Alles im Lack

Anselm Reyle in den Deichtorhallen

Anselm Reyle scheint mit seinen Werken einen Nerv bei Samm­lern, Galeris­ten und Kri­tik­ern getrof­fen zu haben. Er ist in der inter­na­tionalen Kun­st­szene ein Phänomen. Nimmt man den Mark­twert sein­er Werke als Maßstab für seinen Erfolg, dann kann man ihn als bedeu­ten­den Kün­stler beze­ich­nen. Seit knapp 10 Jahren betreibt er in Berlin ein Ate­lier mit mehreren Angestell­ten.

Er selb­st beze­ich­net sein Ate­lier als eine Kün­stler­w­erk­statt nach klas­sis­chem Vor­bild, in der Werke hergestellt wer­den, um die Nach­frage des Mark­tes zu befriedi­gen. Und dass die Edel­marke Dior jüngst Hand­taschen und Nag­el­lacke mit seinem Namen auf dem Markt gebracht hat, dürfte seinen Namen auch bei Men­schen bekan­nt gemacht haben, die sich vorher nicht näher mit mod­ern­er Kun­st beschäftigt haben.

Doch bei all dem Ruhm ist es dann aber schon ver­wun­der­lich, dass “Mys­tic Sil­ver” in den Deich­torhallen nun seine erste größere Einze­lausstel­lung in Deutsch­land ist. Ins­ge­samt 80 Werke aus seinem umfan­gre­ichen Oeu­vre wer­den derzeit in der Halle für aktuelle Kun­st gezeigt.

Ein Vorhang aus sil­bern­er Folie tren­nt die riesige Halle in der Mitte in einen taghellen und einen dun­klen Bere­ich. Im vorderen, taghellen Bere­ich, nehmen die Folien­bilder, hin­ter Plex­i­glas drapierte Glanz­folie in unter­schiedlichen Farbtö­nen, den größten Raum ein. Daneben wer­den einige Streifen­bilder gezeigt und auch seine neueren Bilder aus ein­er “Malen nach Zahlen”-Reihe find­en hier ihren Platz. Dazwis­chen ste­hen groß­for­matige, glänzende Plas­tiken und sil­bern einge­färbte Stro­hballen.

Durch­schre­it­et man zwis­chen den grellen neon­gel­ben Wän­den den Vorhang, so find­et man in dem dun­klen Bere­ich vor­wiegend die Arbeit­en, die in jeglich­er Form mit Licht in zu tun haben, oder ein­fach nur schön­er anzuse­hen sind, wenn sie in einem schumm­ri­gen Licht aus­gestellt wer­den. Dazu zählen seine Arbeit­en in denen alltägliche Gegen­stände in etwas schein­bar Wertvolles ver­wan­delt wur­den, wie etwa ein alter Heuwa­gen, welch­er in gelbem Lack getüncht wurde, oder eines sein­er “Mate­ri­al­ab­guss­bilder”, in Alu­mini­um gegossen­er All­t­agsmüll.

Der Kün­stler sel­ber tritt als Per­son hin­ter sein Werk zurück; er über­lässt es lieber es anderen, sich eine Mei­n­ung über sein Werk zu bilden. Und das dür­fen die Verehrer schein­bar genau­so wie seine Kri­tik­er.

Ein glühen­der Verehrer ist neben vie­len anderen auch der kün­st­lerische Haush­err der Deich­torhallen Dirk Luck­ow, denn wenn er über Anselm Reyles Schaf­fen redet, dann zieht er sämtliche Reg­is­ter, um auf die Bedeu­tung seines Kün­stlers hinzuweisen, er muss ja eine Recht­fer­ti­gung dafür liefern, warum dies hier eine Schau auf  “inter­na­tionalem Niveau” ist. In seinen Aus­führun­gen über die Bedeu­tung Reyles bewegt er sich dabei durch sämtliche Epochen der Kun­st­geschichte und schwingt sich in die Beschrei­bung der Rück­griffe in schwindel­er­re­gende Höhen auf.

Selb­st in dem Fal­tenwurf der Sil­ber­folie meinte er die Rem­i­niszenz an die Fal­tenwürfe zu erken­nen, durch die ein gel­erntes Auge die Früh­gotik von der Spät­gotik unter­schei­den kann.

