Das fünfte Element

Zeitgenössische Chormusik mit dem Sonux-Ensemble: »Light and Love«

Lux inter omnia corporalia maxime assimilatur luci aeterni (Bild: curaphotography/123RF Stock Foto)

Als der greise Goethe starb, so sagt man ihm nach, bat er  um “mehr Licht”. Der ken­nt­nis­re­iche Dichter, der sich zeit seines Lebens mit natur­wis­senschaftlichen Phänome­nen auseinan­derge­set­zt hat­te, war mit der Ele­menten­lehre der Antike tief ver­traut – Feuer, Erde, Wass­er, Luft, diese göt­tliche Vier­heit drück­te die vol­lkommene Wel­tenhar­monie in der pythagoräis­chen Kos­molo­gie des 6. Jahrhun­derts vor Chr. aus. Nur 200 Jahre später erschien erst­mals ein neues Ele­ment in der Philoso­phie, die Schule der Pla­toniker nan­nte es “Äther”.

Dieser stand für das Unfass­bare in der Natur, eine Erschei­n­ung, die den anderen, mehr oder weniger greif­baren Ele­menten über­ge­ord­net war, den Him­mel, die Welt. Dieser Äther wird als die quin­ta essen­zia beze­ich­net, jene Quin­tes­senz, der, nach den natur­philosophis­chen Unter­suchun­gen des Brüder­paares Hart­mut und Ger­not Böhme “eine aus­geze­ich­nete Beziehung zum Licht und zur Seele” nachge­sagt wird. In Kürze dieser Betra­ch­tun­gen zusam­menge­fasst, ist dieses fün­fte Ele­ment der Träger des Lichts.

Eine tiefe Bedeu­tung hat­te das auch für die Baumeis­ter der gotis­chen Kathe­dralen, deren Kon­struk­tion­sid­ee eines göt­tlichen Haus­es sich antik­er Licht­metaphorik bedi­ente. Schon die ersten Bauher­ren dieser für ihre Zeit gigan­tis­chen Rit­u­al­räume nutzten die Insze­nierung des ein­fal­l­en­den Licht­es zur Schaf­fung eines imma­teriellen Raumes, der sich nach oben über das boden­nah Architek­tonis­che hin­aus ver­flüchti­gend, der Vorstel­lung des Göt­tlichen, des Ätherischen, annäherte.

So kommt es nicht von unge­fähr zu ein­er tiefen Beziehungslage in der abendländis­chen Kul­tur zur Meta­pher des Lichts, die sich in vie­len Aus­drucks­for­men find­et. Ver­wurzelt in dieser Welt­wahrnehmung sind Zeilen wie die des wal­i­sis­chen Barock­dichters Hen­ry Vaughn:
“I saw Eter­ni­ty the oth­er night/like a great ring of pure and end­less light,/all calm, as it was bright,/and round beneath it, time in hours, days, years,/driven by the spheres,/like a vast shad­ow mov’d; in which the world/an all her train were hurl’d.”

Solche meta­ph­ysis­che Poe­sie der frühen Neuzeit wäre sicher­lich beina­he vergessen und in den Stu­di­en­schränken der Anglis­ten ver­staubt, gäbe es nicht Kom­pon­is­ten wie den jun­gen Walis­er Paul Mealor, der dieses Gedicht 2012 ver­tont hat. Eng mit der For­men­sprache der Gre­go­ri­anik verknüpft, hat er Vaugh­ns Lichtmed­i­ta­tion für 4‑stimmigen Män­ner­chor geset­zt. Das hat allerd­ings, weiß Gott, nichts mit den Crossover-Mönch­skan­tat­en zu tun, die dem CD-Stapel­waren-Käufer eine nicht begrif­f­ene Inner­lichkeit verkaufen, son­dern ist mod­erne Chor­musik auf höch­stem Niveau.

Mealor hat sein Werk für das schleswig-hol­steinis­che Sonux-Ensem­ble geschrieben, ein­er noch recht jun­gen For­ma­tion aus dem kleinen Ort Uetersen. Es sind junge Stim­men, Tenöre und Bässe, die da antreten gegen das Vorurteil von Män­ner­chören in Kneipen­hin­terz­im­mern, und schräge Schu­bert-Into­na­tio­nen, dieses Niveau haben sie längst ver­lassen.

