Der blaue Rumpf der MS “Bernhard Schepers” schimmert in der Abendsonne. Auf dem Deck des 151 m langen Containerfrachters der emsländischen HS-Reederei ist noch viel Ladung, auf dem Athabaskahöft mühen sich die Fahrer der großen Portalhubwagen, die Blechkisten an Land zu bringen.
Würde denn einer der Hubwagenfahrer sein Fahrzeug für ein paar Minuten parken, ein Fernglas zur Hand nehmen, das er dann auf den gegenüberliegenden Elbhang richtete, dann könnte er, bei ausreichender Vergrößerung natürlich, möglicherweise eine junge, blonde Frau bei der Arbeit beobachten, die ihren Lebensunterhalt damit verdient, Menschen photographieren zu lassen, die sich in sommerlicher Garderobe gegenseitig an den Schultern fassen und ihre Gesichter zu Kameragesichtern werden lassen.
Sie lächeln, wie man es für die Abbildung in einem Gesellschaftsblatt erwarten darf. Es sind eine ganze Reihe prominenter Schauspieler da, die aus dem Fernsehen bekannten geraten automatisch in den Fokus der jungen Dame, sie stehen auf einer handgeschriebenen Liste, die sie in der Hand hält.
Auch sie lächelt bei jeder Aufnahme, motiviert, sobald sie sich abwendet, wird ihre Miene geschäftig angespannt und sie eilt zum nächsten, den Photographen im Schlepptau. Lange sieht man sie nicht mehr unter den Gästen, die Liste ist wohl abgehakt.
Die Anwesenden sind vorher über einen kleinen roten Teppich im Vorgarten der Elbchausseevilla gegangen. Hier residierte bis vor seinem Umzug in das Herz von Altona der kleine Verlag Hörbuch Hamburg und an diesem Abend wird hier ein Preis verliehen, der Osterwold 2012. Margrit Osterwold heißt die Gründerin des Verlages und nach ihr der Preis. Die Preisverleihung geriert sich als eine kleines Gesellschaftereignis, zumindest scheint das der Boulevard so zu sehen, deswegen auch das erhöhte Kameraaufkommen.
Aber das ist eigentlich egal.
Denn dieser Preis ist keine Prämierung künstlerische Best-ofs, keine Jury hat nächtelang getagt, und es wird auch nicht etwa das vermeintlich beste Hörbuch der Republik ausgesucht.
Es ist eine Art Familienfeier, denn die Sprecher, die ausgezeichnet werden, sind Stimmen des eigenen Verlages und die Auswahl ist familiengerecht subjektiv.
Margrit Osterwold und ihr Verlag zeichnen aus, was Ihnen gefällt, dafür gibt eine künstlerische Statuette des Berliner Künstlers Volker März, für jeden Preisträger eine andere Variation und die Ehre.
So etwas ist ziemlich einzigartig, und alle Preisgekrönten – in diesem Jahr die Schauspieler und Sprecher Sascha Icks, Peter Jordan, Hans Löw, Stephan Schad und die Autoren V0lker Klüpfel und Michael Kobr für ihre Kluftinger-Hörtexte – machen es ebenfalls anders als die Anderen, die auf den hoch aufgehängten Galas ein paar Worte des Dankes herausstammeln. Sie erzählen Geschichten aus der Arbeit, aus der Produktion und ganz offensichtlich fühlen sie sich ziemlich wohl dabei.
Unter den Heizpilzen – der Sommer ist noch nicht ganz anwesend – auf der brechend vollen Terrasse kommt bald Stimmung auf. Peter Jordan hält eine launig unverkrampfte Dankesrede, die genau das formuliert, was alle wissen: Es wird nach Gutdünken prämiert und das ist auch gut so.
Die Grand Dame Margrit Osterwold spricht ebenso launige Worte, hamburgisch verkrampfte Elbattitüde scheint ihr fremd zu sein, die Leute fühlen sich wohl, gegessen wird auch und – so merkwürdig das in dieser Stadt erscheinen mag – man spricht viel miteinander.
Es ist dann doch kein echtes Gesellschaftsereignis (nun ja, ein bisschen vielleicht), sondern eine hübsche Feier und, wenn man es so sehen will, eine ziemlich ehrliche Veranstaltung. Hier wird nichts Vermeintliches behauptet, es wird nicht bewertet und man erhebt keinen Anspruch auf Objektivität. Nur eine Fest zur blauen Stunde.
Das hat sich der Hubwagenfahrer wohl nicht gedacht, als er sein Fernglas auf den Elbhang richtete. Oder hat er das gar nicht?
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