Gotik, Manieris­mus, Barock, Informel, abstrak­ter Expres­sion­is­mus, Pop Art – all das soll unter Glanz­folie, Spachtel­masse, Lack­far­ben unter­schiedlich­ster Far­bigkeit ver­bor­gen sein.

Würde man nur diesen Worten fol­gen, dann würde man denken müssen, dass man es hier wirk­lich mit einem kün­st­lerischen Genie zu tun hat.

Und es ist ein wenig wie in dem Märchen “Des Kaisers neue Klei­der”, wenn man es will, dann kann man sicher­lich auch über­all diese genan­nten Zitate und Anspielun­gen erken­nen. Eine glänzende mono­chrome Ober­fläche kann leicht durch willkür­liche Assozi­a­tio­nen mit Inhalt und Bedeu­tung aufge­laden wer­den. Wenn ein Bild nur “Unti­tled” heißt, dann wird dem Betra­chter ja auch keine Inter­pre­ta­tion aufge­drängt, son­dern es lässt ihm genü­gend Spiel­raum für eigene Ideen.

Die Assem­bla­gen eines Kurt Schwit­ters oder Daniel Spo­er­ri beziehen noch eine zusät­zliche Ebene in Form ein­er poli­tis­chen oder gesellschaftlichen Aus­sage ein. Nein, poli­tisch will Anselm Reyle ja auch nicht sein. Die groß­for­mati­gen Plas­tiken erin­nern an Hen­ry Moores bronzene Arbeit­en, die in den Farbtopf von Jeff Koons gefall­en sind. Doch sind es bei Reyle afrikanis­che Speck­ste­in­fig­uren vom Flohmarkt, die hier ihre Reinkar­na­tion als ver­größerte, lack­ierte Bronze­fig­uren in Gale­rien oder pri­vat­en Samm­lun­gen erfahren wer­den. Die bun­ten Neon­röhren, die man beispiel­sweise auch von Bruce Nau­man ken­nt, sind hier zusam­menge­tra­gene Über­reste aus ein­er Fab­rik für Neon­röhren. Bilder aus der “Malen nach Zahlen”-Reihe erin­nern eher an die kitschi­gen pastell­far­be­nen Poster aus den 90ern mit sprin­gen­den Delfinen im Son­nenun­ter­gang als an Andy Warhols Pop Art.

Nüchtern betra­chtet betreibt Anselm Reyle kün­st­lerische Alt­stof­fver­w­er­tung nach “Copy & Paste“-Prinzip. Die Arbeit mit vorge­fun­de­nen Din­gen ist an sich ja nicht ver­w­er­flich, doch die aus­gestell­ten Werke wirken hier irgend­wie see­len­los und beliebig repro­duzier­bar. Die Gren­ze von Kun­st- zum Desig­nob­jekt ist hier nicht mehr auszu­machen. Die Ausstel­lung ist aber dahinge­hend inter­es­sant, weil sie ein Abbild eines noch immer über­hitzten Kun­st­mark­ts zu zeigen scheint. In diesen unsicheren Zeit­en wollen die Werte ja auch angelegt wer­den. Einen Reyle zu besitzen ist in gewiss­er Form und bes­timmten Kreisen ein Sta­tussym­bol, ähn­lich wie eine Hand­tasche von Dior. Und vielle­icht hält Anselm Reyle allen seinen Verehrern und Kri­tik­ern auch nur ein­fach einen riesen­großen Spiegel vor.

Kein­er wollte es sich merken lassen, dass er nichts sah; denn dann hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt oder wäre sehr dumm gewe­sen. Keine Klei­der des Kaisers hat­ten solch­es Glück gemacht wie diese. “Aber er hat ja gar nichts an!” sagte endlich ein kleines Kind. “Hört die Stimme der Unschuld!” sagte der Vater; und der eine zis­chelte dem andern zu, was das Kind gesagt hat­te.

Die Ausstel­lung Anselm Reyle “Mys­tic Sil­ver” kann noch bis zum 27. Jan­u­ar 2013 in den Deich­torhallen in der Halle für aktuelle Kun­st besucht wer­den.

Bilder: HHF/Heckmann
Bilder: HHF/Heckmann

 

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