Bene-Diktum: Käthes Mieder

Eine theologische Bildbetrachtung zum gerade vergangenen Reformationstag

Am 31. Novem­ber war Refor­ma­tion­stag, Gedenk­tag der Ref­or­ma­tion, genauer an den The­se­nan­schlag Luthers an die Wit­ten­berg­er Schlosskirche vor genau 495 Jahren – den es wahrschein­lich gar nicht so gegeben hat. Es ist seit Langem kein offizieller Feiertag mehr im lutherischen Ham­burg, dafür aber in den neuen Bun­deslän­dern als den Stamm­län­dern der Ref­or­ma­tion, obwohl es dort nur noch 20% Kirchen­mit­glieder gibt.

Ich möchte mit dieser Betra­ch­tung des Bildes Cranachs “Jesus seg­net die Kinder” auch an die großar­tige Ausstel­lung vor fast dreißig Jahren “Luther und die Fol­gen für die Kun­st” erin­nern, auch an den immer wieder lesenswerten, von Wern­er Hof­mann her­aus­gegebe­nen, gle­ich­nami­gen Kat­a­log und seinen bril­lanten Ein­leitungses­say.

Es ist bekan­nt, dass die Ref­or­ma­tion dank des Buch- und Flug­blattdrucks sich so schnell aus­bre­it­en kon­nten. So bilder­feindlich die Ref­or­ma­tion in manchen ihrer Erschei­n­un­gen war, so sehr haben die Bilder doch zu ihrer Durch­set­zung beige­tra­gen. Bilder waren ein pro­bates Mit­tel der Agi­ta­tion und Mis­sion. Luther sagte, Bilder halte er für frei. “Wer da will,der kann‘s lassen, obwohl ich Bilder aus der Schrift und guten his­to­rien für sehr nüt­zlich halte, aber doch frei und in jed­er­manns Ermessen.denn mit den Bilder­stürmern halte ich es nicht.” Fol­gerichtig wur­den auch seine Bibelüber­set­zun­gen mit Bildern verse­hen.

Ich habe bei der Kun­sthalle darum gebeten, dieses Gemälde aus dem Depot zu holen und in den Raum neben dem Car­i­tas-Gemälde Lucas Cranachs des Jün­geren aufzustellen – warum?

Ein­mal passt es mit der Darstel­lung von Kindern und Müt­tern gut zu diesem Bild. Und mit so reizen­den kleinen Merk­würdigkeit­en wie den Äpfel abschla­gen­den Knaben auf der Car­i­tas, dem Kind mit der Holzpuppe im Seg­nungs­bild und dem schon erwäh­n­ten kleinen, sich der Bienen erwehren­den amourösen Honigdieb.

Aber der Haupt­grund für meine Bild­wahl ist ein ander­er. Auch “Jesus seg­net die Kinder” ist ein von Luther und Cranach erfun­den­er Bild­typ, der in der religiösen Auseinan­der­set­zung ihrer Zeit eine Rolle spielte. Die Geschichte ste­ht ja im Marku­se­van­geli­um im 10. Kapi­tel. Diese Kinder­seg­nung wird von den Refor­ma­toren als bib­lis­ches Argu­ment für die Kinder­taufe in der Auseinan­der­set­zung mit den so genan­nten Wiedertäufern ver­wen­det, die die Erwach­se­nen­taufe befür­worteten. Die idyl­lis­che Szene ist also ein reli­gion­spoli­tis­ches Kampf­bild. Das Kindere­van­geli­um ist noch heute Teil der lutherischen Tau­fli­turgie, obwohl Jesus ja sel­ber nicht getauft hat und die Kinder­taufe in der frühen Kirche nicht geübt wurde. Ein Text, der eigentlich die neue Hal­tung zum Reich Gottes umschreiben will, ver­trauen und glauben, wird ver­wen­det zur Legit­i­ma­tion der obrigkeitlich abgesicherten Kinder­tauf­prax­is.

