Madame Goulou ist tätowiert
Vom Ausschnitt bis zum Spann
Und jeder, der sie engagiert
Sieht sich die Bilder an.
Fritz Grasshoff, Madame Goulou, 1950
Ja, Bilder anschauen. Ein Solo ist eine Entblößung für jeden Schauspieler. Allein, nicht gestützt von Mitspielern, setzt er sich allem aus, Text, dem Raum, und dem immer fokussierten Blick des Publikums. Nicht viele Schauspieler wagen so etwas und noch weniger können so etwas. Nina Petri kann das und bei ihrem Solo “Seine Braut war das Meer und sie umschlag ihn”, das am vergangenen Sonntag in den Hamburger Kammerspielen Premiere hatte, sieht man das auch. Ihre Kunst ist von feinerer Natur, genaues Timing ihr Metier, und im beschränkten Raum der Kammerspiele sind auch ihre kleineren mimischen Regungen genau zu sehen, auch in der 17. Reihe, der letzten dieses kleinen Hauses.
Die Geschichte, die sie erzählt, ist die einer verlassenen Frau, von wem wirklich, erfährt man im Laufe des Abends. Das Genre ist maritim, und all die Schiffe, Kapitäne und Seeleute sind der Raum für immer neue perspektivische Wendungen der Geschichte. Und dann sind da auch noch Lieder, von Käutner bis Grasshoff – hinter seinem Flügel versteckt summt und brummt und orgelt Jens-Karsten Stoll und legt einen musikalischen Schal um jede neue Spielvariation – die Schauspielerin zeigt auch herausragende Soubrettenqualitäten. Das Ganze ist unprätentiös in Szene gesetzt (Martin Maria Blau) und die Bühne reduziert – Rückpro vom Meer, eine den ganzen Abend vom Himmel rieselnde Sandkaskade, ein Leuchtglobus (Martin Scheibe), das genügt zur Entfaltung.
Schauspielerisch ist das ein gelungener Abend und das liegt im Wesentlichen an der Solistin, der man gerne bei ihrer Kunst zusieht, sei es im kleinen Rampenspiel, sei es in der ganz großen, der divenhaften Geste. Und wie wunderbar ist es anzusehen, wie bei Fritz Grashoffs und Norbert Schulzes Couplet “Madame Goulou” aus kesser Pose ein exaltierter, verzweifelter Poledance ohne Stange wird.
Das Publikum quittiert, man muß sagen, leider, die vermeintliche Kiezakrobatik mit heftigem Applaus, ungeachtet dieses starken Bildes von Vereinzelung und Scheitern.
Ganz und gar unglücklich aber ist, so bedauerlich das sein mag, die mangelnde Qualität des eigens für die Inszenierung von Andreas Marber geschriebenen Textes. Nina Petri muß wirklich grauenhafte Sätze sagen wie diese: “Unsere hemmungslose, unverschämte Leiblichkeit. Unsere Körper waren die Kontinente, unsere Liebe das Meer, das sie verband und voneinander unterschied.” Oder auch so etwas wie: “Wir lagen in nassen Laken, naß von all dem Schweiß, den wir vergossen im Dienst unserer Liebe.”
Solche schwülstigen Unerträglichkeiten finden sich immer wieder im Verlauf des Stückes, als Ironie geht das nicht mehr durch, nicht einmal als Boulevardattitüde.
Gewiß hat das Genre einen schweren Hang zu Sentimentalität und Überzeichnung. All die Seefahrerromantik und die weichen, schönen Illusionen zwischen Hongkong und Shanghai und Hamburg und Haiti verlangen aber doch inzwischen, wo wir uns nicht in mehr in der 50er-Verdrängungswelt bewegen, nach Brechung, nach der Hinterfragung von Sehnsüchten und deren Wahrhaftigkeit. Das gelingt der Stollschen Musikbegleitung glänzend, dem Text nie und leider auch der Inszenierung selten.
Es ist wirklich zu befürchten, daß dieser Groschenromanstil beabsichtigt ist. Und zu allem Unglück zieht sich das sprachlich verunglückte Werk auch noch um ein paar Schleifen zuviel dem Ende entgegen – wo war da bei all dem die Dramaturgie, die hier wahrhaftig gefordert gewesen wäre?
Das tut dann eben leider nicht nur beim ersten Mal weh. Ein starker Auftritt und ein schwacher Text.
heute in Neustadt angeschaut. Hätten wir man blos diese Kritik vorher gelesen! Nach 30 Minuten haben wir es nicht mehr ausgehalten.
Nicht nur der unmögliche, nichtssagende Text. Man wartet vergeblich auf Tiefschürfendes, Humorvolles, Dramatisches oder irgend etwas, was Theater ausmacht. Dazu noch holpernder Text, eine miserabler Gesang des Klavierspielers, ungeschickte Kostümierung. Das war wohl nix.