Bittere Zuckerwatte

Renate Aichinger schreibt in ihrem Prosa-Debut »Welt.All.Tag« über das Leben – ohne Zuckerguss, aber mit Einblicken in Ecken, in die sonst keiner schaut

Zir­kus ist auch nicht immer Zucker­wat­te. (Bild: © Bernd Jür­gens – Fotolia.com)

Clown Beppo bringt alle zum Lachen – am meis­ten sei­ne Frau Ber­ta, die im Zir­kus­zelt Zucker­wat­te ver­kauft. Sie lacht schon, bevor er auf der Bana­nen­scha­le aus­rutscht. Und sie hat sonst nicht viel zu lachen, die Frau Ber­ta. Denn Beppo glei­tet lang­sam ab in eine Welt des Ver­ges­sens und des Zorns. Kein Zir­kus­welt-Zau­ber ver­mag die schlei­chen­den Pro­zes­se der Demenz auf­zu­hal­ten. Die Lich­ter gehen lang­sam aus, und die Zucker­wat­te von Frau Ber­ta wird feucht und kleb­rig. Und am Ende wird ein neu­er Clown auf der Bana­nen­scha­le aus­rut­schen. Alle wer­den lachen, und kei­ner wird Beppos Feh­len bemer­ken. Her­ein­spa­ziert in Rena­te Aichin­gers Manè­ge der klei­nen Alltagsgeschichten.

Auf dem Buch­rü­cken wer­den die Salz­bur­ger Nach­rich­ten zitiert: »Erin­nert sehr stark an Elfrie­de Jeli­nek!« steht da. Mit einem Aus­ru­fe­zei­chen. Das mag ein Kom­pli­ment sein. Aber Aichin­ger hat einen viel zu eige­nen Kopf, um ver­gli­chen zu wer­den. Natür­lich merkt man ihr die öster­rei­chi­sche Her­kunft an. Die­se Ver­spielt­heit der Spra­che, die Lie­be zum Detail, das Ver­bin­den des­sen, was (nicht) zusam­men gehört. »Du willst ein per­fek­tes Din­ner sein und bist doch nur ein Schwam­merl im Gulasch. So dick gebun­den, dass du nicht mal gegen den Strom schwim­men kannst.« 

Wenn Aichin­ger über den All­tag schreibt, der die Welt aus­macht – der Titel ist mit Bedacht gewählt –, dann sucht sie sich klei­ne Augen­bli­cke, schiebt hier einen Vor­hang bei­sei­te, lugt dort durch eine Tür. Und erhascht dabei eine Essenz des All­täg­li­chen, die mit Wucht kommt. Aber umsonst gibt es sie nicht, die Wucht. Man muss sich schon ein wenig anstren­gen für sein (Lese-) Glück. Denn Aichin­ger legt einem Stei­ne in den Weg, wo sie nur kann. Ihr Lieb­lings­satz­zei­chen ist der Punkt. Gern auch mit­ten im Satz – oder gar im Wort. Welt.All.Tag eben. Manch­mal hemmt das den Lese­fluss, und man möch­te unge­dul­dig wei­ter­blät­tern. Es lohnt sich aber, das nicht zu tun.

Doch nicht nur die Spra­che ist unge­wöhn­lich bis gro­tesk. Auch inhalt­lich kommt der All­tag kei­nes­wegs all­täg­lich daher. Denn Aichin­ger setzt das Sezier­mes­ser an und erzählt. Vom Leben einer jun­gen Frau von der Wie­ge bis zur Bah­re im Zeit­raf­fer, die sich bis zum Ende an die siche­re Hand ihrer Oma wünscht. Von der Frau Erna, deren Lieb­lings­tag der Mon­tag ist, weil sie da ins Ama­li­en­bad geht; für ein Bade­zim­mer in der Woh­nung reicht die Ren­te nicht. Und das ist ihr Glück, denn sie freut sich die gan­ze Woche über auf den Schwatz in der Umklei­de mit ihren Amalienbad-Bekanntschaften.

Oder sie erzählt von einer jun­gen Frau bei ihrem Tag im Ein­kaufs­zen­trum bis zum Moment ihrer Abschie­bung – wo sie doch gera­de noch im Kon­sum­wun­der­land den Prin­zes­sin­nen­traum geträumt hat: »Es geht um Leben und Tod. Als Kar­ten­be­sit­zer. Solan­ge das Plas­tik funk­tio­niert, so lan­ge ist man dabei.«

Zwi­schen den Geschich­ten fin­den sich klei­ne lyri­sche For­men. Auch hier führt die Spra­che sich gern ad absur­dum, um am Ende wie­der Sinn zu machen. Und so lesen wir uns durch das Leben der Figu­ren und tau­meln und träu­men mit ihnen bis zum Abgrund.

Wie bei Frau Z., deren Gar­ten­zwerg-Samm­lung eines Tages gepfän­det wird, weil die letz­ten 33 Zwer­ge nicht bezahlt sind. Oder zur »Sen­dung mit dem Klaus«, der bei der Müll­ab­fuhr arbei­tet und sein Leben am liebs­ten gleich mit abfüh­ren wür­de. Split­ter der Rea­li­tät, die kurz fun­keln und glück­lich und meis­tens etwas trau­rig machen. Aber das will sie bestimmt gar nicht, die Frau Aichin­ger. Denn so bit­ter sie manch­mal klingt, so lie­be­voll hält sie fest an ihren Figu­ren. Und die hal­ten sich fest an den klei­nen Din­gen, die ihren All­tag lebens­wert machen. »Ich und mei­ne bei­den Kof­fer, die mich unter mei­nem Bett beschüt­zen wie star­ke Wach­hun­de, wenn ich wie­der schlecht träu­me – im Schlaf oder im Leben.« Punkt.

Rena­te Aichinger
Welt.All.Tag
Edi­ti­on Lau­rin [Ama­zon Partnerlink]

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