Clown Beppo bringt alle zum Lachen – am meisten seine Frau Berta, die im Zirkuszelt Zuckerwatte verkauft. Sie lacht schon, bevor er auf der Bananenschale ausrutscht. Und sie hat sonst nicht viel zu lachen, die Frau Berta. Denn Beppo gleitet langsam ab in eine Welt des Vergessens und des Zorns. Kein Zirkuswelt-Zauber vermag die schleichenden Prozesse der Demenz aufzuhalten. Die Lichter gehen langsam aus, und die Zuckerwatte von Frau Berta wird feucht und klebrig. Und am Ende wird ein neuer Clown auf der Bananenschale ausrutschen. Alle werden lachen, und keiner wird Beppos Fehlen bemerken. Hereinspaziert in Renate Aichingers Manege der kleinen Alltagsgeschichten.
Auf dem Buchrücken werden die Salzburger Nachrichten zitiert: “Erinnert sehr stark an Elfriede Jelinek!” steht da. Mit einem Ausrufezeichen. Das mag ein Kompliment sein. Aber Aichinger hat einen viel zu eigenen Kopf, um verglichen zu werden. Natürlich merkt man ihr die österreichische Herkunft an. Diese Verspieltheit der Sprache, die Liebe zum Detail, das Verbinden dessen, was (nicht) zusammen gehört. “Du willst ein perfektes Dinner sein und bist doch nur ein Schwammerl im Gulasch. So dick gebunden, dass du nicht mal gegen den Strom schwimmen kannst.”
Wenn Aichinger über den Alltag schreibt, der die Welt ausmacht – der Titel ist mit Bedacht gewählt –, dann sucht sie sich kleine Augenblicke, schiebt hier einen Vorhang beiseite, lugt dort durch eine Tür. Und erhascht dabei eine Essenz des Alltäglichen, die mit Wucht kommt. Aber umsonst gibt es sie nicht, die Wucht. Man muss sich schon ein wenig anstrengen für sein (Lese-) Glück. Denn Aichinger legt einem Steine in den Weg, wo sie nur kann. Ihr Lieblingssatzzeichen ist der Punkt. Gern auch mitten im Satz – oder gar im Wort. Welt.All.Tag eben. Manchmal hemmt das den Lesefluss, und man möchte ungeduldig weiterblättern. Es lohnt sich aber, das nicht zu tun.
Doch nicht nur die Sprache ist ungewöhnlich bis grotesk. Auch inhaltlich kommt der Alltag keineswegs alltäglich daher. Denn Aichinger setzt das Seziermesser an und erzählt. Vom Leben einer jungen Frau von der Wiege bis zur Bahre im Zeitraffer, die sich bis zum Ende an die sichere Hand ihrer Oma wünscht. Von der Frau Erna, deren Lieblingstag der Montag ist, weil sie da ins Amalienbad geht; für ein Badezimmer in der Wohnung reicht die Rente nicht. Und das ist ihr Glück, denn sie freut sich die ganze Woche über auf den Schwatz in der Umkleide mit ihren Amalienbad-Bekanntschaften.
Oder sie erzählt von einer jungen Frau bei ihrem Tag im Einkaufszentrum bis zum Moment ihrer Abschiebung – wo sie doch gerade noch im Konsumwunderland den Prinzessinnentraum geträumt hat: “Es geht um Leben und Tod. Als Kartenbesitzer. Solange das Plastik funktioniert, so lange ist man dabei.”
Zwischen den Geschichten finden sich kleine lyrische Formen. Auch hier führt die Sprache sich gern ad absurdum, um am Ende wieder Sinn zu machen. Und so lesen wir uns durch das Leben der Figuren und taumeln und träumen mit ihnen bis zum Abgrund.
Wie bei Frau Z., deren Gartenzwerg-Sammlung eines Tages gepfändet wird, weil die letzten 33 Zwerge nicht bezahlt sind. Oder zur “Sendung mit dem Klaus”, der bei der Müllabfuhr arbeitet und sein Leben am liebsten gleich mit abführen würde. Splitter der Realität, die kurz funkeln und glücklich und meistens etwas traurig machen. Aber das will sie bestimmt gar nicht, die Frau Aichinger. Denn so bitter sie manchmal klingt, so liebevoll hält sie fest an ihren Figuren. Und die halten sich fest an den kleinen Dingen, die ihren Alltag lebenswert machen. “Ich und meine beiden Koffer, die mich unter meinem Bett beschützen wie starke Wachhunde, wenn ich wieder schlecht träume – im Schlaf oder im Leben.” Punkt.
Renate Aichinger
Welt.All.Tag
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