Ich wollte zur Elbe, noch mal an einem schönen Spätsommertag mit der Fähre nach Finkenwerder und Teufelsbrück fahren, hinter Blankenese in der Elbe schwimmen. Komme am Rathausmarkt vorbei, eine große Musikbühne ist neben dem Heine-Denkmal aufgebaut, rockige Musik, ein paar Imbiß-Buden über den Platz verstreut, Beflaggung. Was ist los? Schon wieder irgendein Konsumvergnügen? Nein, es ist Tag der offenen Tür im Rathaus, so verkündet ein großes Schild.
Mit dem Motto “Der Politik auf die Finger schauen.” Man kann nicht behaupten, dass sich die Hamburger danach drängen, dies Motto umzusetzen und nebenbei ihr schönes Rathaus mit den Räumen für Bürgerschaft, Senat und dem Festsaal zu besichtigen. “Machen sie sich ihr ganz persönliches Bild von der Arbeit der Abgeordneten, erleben sie Politik zum Anfassen.” Sagt Carola Veit, die Präsidentin der Bürgerschaft im Programmflyer.
Nun, der Platz vor dem Rathaus ist wenig besucht, an der Binnen-Alster und in der Mönckebergstaße ist das Gedränge ungleich größer. Samstag ist für viele Hamburger eben Flanier und Shopping-Tag. Doch immerhin- am großen Portal, über dem die Schutzgöttin der Stadt, Hammonia, wacht, inter dem Spruch auf lateinisch “Die Freiheit, die erwarben die Alten, möge die Nachwelt würdig erhalten”, ein Kommen und Gehen.
Drinnen in der Eingangshalle kann man an Info-Stände n sich das Material zur Hamburger Bürgerschaft und Senat mitnehmen , die 5 Parteien haben ihre Stände aufgebaut, es ist ja Wahlkampfzeit, im Innenhof am Hygieia-Brunnen dürfen sich die Kinder vergnügen, müht sich ein Mann am Klavier, Rentnerpaare trinken in der Sonne dösend ihren Kaffee.
Ich als braver Bürger und Demokrat begebe mich auf den Rundgang, nachdem ich die vielen Info-Angebote der Parteien erfolgreich abgewimmelt, aber von den angebotenen Gummibärchen reichlich genommen habe. Im Saal der Bürgerschaft – ich bin zum ersten Mal im Allerheiligsten der Hamburger Demokratie – ist im Rahmen der Bürgerfragestunde gerade die Schulpolitik Thema: “G8, G9, starke Stadtteilschulen, Inklusion” Etwas ermüdend geben die Vertreter aller Parteien dazu Statements ab.
Erstaunlich harmonisch nach dem schulpolitischen Klassenkampf, der vor 2 Jahren noch in der Freien und Hansestadt tobte, die CDU-Abgeordnete, die sogar das Stadtteilschulkonzept unterstützt. Nur als es um das Gymnasium geht, blitzt die alte Polemik auf – “wer das Gymnasium abschaffen will, den werden wir bis aufs Messer bekämpfen.”
Die Grünen- wie die Linksabgeordnete (beide Lehrerinnen und Mütter) weisen auf die Gefahr hin, dass die Stadtteilschulen doch zu Schulen zweiten Rangs werden. Sie seien trotz aller Anstrengungen bei vielen Eltern weiter schlecht angesehen. Das wäre auch meine Frage, wie sich die soziale Segregation in Hamburg auf die Schulpolitik auswirkt. Oder anders gefragt: kann diese korrigieren, was im Sozialen, im Bereich der Arbeitsmarkt- und Wohnpolitik nicht gelingt?
Der Plenarsaal ist dürftig besetzt, die Mehrzahl der Besucher zieht den Rundgang durch die repräsentativen Räum der Teilnahme an der Bürgerstunde vor. Und ihnen schließe ich mich nach einer guten halben Stunde auch an. Die Räume sind verhalten prunkvoll eingerichtet. Gutbürgerlich ist der Bürgersaal für kleiner Empfänge und die Sitzungen des Ältestenrates. An den Bänken sieht man geschnitzte Köpfe: Ironie. Neid, Missgunst und Schadenfreude.
Sie sollen draußen bleiben, wenn das Parlament tagt. Kann ich verstehen, obwohl Ironie im Sinne Heines wäre doch auch in den Debatten angebracht, etwa so: “Die Hamburger sind gute Leute und essen gut … Mögen die christlichen Theologen dort noch so sehr über die Bedeutung des Abendmahls streiten, über die Bedeutung des Mittagsmahls sind sie ganz einig etc”.
Prunkvoll der Kaisersaal, in dem Kaiser Wilhelm II. nach der Eröffnung des Nordostseekanals 1895 dinierte. Auf dem Hamburg-Wappen in einem der Kronleuchter findet sich ein Einschussloch, das von einem Geschoss stammt – “abgefeuert von der Aufständischen während einer der Unruhen im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts”, heißt es in der Erklärung.
Man wüßte gerne genauer, welche der “Unruhen” es denn war. Im Turmsaal, über ihm erhebt sich der 112 Meter hohe Rathausturm, zeigen die Wandbilder die alten Stadtrepubliken Athen, Amsterdam, Venedig und Rom. Welch vornehme Verwandtschaft!
Die Deckengemälde stellen die Freiheit und die Tugenden Sittlichkeit, Menschenliebe, Vaterlandsliebe und Wissenschaft dar. Über dem goldenen Tor zum Festsaal liest man auf lateinisch: “Durch Eintracht wächst das Kleine, durch Zwietracht zerfällt das Größte.“ Fragt sich nur, was klein und was groß heute in Hamburg ist.
