»Das Geld auf anständige Weise ausgeben …«

Zweiter Teil des grossen HAMBURGER FEUILLETON-Interviews mit dem Thalia-Geschäftsführer und Autor Ludwig von Otting

Alles Bolle auf der Jolle: Ludiwg von Otting in der Loge (Photo: Stefan Albrecht/HHF)
Alles Bolle auf der Jolle: Lud­wig von Otting in der Loge (Pho­to: Ste­fan Albrecht/HHF)

Die voll­ständi­ge Textfas­sung des großen Inter­view mit Lud­wig von Otting, das in unserem 13-minüti­gen Inter­view-Film “Der Ermög­li­cher” bere­its auf die­ser Seite des HAMBURGER FEUILLETONS zu lesen war. Der Text erscheint im Wochen­rhyth­mus in drei Teilen.

Ortswech­sel. Der zweite Teil des Gesprächs mit Lud­wig von Otting find­et in ein­er Loge des 1. Rangs statt. Im Hin­ter­grund wird die Bühne des “Gestiefel­ten Katers” abge­baut und die Abend­vorstel­lung vor­bere­it­et. Wir fra­gen den Autor nach seinen lit­er­arischen Vor­lieben und den Geschäfts­führer nach der Verbindung zwis­chen Juris­terei und The­ater.


Wie kommt es zu dem Sujet ihres Buch­es, Pirat­en, Seefahrer etc., das klingt alles sehr kundig. Sind sie zum Segler gewor­den, hier an der Küste?

Ich hab von Seefahrt keinen Schim­mer, aber natür­lich ver­suche ich das ein biss­chen zu ver­schleiern in meinen Büch­ern, in dem ich mir ein paar Infor­ma­tio­nen besorgt habe. Ich meine, ich habe heute noch die größte Mühe Back­bord und Steuer­bord und Luv und Lee zu unter­schei­den. Es ist let­ztlich für die Geschichte auch nicht wichtig, aber es ist halt schon für die Authen­tiz­ität von so Geschicht­en schon ganz gut, wenn man da so ein biss­chen was weiß.

Da ist aber schon eine Fasz­i­na­tion da für die Seefahrt und die Gefahren auf See?
Eine Riesen­fasz­i­na­tion, klar, dieses ganze Unwe­sen, was die da treiben auf See, die Inseln, die See­unge­heuer. Ich hab mal ein paar See­unge­heuer erfun­den, in dem Buch, was sie da liegen haben, den “Tyrannogurkus” und die “Mör­der­muschel” und den ganzen Krem­pel, das hab ich erfun­den, weil ich mich geärg­ert habe.

Kurz nach Erscheinen meines ersten Buch­es in dem eine Riesenkrake eine Rolle spielte, kam dieser schöne Film, “Fluch der Karibik”, mit 3 oder 4 Fol­gen, und da spielt eben auch die Riesenkrake eine Rolle. Ich dachte, mich trifft der Schlag, natür­lich wird jed­er Men­sch denken, ich hab das da geklaut.

Not­falls wäre ja nachzuweisen, dass der Erschei­n­ung­ster­min meines Buch­es lange vor dem Film war – trotz­dem ärg­erts mich, und dann hab ich mir gedacht, wenn alle als erstes auf ne Riesenkrake kom­men kom­men als See­unge­heuer, dann muss ich ein paar andere erfind­en, und deswe­gen hab ich dann diese andern Unge­heuer einge­baut.

Das ist ja auch ein Topos bei Jules Verne, die Krake?
Das weiß ich nicht mehr genau. Ich glaube ja. Ichver­mute, dass ich  die meis­ten Sachen irgend­wo geklaut habe aber lei­der nicht weiß, wo. Als Kind hab ich alles in mich reinge­fressen, Jules Verne und Robert Louis Steven­son, natür­lich Mark Twain und Jack Lon­don, der ja auch unendliche Seegeschicht­en geschrieben hat Da kommt natür­lich alles irgend­wann irgend­wo mal vor. Diese ganz Welt habe ich mir als Kind schon ange­le­sen, und ich hoffe, dass es so speziell wieder rauskommt, dass man mich nicht wie Her­rn zu Gut­ten­berg bald der Pla­giate über­führen kann und sagen, das hast du aus dem Buch, und das hast du aus dem Buch. Ich bin ganz sich­er, dass ich rel­a­tiv viel aus anderen Büch­ern habe oder auch aus Erzäh­lun­gen oder auch aus Fil­men. Ich habe zum Beispiel als 15jähriger ein mehrbändi­ges Werk gele­sen, ich weiß gar nicht wie das hieß, aber die Haupt­fig­ur ist ein Lord Horn­blow­er

