Bene-Diktum: »Die Freiheit, die erwarben die Alten, möge die Nachwelt würdig erhalten.«

Ein Tag der offenen Tür im Hamburger Rathaus

Hinein. (Bild: Wikipedia/BjörnT)
Hinein. (Bild: Wikipedia/BjörnT)

Ich wollte zur Elbe, noch mal an einem schö­nen Spät­som­mertag mit der Fähre nach Finken­werder und Teufels­brück fahren, hin­ter  Blanke­nese in der Elbe  schwim­men. Komme am Rathaus­markt vor­bei, eine große Musik­bühne ist neben dem Heine-Denkmal aufge­baut, rock­ige Musik, ein paar Imbiß-Buden über den Platz ver­streut,  Beflag­gung. Was ist los? Schon wieder irgen­dein Kon­sumvergnü­gen? Nein,  es ist Tag der offe­nen Tür im Rathaus, so verkün­det ein großes Schild.

Mit dem Mot­to “Der Poli­tik auf die Fin­ger schauen.” Man kann nicht behaupten, dass sich die Ham­burg­er danach drän­gen, dies Mot­to umzuset­zen und neben­bei ihr schönes Rathaus mit  den Räu­men für Bürg­er­schaft, Sen­at und dem Fest­saal zu besichti­gen. “Machen sie sich ihr ganz per­sön­lich­es Bild von der Arbeit der Abge­ord­neten, erleben sie Poli­tik zum Anfassen.” Sagt Car­o­la Veit, die Präsi­dentin der Bürg­er­schaft im Pro­gramm­fly­er.

Nun, der Platz vor dem Rathaus ist wenig besucht, an der Bin­nen-Alster und in der Möncke­bergstaße ist das Gedränge ungle­ich größer. Sam­stag ist für viele Ham­burg­er eben Flanier und Shop­ping-Tag. Doch immer­hin- am großen Por­tal, über dem die Schutzgöt­tin der Stadt, Ham­mo­nia, wacht, inter  dem Spruch auf lateinisch “Die Frei­heit, die erwar­ben die Alten, möge die Nach­welt würdig erhal­ten”,  ein  Kom­men und Gehen.

Drin­nen in der Ein­gang­shalle kann man an Info-Stände n sich das Mate­r­i­al zur Ham­burg­er Bürg­er­schaft und Sen­at mit­nehmen , die 5 Parteien haben ihre Stände aufge­baut, es ist ja Wahlkampfzeit, im Innen­hof am Hygieia-Brun­nen dür­fen sich die Kinder vergnü­gen, müht sich ein Mann am Klavier, Rent­ner­paare trinken in der Sonne dösend ihren Kaf­fee.

Ich als braver Bürg­er und  Demokrat begebe mich auf den Rundgang, nach­dem ich die vie­len Info-Ange­bote der Parteien erfol­gre­ich abgewim­melt,  aber von den ange­bote­nen Gum­mibärchen reich­lich genom­men habe. Im Saal der Bürg­er­schaft  – ich bin zum ersten Mal im Aller­heilig­sten der Ham­burg­er Demokratie – ist im Rah­men der Bürg­er­frages­tunde ger­ade die Schulpoli­tik The­ma:  “G8, G9, starke Stadt­teilschulen, Inklu­sion” Etwas ermü­dend geben die Vertreter aller Parteien dazu State­ments ab.

Erstaunlich har­monisch nach dem schulpoli­tis­chen Klassenkampf, der vor 2 Jahren noch in der Freien und Hans­es­tadt tobte, die CDU-Abge­ord­nete, die sog­ar das Stadt­teilschulkonzept unter­stützt. Nur als es um das Gym­na­si­um geht, blitzt die alte Polemik auf – “wer das Gym­na­si­um  abschaf­fen will, den wer­den wir bis aufs Mess­er bekämpfen.”

Die Grü­nen- wie die Linksab­ge­ord­nete (bei­de Lehrerin­nen und Müt­ter) weisen auf die Gefahr hin, dass die Stadt­teilschulen doch zu Schulen zweit­en Rangs wer­den. Sie seien trotz aller Anstren­gun­gen bei vie­len Eltern  weit­er schlecht ange­se­hen. Das wäre auch meine Frage, wie sich die soziale Seg­re­ga­tion in Ham­burg auf die Schulpoli­tik auswirkt. Oder anders gefragt:  kann diese kor­rigieren, was im Sozialen, im Bere­ich der Arbeits­markt- und Wohn­poli­tik  nicht gelingt?

