Am Abgrund

Alice Buddeberg inszeniert eine Textcollage zu »König Ödipus« am Hamburger Schauspielhaus

Blind auf der Suche (Bild: hhf/©fotolia/magann)

Krumm ste­ht er da, gebeutelt, geblendet, gebrochen: Ödi­pus, ein Bet­tler, der auf dem Hügel von Kolonos die Athen­er um Asyl bit­tet. Ein Heimat­los­er ist Markus John mit ver­dreck­ter Hose, speck­iger Jacke und sträh­nigem Haar. Und der Chor der feis­ten Athen­er (grandios in groteske Fett-Suits ver­packt von Kostüm­bild­ner­in Mar­ti­na Küster) weiß nicht genau, ob er den grantel­nden Pen­ner haben will. Entset­zen erfasst die selb­stzufriede­nen Dick­en, als sie seinen Namen vernehmen. Erzählen soll Ödi­pus sein Schick­sal am Abgrund.

Büh­nen­bild­ner­in Cora Saller find­et tre­ff­sich­er ein Bild voller Abgründe für Ödi­pus´ Leben der blind­en Fehltritte: Die Bühne eine löchrige Fläche mit bruch­stück­hafter Podesterie, aus deren Tiefen das spiel­freudi­ge Ensem­ble je nach Bedarf über Leit­ern aus der Unter­bühne her­vorklet­tert. Der einzige, der unbe­weglich ver­haftet bleibt an einem Ort, ist Ödi­pus. Der lässt sich von den Athen­ern überre­den, sein Leben zu erzählen. Für die Rück­blende legt er sich die schwere Gold­kette des Königshaus­es von Theben um und begin­nt, sich auf der Bühne zu ver­wan­deln. Doch nimmt er keineswegs die haut­far­be­nen Pflaster von den Augen, um zu Ödi­pus vor der Blendung zu wer­den; vielmehr klebt er sich Augen auf und wird somit zum Inbe­griff des tragis­chen Ödi­pus: Ein Sehen­der ist er nun und den­noch blind, und die Geschichte begin­nt.

“Krank ist die Stadt!” schre­it es aus der Unter­bühne, bevor das Volk aus seinen Löch­ern klet­tert, weiß geschminkt, schwarz gek­lei­det wie aus einem kafkaesken Alp­traum. Es fordert die Hil­fe des Mannes ein, der die Stadt einst vom Fluch der Sphinx befre­ite, ohne zu ahnen, dass der doch die Ursache allen Übels ist. Den (eigentlich) blind­en und greisen Seher Teire­sias beset­zt Bud­de­berg kon­se­quent – und etwas zu gewollt gegen den Strich – mit einem Knaben. Weiß gek­lei­det und gefärbt von Kopf bis Fuß ste­ht der von Schwa­ger Kre­on um Rat Gefragte als pure Unschuld und spricht den Satz, der Ödi­pus, das Genick bricht: “Der Mörder, den ihr sucht, bist du.”

Und so nimmt das Schick­sal des Ödi­pus seinen Lauf. Er ist ein­er, der sich selb­st ent­blät­tert, seine Schuld in detek­tivis­ch­er Kleinar­beit gnaden­los offen­legt. Doch keine Suche nach Iden­tität bleibt unges­traft, und so spricht der Knabe Teire­sias denn auch: “An diesem Tag wirst du geboren, und du stirb­st.”

Ödi­pus´ Ent­deck­er­willen ent­ge­gen läuft die Ver­hül­lungs- und Ver­drän­gungstak­tik sein­er Gat­tin (und Mut­ter) Iokaste. Irene Kugler spielt das Begreifen so kör­per­lich, so plas­tisch, dass es zum Schnei­den dick im Raum ste­ht. Als sie an seinen Knöcheln erken­nt, dass es sich bei ihrem Mann um ihr eigenes Kind han­delt, das sie einst aus­set­zen ließ, um dem Orakel­spruch von Del­phi zu entkom­men, knickt ihr Kör­p­er ein, als hätte man ein­er Mar­i­onette die Fäden durchtren­nt. “Wenn dir an deinem Leben liegt, forsche nicht weit­er”, fle­ht sie und weiß doch, dass sie sich vergebens auflehnt gegen die Macht des Schick­sals.

Das Ende ist Jam­mer, Pro­jek­tion mit Musik und die Blendung des Ödi­pus. Dass das Bild der Blendung mit spritzen­dem Blut ein biss­chen heftig gerät, und der eine oder andere Lach­er im Zuschauer­raum zu hören ist, tut dem Abend keinen Abbruch. Ein stark­er Schluss wäre das. Doch ver­traut das Leitung­steam dem Ende der bis­lang starken Mis­chfas­sung aus Sophok­les´ Alter­swerk Ödi­pus auf Kolonos und dem bekan­nteren König Ödi­pus nicht.

Im Schnell­durch­lauf wird die weit­ere Geschichte des Artri­dengeschlechts entwick­elt. Inhalte aus Euripi­des´ Die Phoinikerin­nen, Ais­chy­los´ Sieben gegen Theben und der Antigone des Sophok­les wer­den hier ver­woben – nicht umson­st schiebt Dra­matur­gin Nico­la Bramkamp im Pro­grammheft die “Gedanken zur Textfas­sung” hin­ter­her. Denn was nun geschieht, wirkt gestück­elt und beliebig und wie im schnellen Vor­lauf eines Films. Das gön­nt man der bis­lang besonnenen Insze­nierung eigentlich nicht, dass der Rest der Geschichte wie in einem Wurm­fort­satz hin­ten­dran gepackt wird. Was Bud­de­berg in dieser Insze­nierung – eben­so wie bei der Möwe der let­zten Spielzeit – näm­lich schafft, ist eine aus­geze­ich­nete Schaus­piel­er­führung, eine pack­ende Bild­phan­tasie und eine exzel­lente Musikauswahl (Musik: Ste­fan Paul Goetsch).

Und so find­et sie am Ende den Bogen zurück zu Ödi­pus, der am Büh­nen­rand sitzt und das wild-bru­tale Treiben sein­er Kinder “beobachtet”. Die let­zten Sätze gehören ihm, und so stellt er, ganz ohne große Bilder, in die Stille hinein die Frage nach der men­schlichen Selb­st­bes­tim­mung. Mit der ist es bei den Griechen nicht weit her. Stille. Und Dunkel.

 

 

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*