Klein ist das demokratische Selbstverständnis, groß die konsumistische Vergnügungssucht als da wären: Straßenfeste und Flohmärkte, Musikbühnen, Eßstände, Gyros, Garnelenspieß, Schlemmerpfanne, Weihnachtsmarkt, Alstervergnügen, Hafengeburtstag, Cyclassics, Hamburg Marathon, Triathlon, Schlagermove, Stuttgarter Weinfest, Biker-Treffen und Motorrad-Gottesdienst und so weiter.
Warum auch nicht, wenn es zugleich ähnlich attraktive demokratische Feste gäbe, die die Stadtgründung politisch feierten und den demokratischen Bund erneuerten, auch zwischen den Wahlen.
Sicher gibt es solche demokratisch-solidarischen Ereignisse – dazu zähle ich beispielsweise die Unterstützung, die das Camp an der St.Pauli-Kirche für die Libyen-Flüchtlinge von vielen Hamburgern erfährt, ein Fest der Solidarität, auch die Demonstration, die für ihre Rechte durchgeführt wurde. Hier wird das weitgehend abgeschaffte Asylrecht wieder von unten erneuert.
Doch weiter auf dem Rundgang im Rathaus: ich komme ins Waisenzimmer. Er verdankt seinen Namen den 80 Waisenkindern, die in fünfjähriger Arbeit die Kerbschnitzereien an Türen, Wänden und Täfelungen aus dunkel gefärbtem Eichenholz anfertigten.
Was zunächst die Assoziation Sklavenarbeit weckt, hatte doch einen sozialen Aspekt: die Waisenkinder erhielten durch diese Arbeit eine Ausbildung. Die Waisenhäuser gibt es heute nicht mehr, wurden abgelöst durch Jugenddörfer, Jugendwohnungen und Pflegefamilien. So erinnert das Zimmer an eine harte Form der Barmherzigkeit, deren Erbschaft etwa im Runden Tisch Heimerziehung jüngst erst aufgearbeitet wurde.
Schließlich komme ich in einen Raum, in der ein Teil der silbernen Kostbarkeiten aus Silberkammer des Rathauses ausgestellt ist, die Hamburg in den letzten 150 Jahren von wohlhabenden Kaufleuten, Senatoren, Bürgermeistern und illustren Gästen wie etwa dem englischen König Edward VII. geschenkt bekam.
Aber solche alten Stücke sind selten, denn Hamburg war eine bescheidene Republik, keine königliche Residenz und verfügt nicht wie Dresden über ein “Grünes Gewölbe” mit seinen Herrlichkeiten. Hinzu kam, dass 1805 ein Großteil der Silberschmiedekammer aus Angst vor den Truppen Napoleons eingeschmolzen wurde. Die damalige Ängstlichkeit wird nur noch von der Bedenkenlosigkeit übertroffen, mit der die jüngsten Hamburger Regierungen ihr “Tafelsilber” veräußerten – sprich Krankenhäuser, Energienetze, Hafenanlagen.
Es müsste neben der Silberkammer eine Strafkammer geben, in der die für solche Transaktionen verantwortlichen Bürgermeister und Senatoren zumindest in effigie einsitzen müssten – etwa Ole von Beust, der Hamburg das überzogene Projekt Elbphilharmonie bescherte und sich vor der letzten Wahl aus dem Staube machte – ein Madame Tussaud-Kabinett der politischen Fehlentscheidungen im Rathaus.
Ja, daran muss ich denken als ich vor der Ratsstube stehe, in dies Allerheiligste der Exekutive darf man nur hineinschauen. Jeden Dienstag tagt hier der Senat. Vor dem Eingang wachen die Marmorfiguren Gnade und Gerechtigkeit; Relikt aus der Zeit als der Senat noch die richterliche Gewalt ausübte (bis 1860),aber auch heute noch bedenkenswerte Symbole einer gerechten Regierung.
Ja, von der Klugheit und der Torheit der Regierenden wird unser politisches Leben bestimmt, alle vier Jahre können wir sie abwählen, aber mit ihren Entscheidungen müssen wir dann jahrzehntelang leben. Das Verrückte ist, dass sich das Verhängnis oft vor unseren Augen vollzieht, wir sehen, was möglicherweise falsch ist, wir schreiben Leserbriefe, machen Eingaben, demonstrieren – es hilft wenig …
Nun noch schnell in den großen Festsaal, 46 Meter lang, mit Platz für 540 sitzende Gäste; Schauplatz der Matthiae-Mahlzeit, des “ältesten noch begangenen Festessens der Welt.” Hier war ich schon ein paar Mal zu Empfängen für Ehrenamtliche, Gewerkschafter und Kirchenleute. Immer wieder beeindrucken mich die großen Wandbilder, gemalte Hamburger Geschichte – die Urlandschaft vor der Besiedelung, die ersten Bauern und Fischer an Elbe und Alster, die Christianisierung, sprich der Auftritt Ansgars mit dem übermalten knieenden Hamburger – ein Hamburger kniet vor niemandem – und schließlich der pulsierende Hamburger Hafen am Ende des 19.Jahrhunderts.
So, mein Rathausbesuch ist beendet, auf die Finger habe ich den Politikern nicht gerade geschaut, aber doch ein paar Eindrücke mitgenommen. Ich fahre mit der Fähre nach Finkenwerder. Viel Betrieb auf der Elbe, im Gegenlicht mehrere Schlepper und ein Containerschiff, als wären sie gerade dem Wandgemälde entsprungen. Ja, ich liebe Hamburg, meine Vaterstadt, bin immer wieder überwältigt von der Hafenszenerie, von den Türmen und Kränen. Schön ist es hier und könnte doch besser, gerechter sein.
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