Eine Münchnerin in einem New Yorker Musical der 80er Jahre, geschrieben von einem kongenialen jüdischen Duo, inszeniert von einem Wiener Regisseur – und das Ganze singt und spricht sich “op Platt”. Und das Verrückte daran: Es funktioniert. Denn eins muss man ihm lassen, dem Musical-Klassiker “Little Shop of Horrors”, man wippt sofort mit. Nicht umsonst eroberte die Vorlage von Komponist Alan Menken und Autor Howard Ashman den Off-Broadway im Sturm und wurde 2209mal gespielt.
Aber muss man das auf Platt machen? Muss man nicht, aber man kann. Als bekennender Fan des Films bleiben zu Beginn einige “Verhörer” nicht aus – bis man merkt, was den Reiz des Hamburger Platts in dem Stück ausmacht. Da passiert dieses “lütte” Augenzwinkern, das in all dem liegt, ganz von allein. Und das Platt passt durch seine phonetische Nähe zum Englischen besser in die Lieder als die deutsche Übersetzung es tut. Ob man ein solch musikalisches Unterfangen in einem Haus wie dem Ohnsorg Theater wagen muss, ist die zweite Frage, die sich stellt. Und auch hier muss man mit einem anerkennenden Pfiff durch die Zähne zugeben: muss man nicht, aber man kann.
Getragen wird der Abend musikalisch hervorragend von der Band um Stephan Ohm. Die Schauspieler von Horst Arentholt bis Sandra Keck meistern die Herausforderung mit Verve und der sicheren Gewissheit, dass der Ohnsorg-Klassiker “Wi rockt op platt” schon immer gut angekommen ist. Dass da der eine oder andere Ton mal daneben geht, verzeiht man gern. Dass die Stimmen des Ensembles zum Teil der Musical-Darstellerin Elisabeth Ebner (Ortrud) nicht gewachsen sind, auch. Wenn Ebner – übrigens wie Regisseur Anatol Preissler ein Wien-Import – “Dor meern in´t Gröön” singt, braucht es keine Effekte. Ein Fenster, an dem sie sitzt, und der feine Text mit seinem Klischee vom Plastikschonbezug auf der Couch im Vorstadtidyll – da passiert ganz viel, ohne das etwas passieren muss.
Dass das Augenzwinkern auch in Anatol Preisslers Inszenierung immer wieder auftaucht, macht die Sache rund. Wenn Blumenladenbesitzer Muschnik, sein Angestellter Simon Krellborn und Kollegin Ortrud auf (ausbleibende) Kundschaft warten, ist die Bühne schwarz, und über ihnen leuchtet eine Uhr, auf der die Zeit unweigerlich und ereignislos vergeht.
Zwischendrin ein paar Sekunden Licht, und die Belegschaft in absurdesten Positionen, schlafend, gähnend, lesend, Locken mit der Gartenschere ondulierend. Das sind komische, starke Bilder, und so langsam die Zeit im Laden vergehen muss, so vergnüglich sind diese Momente für das Publikum.
Ein echter Gewinn sind die Straßengören – oder Soulgirls, wie es im Programmheft heißt –, die die Handlung singend kommentieren. Nach anfänglicher Unsicherheit flutscht es musikalisch und choreografisch, dass es eine wahre Freude ist. Sandra Keck, Tanja Bahmani und Silke Muriel Fischer rocken die Bühne in diversen Outfits von der Krankenschwester in “Tähnarzt” bis zum Gartenzwerg nach Ortruds melancholischer Vorstadtfantasie. Die detailverliebten Kostüme von Christine Jacob machen mindestens genauso viel Spaß wie die Soulgirls darin.
Es gibt Lieder, die zum Teil musikalisch enorm verlieren, das bleibt nicht aus. “Tähnarzt” beispielsweise: Im Film spielt Steve Martin den lachgassüchtigen Sadisten und Zahnarzt mit Mutterkomplex grandios. Und auch Oskar Ketelhut als Dr. med. dent. Ortwin Skambraks füllt die Rolle im Spiel mit Leichtigkeit und Witz; musikalisch aber ist er ihr definitiv nicht gewachsen. Auch Ortruds Widerpart Erkki Hopf als Simon Krellborn hat so seine Schwierigkeiten, neben einer Musicalstimme wie der Ebners zu bestehen. Aber im Spiel changiert er mit Komik zwischen Nerd und Liebhaber.
Mit dem Puppenspieler, der die fleischeslustige Pflanze mit Leben füllt, hat das Ohnsorg Theater einen echten Glücksgriff getan. In allen Wachstumsphasen wird die Pflanze Ortrud twee zum Bühnenstar, sobald sie was zu sagen hat. Spitzen-Nummer: “Etestiet” (im Original: “Suppertime”). Zum Glück kann sich (der unsichtbare) Patrick James O´Conell als Stimme der Pflanze ganz auf den Gesang und die bösen Texte konzentrieren. Gleich fünf Rollen spielt Markus Gillich – und jede hat was. Gillich macht wunderbares Schauspielerfutter aus jeder einzelnen.
Insgesamt sind es drei Komponenten, die diesen Abend sehenswert machen: Gutes Handwerk und geballte Spielfreude auf der Bühne; eine Detailversessenheit und –verliebtheit von Regie, Bühne und Kostüm; und natürlich die Neugier darauf, wie das wohl so funktioniert – op Platt.
Diese Rezension spricht mir komplett aus der Seele. Ich habe den “Lütten Horrorladen” letzten Donnerstag gesehen und bin so begeistert von der Inszenierung, dass ich mir für nächsten Dienstag gleich nochmal eine Karte besorgt habe.
Die plattdeutsche Umsetzung des genialen Broadway-Musicals ist rundum gelungen, die Inszenierung mit ihren liebenswerten Figuren und der faszinierenden Puppe der fleischfressenden Pflanze “Ortrud twee” ist einfach super. Wer den Film “Little Shop of Horrors” liebt und die plattdeutsche Sprache versteht, wird nach dieser Inszenierung verrückt sein!!!