Spielerisch leicht und – schon greift die Licht­meta­pher erneut – und hell in den oberen Lagen klin­gen sie; die bor­dunar­ti­gen Liegetöne, die die Ober­la­gen stützen, set­zen sich bis in das Zwer­ch­fell des Hör­ers hinein. Über die exak­te Aus­ge­wogen­heit der Stimm­la­gen kann man nur staunen. Unter­stützt wird das Ganze von ein paar hinge­wor­fe­nen Sax­ophon-Pas­sagen und dem milde eso­ter­isch anmu­ten­den Gek­lin­gel eines Wind­spiels, ein Arrange­ment, das der streng kalkulierten Form ein wenig ent­ge­gen arbeit­et.

Ein weit­er­er Dichter aus der Grup­pierung der englis­chen Meta­physik­er find­et auf  “Light and Love” – so heisst die jüng­ste Veröf­fentlichung des Sonux-Ensem­bles – seinen Platz, dies­mal hat der Nor­weger Ola Gjei­lo kom­poniert. Das Stück “Sacred Light” fusst auf George Her­berts Erbau­ungsvers “The Call” aus dem Jahr 1633. Die “reine Meta­pher” (Hans Blu­men­berg) des Lichts wan­delt sich hier in die Inkar­na­tion des göt­tlichen Lichts, in Jesus Chris­tus, der direkt ange­sprochen wird: “Come, my Light, my Feast, my Strength …”

Gjei­los Satz ist kom­plex­er gehal­ten, von Redun­danzen geprägt, choralar­tiger. Wie Glock­en schla­gen die Stim­men im zweit­en Teil aufeinan­der, ver­weisen erneut auf das hohe Ver­mö­gen dieses Chores. Das Zusam­men­spiel mit dem erneut zur ergänzen­den Stimme gewor­de­nen Sax­ophon-Solis­ten Ste­fan Kuchel führt ger­adewegs in die jubel­nden Sphären dieses Hym­nus, in das dem Him­mel nahe Dach der Kathe­drale. Es wer­den Licht und göt­tliche Liebe eins, das kurze Stück ist sozusagen der Angelpunkt des The­menkom­plex­es, in dem sich die Pro­duk­tion bewegt.

Der Chor­leit­er Hans-Joachim Lustig erweist sich als effek­tvoller Dra­maturg seines Ensem­bles – die genan­nten Beispiele unter­stre­ichen nicht nur die hohe Kön­ner­schaft der jun­gen Sänger, son­dern ver­weisen auf einen aus­geprägten Formwillen.

Solcher­art sind auch die gefäl­ligeren Pas­sagen der Pro­duk­tion, etwa die effek­tvollen “Fünf hebräis­chen Gesänge” des Amerikan­ers Eric Whiteacre, wohl ein­er der umtriebig­sten zeit­genös­sis­chen Chorkom­pon­is­ten, der sich höchst öffentlichkeitswirk­sam mit soge­nan­nten “virtuellen Chören”, die gemein­sam über das Inter­net musizieren, in Szene geset­zt hat.

Diesen stark ver­mit­tel­nden Atem merkt man dem für Chor und Stre­ichquar­tett (hier dem soli­den New York­er Sir­ius Quar­tet) geset­zten Werk deut­lich an, dessen hol­ly­wood­eske Leicht­füs­sigkeit mitunter ins his­torisierend Spätro­man­tis­che kippt. Gle­ich­wohl fügt sich auch dieses in den Gesamtkom­plex ein und erle­ichtert sicher­lich den Zugang zum kom­plex­en The­ma und vorurteils­be­lade­nen Genre.

Was bleibt: Der Ver­lust des Vorurteils, die aufk­lärende Auseinan­der­set­zung mit dem hellen Licht der Erken­nt­nis und die Über­raschung über ein – über sein cho­risches Soziotop hin­aus – fast unbekan­ntes Ensem­ble. Was kann eine Neuer­schei­n­ung noch mehr bieten?

Light and Love
New Vocal Works for
The Sonux Ensem­ble

[Ama­zon Part­ner­link]

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