Der Ple­narsaal ist dürftig beset­zt, die Mehrzahl der Besuch­er zieht den Rundgang durch die repräsen­ta­tiv­en Räum der Teil­nahme an der Bürg­er­stunde vor. Und ihnen schließe ich mich nach ein­er guten hal­ben Stunde auch an. Die Räume sind ver­hal­ten prunk­voll ein­gerichtet. Gut­bürg­er­lich ist der Bürg­er­saal für klein­er Empfänge und die Sitzun­gen des Ältesten­rates. An den Bänken sieht man geschnitzte Köpfe: Ironie. Neid, Miss­gun­st und Schaden­freude.

Sie sollen draußen bleiben, wenn das Par­la­ment tagt. Kann ich ver­ste­hen, obwohl Ironie im  Sinne Heines wäre doch auch in den Debat­ten ange­bracht, etwa so: “Die Ham­burg­er sind gute Leute und essen gut … Mögen die christlichen The­olo­gen dort noch so sehr über die Bedeu­tung des Abendmahls stre­it­en, über die Bedeu­tung des Mit­tags­mahls sind sie ganz einig etc”.

Prunk­voll der Kaiser­saal, in dem Kaiser Wil­helm II. nach der Eröff­nung des Nor­dost­seekanals 1895 dinierte. Auf dem Ham­burg-Wap­pen in einem der Kro­n­leuchter find­et sich ein Ein­schus­s­loch, das von einem Geschoss stammt – “abge­feuert von der Auf­ständis­chen während ein­er der Unruhen im ersten Vier­tel des 20. Jahrhun­derts”, heißt es in der Erk­lärung.

Man wüßte gerne genauer, welche der “Unruhen” es denn war. Im Turm­saal, über ihm erhebt sich der 112 Meter hohe Rathaus­turm, zeigen die Wand­bilder die alten Stadtre­pub­liken Athen, Ams­ter­dam, Venedig und Rom. Welch vornehme Ver­wandtschaft!

Die Deck­engemälde stellen die Frei­heit und  die Tugen­den Sit­tlichkeit, Men­schen­liebe, Vater­land­sliebe und Wis­senschaft dar. Über dem gold­e­nen Tor zum Fest­saal liest man auf lateinisch: “Durch Ein­tra­cht wächst das Kleine, durch Zwi­etra­cht zer­fällt das Größte.“ Fragt sich nur, was klein und was groß heute in Ham­burg ist.

Klein ist das demokratis­che Selb­stver­ständ­nis, groß die  kon­sum­istis­che Vergnü­gungssucht als da wären: Straßen­feste und Flohmärk­te, Musik­büh­nen, Eßstände, Gyros, Gar­ne­len­spieß, Schlem­merp­fanne, Wei­h­nachts­markt,  Alster­vergnü­gen, Hafenge­burt­stag, Cyclas­sics, Ham­burg Marathon, Triathlon, Schlager­move, Stuttgarter Wein­fest, Bik­er-Tre­f­fen und Motor­rad-Gottes­di­enst und so weit­er.

Warum auch nicht, wenn es zugle­ich ähn­lich attrak­tive demokratis­che Feste gäbe, die die Stadt­grün­dung poli­tisch feierten und  den demokratis­chen Bund erneuerten, auch zwis­chen den Wahlen.

Sich­er  gibt es solche demokratisch-sol­i­darischen Ereignisse – dazu zäh­le ich beispiel­sweise die Unter­stützung, die das Camp an der St.Pauli-Kirche für die Libyen-Flüchtlinge von vie­len Ham­burg­ern erfährt, ein Fest der Sol­i­dar­ität, auch die Demon­stra­tion, die für ihre Rechte durchge­führt wurde. Hier wird das weit­ge­hend abgeschaffte Asyl­recht wieder von unten erneuert.

Doch weit­er auf dem Rundgang im Rathaus: ich komme ins Waisen­z­im­mer. Er ver­dankt seinen Namen den 80 Waisenkindern, die in fün­fjähriger Arbeit die Kerb­schnitzereien an Türen, Wän­den und Täfelun­gen aus dunkel gefärbtem Eichen­holz anfer­tigten.

Was zunächst die Assozi­a­tion Sklave­nar­beit weckt, hat­te doch einen sozialen Aspekt: die Waisenkinder erhiel­ten durch diese Arbeit eine Aus­bil­dung. Die Waisen­häuser gibt es heute nicht mehr, wur­den abgelöst durch Jugend­dör­fer, Jugend­woh­nun­gen und Pflege­fam­i­lien. So erin­nert das Zim­mer an eine harte Form der Barmherzigkeit, deren Erb­schaft etwa im Run­den Tisch Heimerziehung jüngst erst aufgear­beit­et wurde.