C. S. Forester …
Forester, genau. Eigentlich ein biss­chen B‑Movie-mäßig, so eine Art Trashro­man.

Der dann mit Gre­go­ry Peck ver­filmt wurde, zumin­det ein Buch daraus …
Ja, der ist ja dem Nel­son nachemp­fun­den, wie ich gehört habe. Aus dieser Geschichte habe ich ganz viel verin­ner­licht. Mich hat auch Graf Luck­n­er sehr inter­essiert. Also gele­sen habe ich irrsin­nig viele Seefahrts­geschicht­en.

Hor­a­tio Horn­blow­er hat  als Schiff­sjunge ange­fan­gen und ist dann bis zum Admi­ral aufgestiegen, ein Klas­sik­er der Marinelit­er­atur …
Ich hab das gerne gele­sen, aber habe rück­blick­end das Gefühl, dass das eher trashig ist, ich habe auch Enid Bly­ton unheim­lich gerne gele­sen und das ist nun bei Gott keine Weltlit­er­atur, aber das ist auch wurscht, ich finde, dass man als Kind so’n Zeug auch essen darf, lesen darf, rein­fressen darf und muss, und das man das auch sozusagen mit in seine Welt aufnehmen kann.

Was lesen sie heute?
Fra­gen Sie mich nach meinen Lieblingsautoren?

Nein, eher was Sie zur Zeit lesen.
Jet­zt im Moment lese ich zum Beispiel wahnsin­nig gern Jasper Fforde. Keine Ahnung, wie man den ausspricht, mit zwei „F“ am Anfang. Das ist ein Walis­er, der Büch­er schreibt, die sich so ganz äußer­lich als Krim­is, Sci­ence-Fic­tion Krim­is gerieren, aber die voll von Witz und Phan­tasie sind, wie ich’s ganz sel­ten gele­sen habe, das ist ein Lieblingsautor von mir, jet­zt ein neuer­er. Ich lese wahnsin­nig gerne Sebald und ich bin ein großer Anhänger von Arno Schmidt, sehr het­ero­gen sind meine lit­er­arischen Vor­lieben.

Lesen sie Stücke?
Nein, gar nicht, Also nur im Zusam­men­hang mit The­ater, zu meinem Vergnü­gen lese ich keine Stücke. Stücke sind auch nicht da um am Strand gele­sen zu wer­den. Nein, ich lese Prosa und Lyrik, da hab ich meine Vor­lieben. Jean Paul lieb ich sehr, Matthias Claudius, von den neueren eben Arno Schmidt, und dann gibt’s einen Autor, den über­haupt kein Men­sch mehr ken­nt, den ich für einen bedeu­ten­der Nachkriegsautor halte, das ist Gre­gor von Rez­zori, der wun­der­bare Romane geschrieben hat, damit meine ich jet­zt nicht diese däm­lichen, halb­pornographis­chen, schnell hingeschmierten “Maghre­binis­chen Geschicht­en”, son­dern so etwas wie “Ein Her­melin in Tsch­ernopol”, das ist wirk­lich ganz große Lit­er­atur, die, finde ich, ihrer Wieder­ent­deck­ung har­rt.

So eine KuK-Tra­di­tion ist da auch noch mit drin …
Der hat nun wirk­lich die iro­nis­che Dis­tanz des alten, in seinem Fall nicht so ganz gek­lärten, Adels­geschlechts zu ein­er bürg­er­lichen – und auch zu ein­er pro­le­tarischen – Gesellschaft wie kein ander­er. Den find ich zum Beispiel per­sön­lich wesentlich wichtiger als viele andere, die auch noch leben, deren Namen man sich nicht unbe­d­ingt merken muss.

Wir sie hier so entspan­nt in der Loge sitzen, die Beine hochgelegt, das hat so ein wenig was von Jolle. – “Alles Bolle auf der Jolle” ist eins der Lieder aus den “Ruchlosen Rivalen”
Alles Bolle auf der Jolle. Meine Nei­gung zu Kalauern ist auch nicht ger­ade schwach aus­geprägt.

