Wer vor Weihnachten an der schiitischen Imam Ali-Moschee an der Hamburger Außenalster vorbeigeht, wird im Schaukasten eine Weihnachtsbotschaft des leitenden Geistlichen dieser Moschee entdecken. Darin gratuliert er uns Christen zur Geburt des Propheten Jesus und versichert, dass die Muslime diesen Gesandten Gottes hoch verehren. Er sei ein Prophet der Rechtleitung gewesen. Ich war erstaunt über diese jesusfreundliche Botschaft des Imam, zugleich machte sie mich neugierig.
Was steht denn im Koran über Jesus und seine Geburt?
Ich schaute nach und fand mit Hilfe eines Buches von Martin Bauschke (Der Sohn Marias. Jesus im Koran, Darmstadt 2012) heraus: Über Jesus wird im Koran relativ häufig geredet wird. Insgesamt in 19 Suren, den Kapiteln des Korans, wird Jesus erwähnt, 120 Verse beziehen sich auf ihn.
Muhammed hat nun seine Schlüsselerfahrung mit dem einen Gott als dem barmherzigen Schöpfer, Erhalter und Richter der Menschen mit Hilfe des ihm zu Ohren gekommenen Lehrgutes älterer Glaubenstraditionen neu ausgedrückt. Dazu gehörte auch die Geschichte des Propheten und Messias Jesus aus Nazareth. Um es vorweg zu sagen: Jesus ist im Glauben der Muslime nicht der Sohn Gottes. Aber er ist auch kein gewöhnlicher Mensch, sondern ein wichtiger Gesandter Gottes. Im Glauben der Muslime äußert sich die Wertschätzung der Person Jesu im Rahmen eines strikten Monotheismus.
Allerdings ist die Geburt Jesu auch im Koran von legendenhaften Zügen bestimmt. Wie bei den Evangelisten Lukas und Matthäus beginnt die Geschichte Jesu im Koran mit dem Wunder der Jungfrauengeburt. Ähnlich wie in der berühmten Ankündigungsszene des Lukas sagt ihr ein Geist (Engel?) als wohlgestalteter Mensch in Sure 19 (die Maryam heißt), dass sie “einen lauteren Knaben” gebären wird. Wie bei Lukas fragt Maria erschreckt: “Wie soll ich einen Knaben bekommen, da mich noch kein Mann berührt hat und ich auch keine Dirne bin?” Darauf antwortet der Gesandte Gottes: “Dein Herr spricht: Das ist für Gott ein Leichtes.”
Und so geht die Geschichte im Koran weiter: Die schwangere Maria hat sich wegen der Vorwürfe aus ihrer Verwandtschaft an einen fernen Ort zurückgezogen. Die Wehen setzen ein, sie ist verzweifelt und ruft: “Wäre ich doch vorher gestorben und ganz in Vergessenheit geraten.” Da hört sie die Stimme ihres gerade geborenen Sohnes: “Bekümmere dich nicht. Der Herr hat unter dir ein Bächlein fließen lassen. Und rüttle am Stamm der Palme, hin zu dir, damit sie frische Früchte auf dich herunterfallen lässt. Dann iss und trink und sei frohen Mutes.”
Und so geschieht es. Der gerade geborene Jesus rettet so seine Mutter durch ein Sprechwunder. Und die Palme leistet gewissermaßen Hebammendienste, indem sie die gebärende Maria nach der Geburt versorgt. Maria bringt also das Jesus-Kind auf der Flucht zur Welt. Auch im Matthäus-Evangelium wird von der Flucht Marias, Josephs und des kleinen Jesu vor den Nachstellungen des Königs Herodes erzählt. Was auf dieser ganz knapp berichteten Flucht passiert, daran hat sich die fromme Phantasie schon früh entzündet.
Das apokryphe Matthäusevangelium nimmt im 7. Jahrhundert das Erzählmotiv von der rettenden Palme aus dem Koran auf und bindet es in die Geschichte von der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten ein. So haben wir auf vielen von christlichen Künstlern gemalten Bildern der “Ruhe auf der Flucht” die Dattelpalme, die ihre Früchte für Maria und ihr Kind spendet. Sie stammt aus dem Koran. Welch eine schöne Gemeinsamkeit zwischen Islam und Christentum!
Jesus und seine Mutter waren Flüchtlinge. Aber das ist nicht nur eine alte gemeinsame Geschichte, sondern auch bedrängende Realität. In unseren Krippenspielen und Weihnachtsliedern(“Maria durch ein Dornwald ging”) wird oft das Flüchtlingsthema angesprochen. Wir sind als Eltern und Großeltern entzückt, wenn unsere Kleinen “Wer klopfet an? Oh zwei gar arme Leut” singen. Aber hören wir die heute Anklopfenden?
Auf der Flucht sind Millionen Menschen aus Syrien, die vor allem in der Türkei, im Libanon und Jordanien eine armselige Bleibe in Zeltlagern gefunden haben. Gerade mal 30.000 von den fast 3 Millionen Flüchtlingen haben in Deutschland zwischen 2011 und 2013 Zuflucht gefunden. Die Bundesinnenministerkonferenz hat beschlossen, 10.000 weitere Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, und zwar solche, die eine Verpflichtungserklärung unterschreiben, dass sie für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen können.