Schließlich komme ich in einen Raum, in der ein Teil der sil­ber­nen Kost­barkeit­en aus Sil­berkam­mer des Rathaus­es aus­gestellt ist, die Ham­burg in den let­zten 150 Jahren von wohlhaben­den Kau­fleuten, Sen­a­toren, Bürg­er­meis­tern und illus­tren Gästen wie etwa dem englis­chen König Edward VII.  geschenkt bekam.

Aber solche alten Stücke sind sel­ten, denn Ham­burg war eine beschei­dene Repub­lik, keine königliche Res­i­denz und ver­fügt nicht wie Dres­den über ein “Grünes Gewölbe” mit seinen Her­rlichkeit­en. Hinzu kam, dass 1805 ein Großteil der Sil­ber­schmiedekam­mer aus Angst vor den Trup­pen Napoleons eingeschmolzen wurde. Die dama­lige Ängstlichkeit wird nur noch von der Bedenken­losigkeit übertrof­fen, mit der die jüng­sten Ham­burg­er Regierun­gen ihr “Tafel­sil­ber” veräußerten – sprich Kranken­häuser, Energien­et­ze, Hafe­nan­la­gen.

Es müsste  neben der Sil­berkam­mer eine Strafkam­mer geben, in der die für solche Transak­tio­nen ver­ant­wortlichen Bürg­er­meis­ter und Sen­a­toren zumin­d­est in effigie ein­sitzen müssten – etwa Ole von Beust, der Ham­burg das über­zo­gene Pro­jekt Elbphil­har­monie bescherte und sich vor der let­zten Wahl aus dem Staube machte – ein Madame Tus­saud-Kabi­nett der poli­tis­chen Fehlentschei­dun­gen im Rathaus.

Ja, daran muss ich denken als ich vor der Ratsstube ste­he, in dies Aller­heilig­ste der Exeku­tive darf man nur hinein­schauen. Jeden Dien­stag tagt hier der Sen­at. Vor dem Ein­gang wachen die Mar­mor­fig­uren Gnade und Gerechtigkeit; Relikt aus der Zeit als der Sen­at noch die richter­liche Gewalt ausübte (bis 1860),aber auch heute noch bedenkenswerte Sym­bole ein­er gerecht­en Regierung.

Ja, von der Klugheit und  der Torheit der Regieren­den wird unser poli­tis­ches Leben bes­timmt, alle vier Jahre kön­nen wir sie abwählen, aber mit ihren Entschei­dun­gen müssen wir dann jahrzehn­te­lang leben. Das Ver­rück­te ist, dass sich das Ver­häng­nis oft vor unseren Augen vol­lzieht, wir sehen, was möglicher­weise falsch ist,  wir schreiben Leser­briefe, machen Eingaben, demon­stri­eren – es hil­ft wenig …

Nun noch schnell in den großen Fest­saal, 46 Meter lang, mit Platz für 540 sitzende Gäste; Schau­platz der Matthi­ae-Mahlzeit, des “ältesten noch began­genen Festessens der Welt.” Hier war ich schon ein paar Mal zu Empfän­gen für Ehre­namtliche, Gew­erkschafter und   Kirchen­leute. Immer wieder beein­druck­en mich die großen Wand­bilder, gemalte Ham­burg­er Geschichte – die Urland­schaft vor der Besiedelung, die ersten Bauern und Fis­ch­er an Elbe und Alster, die Chris­tian­isierung, sprich der Auftritt Ans­gars mit dem über­mal­ten knieen­den Ham­burg­er  – ein Ham­burg­er kni­et vor nie­man­dem – und schließlich der pulsierende  Ham­burg­er Hafen am Ende des 19.Jahrhunderts.

So, mein Rathaus­be­such ist been­det, auf die Fin­ger habe ich den Poli­tik­ern nicht ger­ade geschaut, aber doch ein paar Ein­drücke mitgenom­men. Ich fahre mit der Fähre nach Finken­werder.  Viel Betrieb auf der Elbe, im Gegen­licht mehrere Schlep­per und ein Con­tain­er­schiff, als wären sie ger­ade dem Wandgemälde entsprun­gen. Ja, ich liebe Ham­burg, meine Vater­stadt, bin immer wieder über­wältigt von der Hafen­szener­ie, von den Tür­men und Krä­nen. Schön ist es hier und kön­nte doch bess­er, gerechter sein.

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