Wie ist denn die Reak­tion im Haus auf den Katzen­stein? Con­ny Schirmer hat die Musik gemacht, dann gibt es diese Lesung mit den wilden Jungs bei Lit­er­atur­fes­ti­vals. Das sieht schon wohlwol­lend unter­stützend aus, sehr dicht dran.
Ja, also, ich sag mal, die Leute nehmen es teil­weise wahr und teil­weise nicht wahr, neg­a­tive Reak­tio­nen kenn ich keine, das sagt einem auch kein­er, wenn ein­er es liest und es Scheiße find­et. Sie sagen entwed­er gar nix oder was nettes. Also der Joachim Lux ist eigentlich der erste Inten­dant, der ein biss­chen drauf reagiert und es auch seinen Kindern geschenkt hat. Ich fühl mich da ganz wohl.

Joachim Lux, der Inten­dant – das Spiel zwis­chen Inten­dant und Kauf­mann … haben Sie über die Jahre eine beson­dere Tech­nik entwick­elt, mit all diesen unter­schiedlichen Inten­dan­ten und Kün­stlern klarzukom­men? Sie sind der “Geld­verteil­er” haben sie mal gesagt, der dafür sorgt, dass die Kün­stler im Haus frei arbeit­en kön­nen. Kann man das noch präzis­er aus­drück­en, für Leute die sich unter einem kaufmän­nis­chen Geschäfts­führer am The­ater nicht so viel vorstellen kön­nen?
Was mich eigentlich wun­dert, den­nd as kaufmän­nisch-finanzielle ist als Berufs­bild wesentlich mehr ver­bre­it­et als die kün­st­lerische Leitung.

Aber ich meine, so ein The­ater hat einen jährlichen Bedarf von 25 Mil­lio­nen Euro. Davon ver­di­ent das The­ater einen Teil sel­ber, etwa 5 Mil­lio­nen, der Rest wird als Sub­ven­tion da hin­gelegt. Und meine Ver­ant­wor­tung ist es, ich mach das ja nicht alleine, meine zen­trale Ver­ant­wor­tung ist  dafür zu sor­gen, dass das Geld auf anständi­ge Weise aus­gegeben wird.

Dazu gehört in einem gewis­sen Umfang sich­er auch, dass man sparen kann, dass man Spar­vor­gaben durch­set­zen kann, es ist ein furcht­bares Missver­ständ­nis, wenn Leute glauben, dass ich prinzip­iell glück­lich bin, wenn irgen­det­was wenig kostet oder beson­ders hohe Ein­nah­men macht.

Natür­lich freue ich mich über jedes Stück, das Erfolg hat, aber mein  Job ist es nicht, die Sub­ven­tio­nen nicht auszugeben, son­dern sie auf vernün­ftige und anständi­ge Weise auszugeben. Ser­iös und so, das möglich viel dabei rauskommt. Das mach ich auch keineswegs alleine, es wäre albern, so zu tun, als ob ich mir den Gesamter­folg alleine an den Hut heften kön­nte. Das ist ein sehr kom­plex­es Sys­tem mit sehr einge­spiel­ten Leuten.

Ich habe wahnsin­nig gute Mitar­beit­er auf den ver­schiede­nen Ebe­nen, in den ver­schiede­nen Bere­ichen mit denen das dann auch ganz gut funk­tion­iert. Und der Zusam­men­hang, die Zusam­me­nar­beit mit dem Inten­dan­ten ist natür­lich auch ganz wichtig dafür und das hab ich eigentlich in allen drei Fällen so lei­dlich hingekriegt

Gibt es eine langfristige Pla­nung, die über Spielzeit­pla­nung hin­aus­ge­ht? Gibt es einen Mas­ter­plan über die Jahre, etwas wie „Wir wer­den etwa in 10 Jahren da etwas machen müssen?“
Naja, klar, ger­ade die gesamte The­ater­struk­tur ist ja keine, die sich nur von Spielzeit zu Spielzeit fortschreibt. Zunächst ein­mal ist die Laufzeit eines Inten­dan­ten­ver­trages ein ganz wesentlich­er Para­me­ter. Ein Inten­dant hat fünf Jahre Ver­trag, der wird dann auch irgend­wann mal ver­längert, für so eine Ägide denkt man auch, was die Instand­hal­tung des Haus­es, die Anschaf­fung tech­nis­chen Equip­ments, Aus­baut­en, Anbaut­en, Umbaut­en und der­gle­ichen anbe­langt und das sind dur­chaus Dinge, die in die Zukun­ft reichen. Wenn man so etwas wie die Gaußs­traße macht, dann weiß man, dass das ein Pro­jekt ist, das weit­er reicht.

