Was ist das, wenn Moderatoren mit großen Schneebesen in Babybadewannen herumrühren, bärtige Männer wie Lerchen singen und Deutschlands bester Jazzbassist sein Instrument beklopft? Wer dabei an die Fortsetzung von Arthur Dents Abenteuern denkt, ist zwar auf dem Holzweg, aber so ganz weit entfernt von Douglas Adams absurdem Großwerk ist das nicht. Bei der “Unwahrscheinlichen Nacht” auf Kampnagel ging es um den Balanceakt zwischen Wissenschaft und Wahrnehmung, Weltsicht und Welterschaffung. Ein ziemlich weltumspannendes Thema also. Die auf dem ersten Blick heterogene Runde aus den Wissenschaftsjournalist Volker Arzt und Max Rauner, der Künstlerin Ines Bargholz von der Elfenschule Schaalsee, dem Naturkundler Uwe Westphal, den beiden Autorinnen Silke Scheuermann und Christiane Neudecker und dem Jazzduo Jan Roder und Alexander Danullis fand in der Tat zusammen.
“So habe ich mir immer vorgestellt, wie Pflanzen miteinander kommunizieren …” sagte Volker Arzt im Anschluss an die Veranstaltung. Er meinte das freie Spiel der beiden Musiker, die sich ganz offenbar vom Thema des Abends inspiriert fühlten und im Laufe des Abends einen immer intensiveren Dialog entwickelten. Volker Arzt präsentierte spektakuläre Videoeinspieler aus seiner Dokumentation “Kluge Pflanzen”, die heute in ganzer Länge in der ARD läuft. Naturwahrnehmung und der Bericht darüber ist häufig durch den ersten Blick geprägt, seine Beobachtungen aus der Pflanzwenwelt sind anderer Art als das Brutverhalten braungefiederter Schnepfen im Unterholz. Den zweiten – vielleicht auch den dritten – Blick auf die Natur eröffnete auch Ines Bargholz. Betrachtet man deren Elfenschule als esoterische Naturspinnerei, tut man der Sache extrem Unrecht. Dort geht es nicht um Schreie im Wald, sondern um intensives Naturerleben und Wahrnehmungsveränderungen. Zusammen mit ihr trat der Naturführer und leider oft als “Vogelstimmenimitator” vorgeführte Uwe Westphal auf, beide bezeichnen sich als “seelenverwandt”. Auch er, obwohl Naturwissenschaftler, versucht die Welt nicht systematisch zu erfassen, sondern erzählte von sehr ursprünglichen Erfahrungen. Das Moderatorenpaar, der Autor Matthias Göritz und Lesetage-Programmleiterin Barbara Heine ließ den beiden “Naturspinnern” respektvollen Raum für ihre Betrachtungen. Und es gelang auch, die Naturstimmen ins Programm einzubinden, ohne Uwe Westphal als Zirkusnummer zu inzenieren. Jedenfalls wird jeder der 300 Besucher dieser Veranstaltung in Zukunft wissen, wie es sich anhört, wenn Julia ihren Romeo aufzuhalten versucht, Nachtigallensang und Lerchenschlag im Ohr.
Eigentlich muss man über Silke Scheuermanns Naturlyrik nicht mehr viel sprechen, die Frankfurter Autorin gehört zur allerersten Garde der jungen deutschen Poeten, bildsicher, stark, von gutem Ton. Das bestätigte sie auch an diesem Abend, mit der ihr eigenen Zurückhaltung, eine unprätentiöse Performerin ihrer Kunst. Im Sinne des Wortes flankiert wurde sie von den beiden Musikern – ein schönes Bild. Die darauffolgende Erzählung von Christiane fiel merklich ab. Ihre Erzählung “Gerufene Geister oder: Der Carpenter-Effekt” bedient sich der nur allzu bekannten Mittel der “unheimlichen” Literatur, eine Ferienlager-/Internats-Geschichte, wie sie im kulturellen Gedächtnis spätestens seit Peter Weirs “Picknick am Valentinstag” verankert ist. Mit den Poe oder Hoffmann, deren Befremdung ja in erster Linie aus der behutsamen Hinführung des Alltags in das Ungewöhnliche herrührt, hat das wenig zu tun, schon in den ersten Absätzen ist der Fortgang der Geschichte offenbar. Das ist zwar routiniert geschrieben und schreibtechnisch sauber, aber langweilig.
Die Welt des Andersartigen endete mit einer Einführung in den heutigen Forschungsstand der Physik. Max Rauners “Verrückte Welt der Paralleluniversen” ist bestes Science-Entertainment in angelsächsischer Tradition. Ob Quantentheorie oder String-Theorie, kein aktuelles Welterklärungsmodell wird ausgelassen. Den beiden Moderatoren machte es sichtlich Spaß, die bildhaften Darstellungen Rauners live umzusetzen. Um das Badewannenrätsel vom Anfang zu lösen: Wie die Seifenblasen in der Badewanne reihen sich gemäß der String-Therie die parallelen Universen aneinander … alles klar?
Ein schöner Konzeptabend war das, facettenreich und klug, ohne anbiedernd zu sein. Gäste, die unterhaltsam etwas zu einem gemeinsamen Thema zu erzählen haben, wären vielleicht auch endlich mal eine andere Idee für eine Talkshow … und da wäre dringend Bedarf.
Uwe Westphal: Wilde Hamburger
Silke Scheuermann: Der zärtlichste Punkt im All
Silke Scheuermann: Über Nacht ist es Winter
Christiane Neudecker: Das siamesische Klavier
Max Rauner: Die verrückte Welt der Paralleluniversen
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