All I wanna do is play!

»Born to Be Blue« – Robert Budreaus Biopic über Chet Baker arbeitet an der Verklärung des scheiternden Helden

Chet Baker
Mythos und Verklärung (Bild: hhf/Alamode Film)

Chet Bak­er (Ethan Hawke) hat Sex. Da der Poster­boy des Cool Jazz auf den Lak­en dann doch nicht so cool ist, son­dern eher von stür­mis­cherem Naturell, hält ihn seine hüb­sche, schwarze Fre­undin Jane (Car­men Ejo­go) zurück und ver­langt mehr Hingabe: »Pre­tend you’re play­ing me.« 

Zuvor ist schon einiges passiert. Bak­er, der in den späten fün­fziger Jahren, nicht zulet­zt durch die Fotos des berühmten Fotografen William Clax­ton, so etwas wie ein Pop­star wurde, hat seine große Krise erlebt. Er hat Bekan­ntschaft mit dem Hero­in gemacht und seine Zähne ver­loren, und ist als Musik­er in der Versenkung ver­schwun­den. Das sind die Zutat­en für das klas­sis­che Film­melo­dram, der gefal­l­ene Held, ges­trauchelt. Für die Läuterung des Helden braucht der Plot nun­mehr die liebende und hingebende Frau, die den Helden wieder auf den Pfad der Tugend zurück­führt, je nach Genre gelingt das nur tem­porär oder endgültig.

So hat auch kanadis­che Regis­seur Robert Budreau sein Biopic über die frühen Jahre des bis heute verehrten Trompeters Chet Bak­er konzip­iert. Er hat sich die dra­matur­gisch dankbare Phase im Leben des Jaz­zs­tars aus­ge­sucht, jene Zeit Mitte der fün­fziger Jahre verdichtet, die den Musik­er zu Fall brachte, in der er sich immer weit­er im Dro­genkon­sum ver­lor. Die Geschichte, die Budreau insze­niert, ist eine eher freie Inter­pre­ta­tion der bekan­nten Fak­ten, die ret­tende Frau ist eine Erfind­ung, die Verdich­tung der Ereignisse zwis­chen Dro­gen­ab­hängigkeit, dem Ver­lust des Gebiss­es, der das Spie­len unmöglich machte und dem Kampf um die Anerken­nung bei seinen schwarzen Kol­le­gen, hat so nur sehr bed­ingt stattge­fun­den.

Im Film ist das alles strin­gent, der weiße Junge aus Okla­homa mit dem großen Tal­ent, ringt um die Anerken­nung sein­er Idole, er darf mit Char­lie Park­er spie­len, er tritt in dem nach ihm benan­nten Club auf, dem berühmten Bird­land – und hier muss er sich seinen Idol­en stellen, Miles Davis und Dizzy Gille­spie. Miles Davis, der eine bekan­nt kri­tis­che Hal­tung zu weißen Jazzmusik­ern hat­te, tritt hier als Schar­frichter auf und senkt seinen Dau­men: »I nev­er trust a cat who’d let loot or love affect his art. … Come back if you’ve lived a lit­tle.«

Und Bak­er bricht auf ins Leben, ver­fällt der Droge. Beim Anbah­nungsmeet­ing mit der neuen Fre­undin Jane, wird er von seinen Deal­ern über­fall­en, sie schla­gen solange auf ihn ein, bis alle Zähne ver­schwun­den sind. Jane bleibt bei ihm, pflegt ihn und reist mit ihm zu seinen Eltern auf die heimatliche Farm, hier kommt es zur nun­mehr fol­gerichti­gen musikalis­chen Kop­u­la­tion, sie bringt die Erziehung zur Läuterung in Gang: »Pre­tend you’re play­ing me.« 

Die weit­ere Nar­ra­tion fol­gt dem angeze­ich­neten Muster: Wieder­aufer­ste­hung durch das Jam­mer­tal – der Held wird bei seinem Come­back zunächst nicht erkan­nt und zum Üben geschickt – famil­iäres Glück mit der lieben­den Frau, dann die Wieder­ent­deck­ung von Tal­ent und des ver­gan­genen Mythos des Helden. Kurz vor der Rück­kehr zum Ort des einge­hen­den Trau­mas, dem Bird­land, trifft er erneut auf Gille­spie, der zwar den Kraftakt zur Erringung der zweit­en Chance bewun­dert, aber nicht allzu viel vom »neuen« Bak­er hält: »Makes for some ragged phras­es, but your play­ing is …« Der aber spricht die Worte, die auch jeden Dilet­tan­tismus adeln: »Hon­est. It’s hon­est.«