Zum anderen wird auf dem Bild die lutherische Auf­fas­sung vom Glauben als göt­tlich­er Gnade anschaulich, denn wenn nach Christi schönem Wort bevorzugt die Kinder ins Him­mel­re­ich kom­men, dann hat die katholis­che Lehre von der Werkgerechtigkeit keinen Bestand, “da die Kinder nur den Glauben als göt­tlichen Gnade­nakt vor­weisen kön­nen”, so Wern­er Hof­mann. So sagt Luther in den Tis­chre­den, seinen Sohn beobach­t­end: “der wäre auch im Glauben viel gelehrter, denn Kinder glauben ohne langes Dis­putieren ganz ein­fältig, daß Gott gnädig ist und an ein ewiges Leben”.  Sich­er ist das eine Über­höhung kindlichen Ver­trauens, aber doch etwas, was uns immer wieder entzückt. Und auch als ältere Men­schen erin­nern wir uns gerne an das, was wir damals als Kinder naiv geglaubt haben und als Her­anwach­sende dann doch in eine mehr real­is­tis­che Glauben­shal­tung trans­formieren mussten.

Jet­zt bin ich mit der Deu­tung voraus­geeilt. Was sehen wir auf dem Bild?

Jesus ist umringt von Frauen mit ihren Säuglin­gen und Kindern. Er hält in der Mitte einen Säugling auf dem Arm, dem er das Gesicht zuneigt. Er herzte sie, heißt es im Markus-Text. Mit dem recht­en Arm berührt und seg­net er ein Kind, das eine Mut­ter ihm hinreicht.Von rechts und links drin­gen Müt­ter mit Kleinkindern her­an. Die Säuglinge in Jesu Nähe wen­den sich ihm ver­trauensvoll zu. Ein­er hin­ter ihm greift mit den Ärm­chen, der auf dem Arm schmiegt sich an ihn, der hinge­hal­tene Säugling nimmt die Seg­nung entspan­nt ent­ge­gen.

Auch die Müt­ter wen­den sich Jesus erwartungsvoll zu. Eine greift an seine Gewand, als wolle sie ihn bit­ten – “Seg­ne auch mein Kind.” Die Mut­ter, deren Kind er ger­ade seg­net, blickt ihn ver­trauensvoll an, die andere, deren Kind er auf dem Arm hält, hat fromm die Hände zum Gebet gefal­tet. Diese Ver­trauensseligkeit der Kinder und Müt­ter ste­ht im Gegen­satz zu den zweifel­nden und ver­drosse­nen Gesichtern der drei Jünger links im oberen Bil­drand. Die Jünger, die die Mes­sian­ität Jesu offen­sichtlich bess­er ver­mark­ten wollen und denen der Müt­ter­au­flauf nicht ins Pro­gramm passt. Ein­er hebt abwehrend die Hand. Auf dem Bild ist die Szene nach ihrer Zurechtweisung gezeigt. Oder man kön­nte auch sagen: Jesus weist sie zurecht durch sein anderes seg­nen­des Ver­hal­ten. Dieses ist aus­drück­lich durch eine Inschrift ver­merkt.

Das ist ein deut­lich­es Zeichen für die päd­a­gogis­che Absicht des Bildes, so wie die Verbindung von Bild und Schrift auch für andere The­men protes­tantis­ch­er Glauben­sun­ter­weisung kennze­ich­nend war. Die Müt­ter sind nicht sehr dif­feren­ziert geschildert, haben alle einen ähn­lichen Gesicht­saus­druck, ihre Klei­dung ver­rät sie als Bürg­ers­frauen. Es sind jeden­falls keine Tiger­müt­ter, die das Vorankom­men ihrer Kinder mit allen Mit­teln betreiben, son­dern Müt­ter, die auch auf Rit­uale und Segen, auf das Unver­füg­bare bauen. Insofern kann man es auch begrüßen, wenn in den let­zten Jahren ver­mehrt evan­ge­lis­che Grund­schulen gegrün­det wur­den, weil in ihnen diese Segen­sräume eine Rolle spie­len.