Aber 76.000 Syrer mit Verwandten in Deutschland haben bereits einen Antrag auf Asyl gestellt. Über 60.000 können also hier keine Herberge finden. Viele von ihnen werden jetzt versuchen, illegal nach Europa und Deutschland zu kommen, die Zahl der Toten wird steigen. “Wenn die Bundesländer menschliche Härten vermeiden wollen, müssen sie in eigener Regie die die Anforderungen an die Sicherung des Lebensunterhalt herunterschrauben”, sagt Pro Asyl. Immerhin hat die Bürgerschaft in Bremen einen Beschluss gefasst, geflüchteten Minderheiten und Familienangehörigen aus Syrien und dem Irak ohne Unterhaltsverpflichtung aufzunehmen. Könnte sich Hamburg daran nicht ein Beispiel nehmen? So würde die gemeinsame christlich-muslimische Geburtsgeschichte Jesu Weihnachten 2014 sozial umgesetzt.
Doch zurück zur “Geburtsgeschichte Jesu” im Koran. Sie erzählt weiter, wie Maria mit dem Säugling zu ihren Verwandten zurückkehrt und diese ihr Vorhaltungen machen: “Maria, du hast etwas Unerhörtes getan. Dein Vater war doch kein unzüchtiger Mann und deine Mutter keine Dirne.” Maria deutet zu ihrer Verteidigung auf das Kind. Die Verwandten sagen verächtlich: “Wie sollen wir mit einem sprechen, der noch ein Kind in der Wiege ist?”
Und da geschieht nochmals ein Sprech-Wunder. Wieder beginnt das Kleinkind beginnt zu reden. Es stellt sich mit folgenden Worten selbst vor: “Ich bin der Knecht Gottes! Er gab mir das Buch und machte mich zum Propheten. Er verlieh mir Segen, wo immer ich auch war, und trug mir das Gebet und die Armensteuer auf, solange ich am Leben bin. Und Ehrerbietung gegen meine Mutter! Er machte mich zu keinem elenden Gewaltmenschen.”
Das klingt verglichen mit unserem Jesusbild vertraut und fremd zugleich. Jesus stellt sich hier wie andere jüdische Propheten als Knecht Gottes vor, der von Gott zum Propheten berufen wurde. Zwar hat Jesus sich in den Evangelien nicht selbst als Knecht bezeichnet. Doch er beschreibt sich als einer, der gekommen ist, zu dienen und nicht sich bedienen zu lassen.
“Gott gab mir das Buch”, sagt Jesus im Koran, spricht die Thora und die Evangelien; und deswegen gehören die Christen wie die Juden zu den von den Muslimen zu achtenden “Menschen des Buchs”. Des weiteren stellt sich Jesus als frommer Jude und zugleich als frommer Moslem vor. Denn er sagt von sich, dass er die Pflichten des rituellen Gebets und der Armensteuer erfüllt sowie das Elterngebot.
Was er gleich praktisch unter Beweis stellt, indem er seine Mutter verteidigt. In dieser Geschichte aus dem Koran wird die enge Verbindung zwischen Maria und ihrem Sohn deutlich. Jesus verhält sich von Anfang an wie ein “Ritter” der alleinstehenden Maria. Denn im Koran gibt es keinen Ehemann Josef, der sie beschützen kann. Jesus ist im Koran vaterlos, er ist zuerst und vor allem “der Sohn Marias” – in den Evangelien distanziert er sich hingegen seiner Mutter.
Mit dieser Ansprache des kleinen Propheten, der noch ein Kind in der Wiege ist, wird Maria, der wegen illegitimer Schwangerschaft die Strafe durch Steinigung drohte, gerettet. Abschließend sagt Jesus hier von sich, er sei “kein elender Gewaltmensch.” Das erinnert deutlich an Jesu Seligpreisung der Friedensstifter und an seine Aufforderung an die Jünger, in Konflikten auf Gewalt zu verzichten: “Dem, der dich auf die rechte Backe schlägt, dem halte auch noch die linke hin.” Es gibt also ein gemeinsames gewaltfreies Erbe von Christentum und Islam.
Allen Attentätern und Gewaltmenschen, die im Namen ihres Glaubens Gewalt gegen Mitmenschen üben, sei dieser Spruch Jesu aus dem Koran ins Stammbuch geschrieben: “Gott machte mich zu keinem elenden Gewaltmenschen.” Die jungen Muslime, die in einer Mischung aus Gewaltfaszination und Perspektivlosigkeit nach Syrien und dem Irak fliegen, um dort an den mörderischen Kämpfen des IS teilzunehmen, sollten diesen Satz Jesu hören, ihre Imame und Betreuer sollten ihnen diesen Spruch einhämmern und ihnen Chancen eröffnen, ohne Gewalt ein sinnvolles Leben zu führen. Denn den Rückkehrern muss man mehr anbieten als ihnen den Personalausweis wegzunehmen.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar