und beschreibt seine persönlichen Bühnenleidenschaften. Unseren bereits veröffentlichten 13-minütigen Interview-Film “Der Ermöglicher” finden sie auf dieser Seite des HAMBURGER FEUILLETONS.
Stichwort Hamburger Kulturpolitik: Das muss natürlich kommen, wir haben eine hartes Jahr hinter uns (Anmerkung: Das Interview wurde im März 2011 geführt), mit den ganzen Schauspielhausquerelen, von ihnen stammt dieses sehr deftige Zitat mit dem “rostigen Nagel im Kopf”. Gab’s da ein Feedback, kam da was zurück von der Behörde?
Nein, überhaupt nicht. So ein paar Behördenmitarbeiter haben mir zugeflüstert, dass sie das Klasse gefunden hätten. Aber das Zitat, das muss man dazu sagen, war gemünzt auf den Finanzsenator und auf keinen anderen, von dessen Haushaltsdirektor stammt eigentlich dieser Satz, dass er nicht versteht, warum die Staatstheater Subventionen brauchen, wo der “König der Löwen” ohne Subventionen auskommt.
Die reagieren nie auf so was. Ich weiß zwar, dass ich in der Kulturbehörde eine dicke Personalakte habe. Frau von Welck hat mir mal irgendwelche polemischen Verfehlungen vorgehalten, die echt 15 Jahre zurück lagen, die in der Zeitung damals zitiert worden waren. Das sammeln die alles.
Ein Dossier von Otting?
Eine Personalakte. Das ist ja erst mal ein normaler Vorgang. Und als ich erfuhr, dass ich eine habe – ich wusste das gar nicht – habe ich gebeten, sie mir zu zeigen, und dann haben die mir dann dieses dicke Ding vorgelegt. Dann hab ich gesagt, Leute, steckt’s wieder weg, ich will’s gar nicht sehen.
Hat sich was verändert, wir haben eine Wahl gehabt? Ist die Krise jetzt vorbei?
Sagen wir mal, wir haben ganz gute Chancen auf eine professionelle Behördenleitung, das macht erst einmal gute Laune. Aber was daraus wird, das weiß der liebe Himmel. Ich bin da vorsichtig. Die Gescholtenen sind oft die diejenigen, denen man hinterher am dankbarsten ist, und die von allen gehyped und geliebt werden, sind oft die, die man am wenigsten achtet, da habe ich schon sehr verschiedene Sachen erlebt. Müssen wir mal abwarten
Ist die neue Kultursenatorin Barbara Kisseler so eine Art Hoffnungsträgerin für die Hamburger Kulturszene?
Naja, die Hoffnung wird ja, wenn man so will, vom Bürgermeister getragen. Der hat tatsächlich der Kultur demonstrativ den Rang eingeräumt, zu sagen, ich brauche da eine gute erste Besetzung und hat das dann auch umgesetzt.Das macht einem schon Hoffnung, wenn Kultur nicht das letzte Ressort ist, wo sie monatelang irgendwen suchen und dann aus irgendeinem Winkel irgendjemand hervorzerren, der dann diesen Job macht.
Da haben wir ja auch eine leidvolle Geschichte hier in Hamburg …
Leidvolle Geschichte, ja. Man kann aber auch einen sehr tollen Kultursenator haben, über den man sich persönlich schwarz ärgert, weil der vielleicht andere Sparten oder Institute bevorzugt. Wir haben gottseidank mit denen nicht soviel zu tun.
Um mal die Kirche im Dorf zu lassen, die Kulturbehörde muss erstens den Intendanten bestimmen alle 5 Jahre, dann ist das wichtigste Kapitel abgeschlossen, und dann müssen die zusammen mit dem Aufsichtsrat darüber wachen, das wir unser Geld anständig ausgeben, aber das ist eigentlich auch nur ein darüber wachen, und wenn wir das anständig machen, dann mischen die sich auch nicht weiter ein.
Und dann gibt’s 3. immer mal ein paar Sonderprobleme, am Rande und drum herum, da gibt’s in der Behörde ein paar Leute, die sehr hilfreich sind, die man fragen kann.
Da sind sicher etliche kompetente Figuren in der Behörde, die haben halt in letzter Zeit nicht mehr sehr gut zusammengearbeitet, unter den verschiedenen Leitungen brach das alles ein und wurde immer grösser.
Frau von Welck hatte den Apparat nochmal aufgeschwellt, für eine Million neue Stellen geschaffen – vollkommen wahnsinnig – das sind jetzt hunderte von Menschen in dieser Behörde. Sie haben für jeden Staubfussel ein eigenes Referat, ein Sekretariat und so, aber der Output ist eher überschaubar.
Nun gibt es offenbar die Pläne, den Riesenballon, die Elbphilharmonie, diesen Etat vielleicht in eine andere Behörde zu verlagern. Das kann unter Umständen vielleicht entlasten …?
Das ist ja wurscht, wenn die das von der Brusttasche in die Seitentasche oder in die Hosentasche schieben.
Hamburg muss dafür zahlen, die müssten einen Betriebshaushalt herzaubern und pro Jahr bestimmt einen zweistelligen Millionenbetrag aufbringen, um diese Institution überhaupt vernünftig zu führen.
Das ist schon ein enormes Kuckucksei, was sich die vorige Regierung da geleistet hat, ohne tatsächlich die Kosten zu überblicken, ohne sie kontrollieren zu können. Das ist handwerklich das größte Desaster, von dem ich jemals aus so einer Nähe Kenntnis genommen habe.