Mit solchen Wahrhaftigkeit­sphrasen ret­tet sich Budreau in die let­zte Runde der Helden­reise, Bak­er reist ohne seine Fre­undin von den lauen Lüften Los Ange­les zurück in den Morast der Großs­tadt New York, ins Bird­land. Die Zus­pitzung erfol­gt, das bis­lang sta­bil­isierende Methadon fehlt, sein in Fre­und­schaft ver­bun­den­er Pro­duzent Dick Bock (Cal­lum Kei­th Ren­nie) ver­schafft die Ersatz­droge, inzwis­chen aber liegt auf dem Garder­oben­tisch schon der Hero­in­löf­fel. Bei­de Optio­nen sind vorhan­den, Bak­er, der sich gegen das Methadon entsch­ieden hat, weil er glaubt, das Hero­in mache ihn zum besseren Musik­er (»I can get inside every Note.«), tritt auf auf die Bühne, spielt, Miles Davis klatscht. Die Helden­reise ist vol­l­zo­gen, der kurzfristig Geläuterte ist wieder dort, wo der wahre Kün­stler hinge­hört, in den Rausch, in die Verzwei­flung, und die kün­st­lerische Enthem­mung. Natür­lich wen­det sich die liebende Frau ab.

Ethan Hawke in diesem Film beim Method Act­ing zuzuschauen, ist dur­chaus vergnüglich, das Dekor hüb­sch lieder­lich in sein­er Zeit verortet, da lassen die Mad Men grüßen, bis hin zur dauer­haft qual­menden Zigarette. All das unter­hält und ist anse­hbar, die Verdich­tung in der fik­tiv­en Geschichte schafft eine möglich scheinende Idee vom Leben des berühmten Musik­ers und ver­fällt aber zugle­ich der großen bürg­er­lichen Leg­ende von der Welt der Kun­st.

Die näm­lich erk­lärt die Genese kün­st­lerischen Schaf­fens aus dem Unver­ständ­nis des Kreativ­en, aus der Abgren­zung von der Welt des Kün­stlers und sein­er Erhöhung. Denn der Kün­stler kann in dieser Polar­isierung nur außer­halb sein­er Gesellschaft ste­hen, wahre Kun­st kann nur aus dem Dilem­ma entste­hen. Diesem Mythos sitzt eine ganze Branche auf, es hält sich auch in den Feuil­letons, dass »echte« und »wahrhaftige« Kun­st nur aus der Ent­gren­zung entste­hen kann. Das geht hin bis zur Aburteilung von Kün­stlern, die diesem Bild des gequäl­ten Kreators nicht entsprechen, der Vor­wurf des unau­then­tis­chen, weil nicht lei­den­den Kün­stlers liegt stets in der Luft.

Der reale Musik­er Chet Bak­er eignete sich vorzüglich zu solch eine Mythen­bil­dung, ungeachtet der Tat­sache, dass er schon vor seinem »Fall« ein gefeiert­er Star von hohem kün­st­lerischen Poten­tial war. Ver­gle­icht man die Auf­nah­men vor und nach seinem Come­back, fall­en einem vor allem die tech­nis­chen Unter­schiede auf. Der frühe Bak­er ist bril­lant im Ton, präg­nan­ter und direk­ter in sein­er Melodieführung, der späte Inter­pret hat vor allem Mühe, den Ton zu hal­ten, es zis­cht und pfeift allerorten, den­noch erscheinen trotz der tech­nis­chen Män­gel seine Impro­vi­sa­tion­slin­ien ein­fall­sre­ich­er. Aber es kann keineswegs die Rede davon sein, dass der Dro­genkon­sum den Musik­er gead­elt hätte, gar »authen­tis­ch­er« gemacht hätte. Im Gegen­teil ist es eher so, dass trotz all der Ein­schränkun­gen die so verehrten späten Ein­spielun­gen entste­hen kon­nten.

Schaut man aus der Dis­tanz auf einen anderen Film über das Leben dieses Musik­ers, Bruce Webers Doku­men­tarfilm »Let’s get lost«, erlebt man dort vor allem in der Schlußszene einen dur­chaus zufriede­nen Men­schen, der ganz offen­bar trotz sein­er Abhängigkeit mit sein­er Musik und seinem Leben zurecht­gekom­men ist. Gedreht wurde »Let’s get lost« Ende 1987. Mit 58 Jahren, nur ein halbes Jahr später, fiel Chet Bak­er aus dem Fen­ster eines Ams­ter­damer Hotels, die Trompete in der Hand, das Hotelz­im­mer und den Kör­p­er voller Dro­gen, er starb auf dem Pflaster. »All I wan­na do is play.« sagt die Fig­ur in Budreaus Film. Das mag ges­timmt haben.

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