Drit­tens schließlich war Luthers Ablehnung des Zöli­bats so wie seine Wertschätzung von Ehe und Fam­i­lie ein Grund für die häu­fige Darstel­lung dieses Bildthe­mas durch Cranach. Hein­rich Heine hat in sein­er Geschichte der Reli­gion und Philoso­phie in Deutsch­land diese Neuerung sehr tre­f­fend beschrieben:

“Es entste­ht das evan­ge­lis­che Chris­ten­tum. (…) Beson­ders sehen wir jet­zt eine erfreuliche Verän­drung im Leben der Geistlichen. Mit dem Zöli­bat ver­schwan­den auch fromme Unzücht­en und Mönch­slaster. Unter den protes­tantis­chen Geistlichen find­en wir nicht sel­ten die tugend­haftesten Men­schen, Men­schen vor denen selb­st die alten Stoik­er Respekt hät­ten. Man muß zu Fuß, als armer Stu­dent, durch Nord­deutsch­land wan­dern, um zu erfahren, wie viel Tugend, und damit ich der Tugend ein schönes Bei­wort gebe, wie viel evan­ge­lis­che Tugend, manch­mal in so ein­er schein­losen Pfar­rerwoh­nung zu find­en ist. (…) Wenn ich dann gut gegessen und gut geschlafen hat­te, und des Mor­gens weit­er ziehen wollte, kam der alte Pas­tor im Schlafrock und gab mir noch den Segen auf den Weg, welch­es mir nie Unglück gebracht hat; und die gut­mütig geschwätzige Frau Pas­torin steck­te mir einige But­ter­bröde in die Tasche, welche mich nicht min­der erquick­ten; und in schweigen­der Ferne standen die schö­nen Predi­gertöchter mit ihren errö­ten­den Wan­gen und Veilchenau­gen, deren schüchternes Feuer, noch in der Erin­nerung, für den ganzen Win­tertag mein Herz erwärmte.”

Diesen Protes­tantismus als religiös-bürg­er­liche Lebens­form beson­ders in der Städtere­for­ma­tion, das zeigen die Seg­nungs­bilder Cranachs.

Schließlich werfe ich noch eine Seit­en­blick auf die nack­te Car­i­tas. Wir sehen daran, dass die Darstel­lung men­schlich­er Nack­theit “auch im unmit­tel­baren Umkreis der Refor­ma­toren keinen Ein­schränkun­gen unter­lag, solange die Akt­fig­uren christlich oder aber all­ge­mein moralisch begründ­bar waren.” Und so kennze­ich­net das Bild­mo­tiv des Kinder­stil­lens seit Langem schon die christliche Tugend der Liebe und zugle­ich der Näch­sten­liebe. Ein Stück protes­tantis­ch­er Freikör­perkul­tur vor den Toren der Stadt, die im Hin­ter­grund auf­scheint und zugle­ich eine Gele­gen­heit, einen schö­nen Frauenkör­p­er zu zeich­nen, auch wenn das linke Bein etwas unnatür­lich lang ger­at­en ist.

Insofern muss ich Hein­rich Heine noch ein­mal kor­rigieren, wenn er in der Roman­tis­chen Schule Renais­sance und Ref­or­ma­tion gegeneinan­der ausspielte. Dort sagte er: “Papst Leo X, der prächtige Mediceer, war ein eben­so eifriger Protes­tant wie Luther. Die Maler Ital­iens polemisierten gegen das Pfaf­fen­tum vielle­icht weit wirk­samer als die säch­sis­chen The­olo­gen. Das blühende Fleisch auf den Gemälden Tizians, das ist alles Protes­tantismus. Die Lenden sein­er Venus sind viel gründlichere The­sen als die, welch­er der deutsche Mönch an die Kirchen­türe von Wit­ten­berg anklebte.” 

Das ist zwar geistre­ich pointiert gesagt, aber in Wit­ten­berg gin­gen malerische Sinnlichkeit und rigider Protes­tantismus dur­chaus eine Verbindung ein, wenn man an Cranachs nack­te Frauengestal­ten denkt, an die ver­schiede­nen Venus­darstel­lun­gen, an die Quell­nymphe, zu schweigen von den her­rlich nack­ten Adam und Eva. Und ich stelle mir vor dass Luther als “kom­plet­ter Men­sch”, der Wein, Weib und Gesang pries, wie Heine auch anmerk­te, an diesen Bildern Cranachs zumin­d­est seine stille Freude gehabt hat. Und er hätte am Refor­ma­tion­stag sich­er ein Ein­beck­er Bier getrunk­en, ordentlich zuge­langt beim Gänse­brat­en, seine Frau Käthe ums Mieder gefasst und sich an seinen eige­nen Kindlein erfreut. 

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