Zurück zum Theater – gibt es Stücke, die so richtig kleben geblieben sind über die Jahre?
Natürlich eine ganze Reihe von Inszenierungen gibt es, die für mich persönlich sehr wichtig sind, und große Erlebnisse waren. Es gibt jedes Jahr ein, zwei Inszenierungen die ich großartig finde. Ich bin jemand, der ins Theater geht und an irgendeiner Ecke aufgeregt werden möchte. Ich möchte nicht beruhigt werden, nicht erhoben werden, ich möchte eine Szene sehen, die mich total überrascht, eine Figur sehen, die so ist, wie ich sie noch nie gesehen habe in der Rolle.
Als Beispiel: Fritz Lichtenhahn als Zettel im Sommernachtstraum von Gosch in 1987. Das war keine durchgehend geglückte Aufführung, aber dieser Fritz Lichtenhahn ist mir – da gibt es einen Monolog von Zettel, wo der erwacht aus seinem Traum – der ist mir so unvergessen, dass ich häufig – zuletzt übrigens heute morgen – daran denken muss. Das ist einer der ganz großen Theatermomente meines Lebens.
Dann kommen natürlich Arbeiten von Flimm, sein Platonov, auch früher schon, in der Gobert-Zeit, gab es Flimm-Aufführungen, “Soldaten” und “Eduard II.” und so was, die für mich einfach zum Fundus dessen gehören, was meine Erinnerungsexistenz ausmacht. Und dann Wilson, natürlich “Black Rider”, das ist für mich mein Produktionsgroßereignis gewesen, weil ich da auch persönlich sehr stark am Zustandekommen beteiligt war. Das geht hin bis zu Kriegenburg, von dem es großartige Aufführungen, wie “Die schmutzigen Hände” oder “Das letzte Feuer” gab, die ich wahnsinnig geliebt habe.
Mit die besten Aufführungen von Kriegenburg waren in der Gaußstrasse, die hat, etwas pointiert gesagt, kein Mensch gesehen, da gab es mal so eine Reihe von Kurzinszenierungen, das “Magazin des Glücks”, Texte von Dea Loher. Zum Beispiel der Monolog, wo Markward Müller-Elmau hinter einer Milchglasscheibe die Frau von Helmut Kohl gespielt hat, klingt nach einem schlechten Scherz, war’s aber nicht. Das war einer der bewegendsten und berührendsten Momente, die Frau, die durch ihre Lichtallergie daran gehindert war, die Welt noch wirklich wahr zu nehmen …
Es gibt aber auch in dieser Ägide Inszenierungen, die ungeheuer wichtig sind, ich finde der “Woyzeck” von der Jette Steckel ist so eine Aufführung. Ich bin sehr glücklich, dass Luk Perceval jetzt hier ist, dessen “Hamlet”, dessen “Othello”, sind unfassbar gute Aufführungen. Ich kann mich immer wieder neu entzünden, deswegen bin ich am Theater, weil ich mich so gern in Flammen setzen lasse, weil ich das genieße. Ich genieße es aber auch, wenn ich heulen kann im Theater. Wenn es richtig zur Sache geht, können sie mich Rotz und Wasser heulen sehen, und ich amüsiere mich auchgerne. Ich liebe die Schauspieler und die Regisseure dafür, da geht so richtig mein ganzes Herzblut rein.
Bei dieser Begeisterung, wie wird das sein, wenn sie einmal nicht mehr direkt an so einem Haus arbeiten, wird das schwer werden für sie?
Ich freu mich darauf, wenn ich mal endlich Theater sehen kann, ohne dafür immer verantwortlich zu sein oder es aus einem Konkurrenzblick zu sehen. Ich geh jetzt schon sehr gern in andere Theater, wo ich einfach entspannt was gucken kann, wo ich auch Inszenierungen sehen kann, die ich toll finde, wo aber die Leute rausgehen in Scharen, was ja bei mir im Theater doch ziemliche Kopfschmerzen macht, ich hab’s gar nicht gern, wenn die Leute die Aufführungen hassen.
Theater ist nicht immer Herzblut, es ist auch manchmal Galle, ich ärgere mich auch oft über unseren eigenen Kram, ich genier mich oft in Grund und Boden und ich warte halt immer wieder darauf, dass ich angezündet werde, dass es mich zu Tränen rührt und das passiert auch immer wieder. Ich bin froh, wenn ich neue Inszenierungen sehe, Handschriften entdecken kann und neue Zugänge finden kann, zu Stücken die ich schon x‑mal gesehen habe
Gibt es noch andere Kollegen, bei denen Kunst und Verwaltung ähnlich eng verzahnt sind.
Die haben alle irgendwie ne kleine Neigung zur Kunst, mal mehr, mal weniger. Die meisten sind eher ein bisschen trocken natürlich, der Typus verhinderter Künstler, der ich bin, der ist nicht der Regeltypus.
Wär das ein Job gewesen, wenn jemand gesagt hätte: Retten sie das Schauspielhaus?
Das kam ja immer wieder, Flimm hatte ja schon Angebote, das Schauspielhaus zu übernehmen. Als ich so Mitte 40 war, hab ich gedacht, das wär eine Aufgabe, inzwischen denk ich mir, das muss ich mir nicht mehr antun.
Das ist ein schweres Haus, oder?
Viel schwerer als das Thalia, das Thalia ist ja ein Geschenk. Das Schauspielhaus ist eine Aufgabe, das Thalia ist ein Geschenk.
Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch!
Da nich für …
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