»Ich bin’s, deine Phantasie« – eine Stimme, die über den fulminanten Projektionen auf dem oberen Teil der Bühne, schwebt, gibt den roten Faden der Show vor, der da lautet: Am schönsten sind die Welten, die wir selbst in unserer Vorstellung erschaffen. Und die Artistinnen und Artisten von »Bilder im Kopf« sorgen für Gedanken- und Bilderwelten zum Mitnehmen, echtes Phantasiefutter eben.
Ein Mann und sein BMX-Bike: Der Brite Rob Alton scheint mit seinem glänzenden Zweirad verwachsen, wahrscheinlich sind die zwei Reifen am Silberrahmen einfach eine Fortführung seiner Gliedmaßen. Fest steht aber, dass er selbst ihre Majestät, Königin Elisabeth, zum Staunen gebracht haben soll.
Später: Vier athletische junge Herren in weißen Jeans und Ripp-Shirts sorgen für Juchzer beim weiblichen Publikum – bis die »Bartigerzz« ihr Streetworkout am Barren mit einer solchen Leichtigkeit performen, dass auch den nebensitzenden Gatten im Raum der Mund offen stehen bleibt.
Nur zwei der Nummern, mit denen der Zirkus Mignon in seiner Show dieses Jahr ein stilsicheres Händchen beweist. Regisseur Björn Breckheimer gibt seinen internationalen Künstlerinnen und Künstlern den richtigen Rahmen und Raum zur Entfaltung. Dabei bleibt der Abend nicht bei einer klassischen Aneinanderreihung bloßer Nummern, sondern lässt diese durch eine fein abgestimmte Dramaturgie miteinander interagieren. Eine besondere Rolle kommt hierbei dem Showorchester »Funky Tunes« rund um Daniel Dittmann zu. Denn sie schafft musikalische Atmosphäre – vom Zaz-Cover, das einen in ein französisches Straßencafé beamt, bis zu echten Rocknummern, wie beim Hozier-Remake »Take Me To Church«. Frontfrau und Gitarristin Stine Ebbersmeyer gestaltet die Nummern nämlich nicht nur musikalisch, sondern spielt zwischendurch auch einfach mit.
Diese charmanten kleinen Zwischentöne, diese Liebe zum Detail macht die 70-minütige Show zu einem Erlebnis, das über ein klassisches Zirkusevent hinausgeht. Verbunden werden die Nummern nämlich auch visuell. Nicht nur durch die Ankündigungen des nächsten Acts im Retro-angehauchten Art-Work im Stop-Motion-Stil (David Benjamin Schulz), sondern auch durch einen Künstler, der die digitale Welt mit der Bühne verbindet: Choreograf und Mediendesigner Daniel Stryjecki schafft die Brücke zwischen dem Geschehen auf der Projektionsfläche und in der Manege, indem er Teil der großformatigen Bilder auf der Leinwand wird, sie antreibt, erzeugt, seinen Körper optisch von ihnen mitreißen lässt. Sein Timing dabei: auf den Punkt. Kein Wunder, der Mann kommt vom klassischen Tanz.
Eins noch abschließend: Es ist wohltuend, Artistik ohne Sexualisierung zu sehen. Klar, es gibt ordentlich Applaus für das Muskelspiel der oben genannten Bartigerzz. Aber ein Künstlerduo am Chinese Pole zu sehen, bei dem die Frau eine Hose und keinen hautengen, bis zum Anschlag geschlitzten Body trägt, ist irgendwie fast schon befreiend. Übrigens unfassbar charmant, ganz gleich, ob mit oder ohne Schlitz im Kleid: das deutsch-dänische Duo Kira und Anders.
Insgesamt scheint die Winterspektakel-Show dieses Jahr zu ihrer vollen Form gefunden zu haben. Woran es liegen könnte? An einer konsequenten Entscheidung für ausgesuchte internationale Künstlerinnen und Künstler, einem übergreifenden Inszenierungsgedanken und einer Ausrichtung, die frei von Altersangaben funktioniert. Danach einfach mal mit einem Kopf voller Bilder auf den angrenzenden Food Court stolpern. Jahrmarktsflair, Schiffschaukel, Bob-Express, Flammkuchen, Burger und Kaiserschmarrn gibt es hier. Und während die jüngeren Gäste sich auf den umliegenden Fahrgeschäften prachtvoll amüsieren, lässt es sich ganz ausgezeichnet an der Weinbar versacken. Aber das bleibt bitte unter uns.
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