Teenager-Liebe knallt ordentlich rein. Daran erinnert sich jeder. Der Aufruhr beim Anblick des geliebten Subjekts, die völlige Irrationalität, das gedankliche Kreisen um jedes Wort, jede Geste, jeden Blick, den man getauscht hat. Dass Romeo und Julia in Shakespeares gleichnamigem Drama genau in diesem Alter sind, steht im Text: “My child is yet a stranger in the world; She hath not seen the change of fourteen years”, erklärt Vater Capulet dem heiratswütigen Grafen Paris.
Ist “Romeo und Julia” also ein Teenager-Drama? Oder doch eine der größten Liebesgeschichten der Weltliteratur? Regisseur David Bösch entscheidet sich für Variante eins, und der Erfolg gibt ihm scheinbar Recht. Schätzungsweise 50 Prozent der Burgtheater-Besucher an diesem regnerischen Freitag-Abend sind um die 16. Und so ein bisschen Boygroup-Atmosphäre darf schon sein. Gejohle und Gekreische beim Applaus, vor allem für den schmalen Romeo (frisch von der Schauspielschule: Daniel Sträßer) und den smarten Mercutio (Fabian Krüger).
Aber zurück auf Anfang. Der Prinz, allein auf der Vorbühne. Er macht sich Sorgen um Verona, denn Bandenkriege durchziehen die Stadt. So geht es nicht weiter: Sterben soll, wer künftig Streit vom Zaun bricht! Dann befiehlt er: “Licht! Musik! Liebe!” Und räumt die Bühne für den liebeskranken Romeo. Der riecht an einem Blümchen und träumt von Rosalind. Konsequenterweise muss er sich ein bisschen aufziehen lassen von seinen Freunden Benvolio und Mercutio. Es wird geblödelt und gerüpelt, abgeklatscht und derb gesprochen. Mercutio heißt hier “Mercy”, ein wenig gerockt werden darf auch, quittiert von Gelächter aus den Teenager-Reihen.
Und kaum betritt der erste Capulet die Bühne, werden die Degen gezogen, die griffbereit am Bühnenrand hängen. Der stotternde Tybalt ist ein Meister seines Fachs und nimmt es gar mit verbundenen Augen mit den drei Montagues auf. Nach kurzem Gefechte und Gerangel dürfen wir sein Zuhause sehen, denn bei den Capulets steigt eine Party, und da trifft sich, wer in Verona Rang und Namen hat und eine lockeren Degen.
Lady Capulet mit Cocktailglas muss in atemberaubend hohen High Heels über die Bühne torkeln. Damit ist die Figur dann auch durch. Sprechen darf nur Papa Capulet (Ignaz Kirchner), und das über Mikro, durch das er seine Gattin gerne „Mutti“ ruft. Den Heiratsantrag an Julia (Yohanna Schwertfeger) darf Graf Paris im Rüschenhemd als Partyspaß durchs Mikro machen, Julia muss mit verbundenen Augen auf allen Vieren auf die Bühne kriechen und ihn an seinen Lackschuhen erkennen. Dass sie den schmierigen Kerl nicht will, wundert keinen, und so schickt sie ihn los, ihr ein Sprite zu holen, damit sie ihre Ruhe hat.
Zum grandiosen “Consequence” von The Notwist wird dann auf der Bühne ein bisschen hin- und hergerannt, und dabei – hoppla! – per Zufall in Romeo hinein. Und dann ist sie – na, was wohl – völlig paralyzed, wie es im Liedtext heißt, und lässt sich küssen. Kein Zauber liegt in diesem Kuss, keine Gänsehaut stellt sich ein, zu vorhersehbar ist diese erste Begegnung, zu flüchtig und zu banal. Man ist fast ein bisschen dankbar, als Graf Paris übers Mikro auf sich aufmerksam macht, er stehe an der Tanzfläche, und wo bleibt denn Julia bloß? “Deine Sprite/steht bereit.”
Das ist nicht die einzige Plattitüde; Julia versteht auch den Namen ihres Romeos falsch, und deshalb steht an der Bühnenwand mit Kreide anfangs “ROMAN + JULIA”. Beim ersten Mal mag das ganz lustig sein, doch Romeo muss das ganze Stück lang bei der Amme seinen Namen korrigieren, und irgendwann ist der Schenkelklopfer dann auch kein Klopfer mehr. Die Party ist fast vorüber, an der Rückwand stehen die Namen der Liebenden, ROMAN wurde mit flüchtiger Hand und Kreide zu ROMEO, und davor wird gepisst und gekotzt. Denn Benvolio und Mercutio haben ein bisschen viel Sprit erwischt, und der muss ja irgendwo hin. Betrunken sein ist irgendwie auch noch total cool – in dem Alter.
Da will man saufen, feiern, rüpeln, knutschen und ein bisschen grapschen, und deshalb dürfen Böschs Schauspieler das in der Inszenierung auch. Und Julia in ihrem Glaskubus, der rauf und runter fahren kann und ein sehr hübsches Balkon-Zitat ist (Bühne: Volker Hintermeier), darf die kühle Scheibe küssen in ihrer Sehnsucht und Romeo später ihr Höschen zeigen. Teenager, viel zu jung für die Liebe, voll triebhafter Emotion. Auch die muss irgendwo hin, und deshalb muss Romeo sich nachher im Beisein von Mercutio und Benvolio auch dringend mal beherzt in die Hose greifen und ein bisschen rubbeln. Ach, die Liebe, was war sie damals kompliziert und doch so simpel, ja banal.
Und irgendwie bleibt es dieser Abend auch. Wer Yohanna Schwertfeger beim Thalia-Gastspiel in “Die Jüdin von Toledo” gesehen hat, weiß, dass die Frau mehr kann – viel mehr. Hier klingt sie meist verstellt und fiepsig. Leider bleibt es an diesem Abend beim Effekttheater, immer aus auf den nächsten Scherz, die nächste Rangelei, das große Spektakel. Dabei kann sich keine Figur entwickeln, keine Handlung. Die Konflikte bleiben unklar und im Vagen.
Auch beim Fechten wollen die Jungs eigentlich nur spielen. Dabei kann doch keiner zu Schaden kommen, denkt man. Große Kasperlnummern, viel Säbelgeklirre und Gefuchtel, und plötzlich ist Mercutio tot. Wenn Romeo und seine Julia sich in der letzten Nacht vor seinem Aufbruch nach Mantua sehen, wird im Bühnenwasser geplanscht und getobt, das sind tolle Bilder, aber als der Morgen und damit der Abschied kommt, tut das irgendwie keinem weh. Seine Brüche setzt Bösch geschickt, doch bleibt danach viel heiße Luft. Und viele Tote, weil Shakespeare das so wollte.
Wenn am Ende der Prinz auf die Bühne kommt und “Licht!” und “Musik!” befiehlt, ertönt ein Tango, und alle dürfen noch einen letzten einsamen Tanz auf der Bühne wagen. Schlafwandlerisch waten sie durchs Wasser, während Romeo und Julia plaudernd im Glaskubus sitzen und gen Bühnenhimmel nach oben fahren. Ein schönes Bild, hat gar nicht weh getan.
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