Gibt’s eine Ein­mis­chung in den akuten kün­st­lerischen Betrieb, dass man sagt, diese Pro­duk­tion wird zu teuer, hört jet­zt mal auf hier?
Das gibt es natür­lich wirk­lich, wobei es nicht so funk­tion­iert, wie Sie es eben beschrieben haben. Man muss von vorne­here­in die Gelder so bud­getieren, wie man glaubt, dass es vernün­ftig ist. Und wenn dann so ein Bud­get an die Gren­zen stößt und eine Pro­duk­tion mehr haben will, mehr braucht, mehr zu brauchen meint, dann ste­ht man vor der Entschei­dung, ob man das ver­weigert oder ob man irgend­wo noch ’ne Reserve hat oder so was.

Das ist natür­lich eine ganz zen­trale Auf­gabe von mir, da mit Augen­maß und Liebe zum The­ater, unter Ein­schätzung der Poten­tiale, die da sind, die Entschei­dung vorzu­bere­it­en. Ich fälle die aber nicht alleine, so eine Entschei­dung fällt man nicht im ein­samen Käm­mer­lein, und über­rascht den Inten­dan­ten dann mit ’ner Akten­no­tiz: “Habe soeben die Zusatzmit­tel für Ste­mann gestrichen”, da muss man natür­lich gemein­sam dran und mit dem Regis­seur und dem Büh­nen­bild­ner und der Werk­stat­tleitung und allen anderen sehen, was unbe­d­ingt notwendig ist und dann find­et man immer Kom­pro­misse.

Ste­mann ist in diesem Zusam­men­hang wirk­lich ein gutes Stich­wort. Von ein paar Jahren gab es da einen sehr ekla­tan­ten Ein­griff in die kün­st­lerische Arbeit in der Diskus­sion mit einem Jelinek-Stück.
Ja, aber von außen, nicht von innen.

Es geht die Geschichte, sie hät­ten mit einem Team auf die Striche geachtet, ob bes­timmte Textstellen nun jus­tizia­bel wer­den kön­nen oder nicht.
Das passiert häu­figer. Ich meine, es gibt bes­timmte Stücke, bes­timmte Autoren, bes­timmte Ver­lage, bei denen es höchst prob­lema­tisch ist, ein Stück inter­pre­ta­torisch zu verän­dern. Allen voran ist das Brecht, am schlimm­sten da die “Dreigroschenop­er”, wenn sie da ein falsches Instru­ment ein­set­zen, haben sie die Weill-Foun­da­tion am Hals.

Aber es gibt auch immer wieder mod­erne Stücke, die irgendwelche Fälle auf­greifen, wo man sehen muss, dass man nicht mit den Per­sön­lichkeit­srecht­en von jeman­dem in Kon­flikt kommt. Und das Stück, von dem sie sprechen, das war eine Jelinek-Text, “Ulrike Maria Stu­art”. Die Jelinek sel­ber hat über­haupt kein Prob­lem mit jed­wed­er Verän­derung, die ver­hält sich vol­lkom­men relaxed gegenüber Regiee­in­grif­f­en, fordert die nachger­ade.

In dem Fall war’s eine andere Autorin, die da zitiert wurde in dem Stück, die sich ver­let­zt und belei­digt fühlte. Und es gab vor allem die Tochter von der Ulrike Mein­hof, die Mitwirkungsrechte beanspruchte, die wir ihr nicht ein­räu­men woll­ten, und da gab’s mächtig viel Zoff. Und da set­zt man sich natür­lich hin und guckt sich das genau an und ver­sucht erst ein­mal sel­ber zu beurteilen, ob eine Rechtsver­let­zung vor­liegt oder nicht. Wir haben Anwälte dazu geholt und dann  entsch­ieden, dass das, was wir da machen, so gemacht wer­den kann. Dann gab’s zwar einen Prozess, aber der ist für uns pos­i­tiv aus­ge­gan­gen.

Wie fassen das dann die Kün­stler auf, sagen die dann “Fin­ger weg, wir wollen das durch­set­zen”?
Das ist sehr unter­schiedlich. Der Ste­mann ist ja ein hochin­tel­li­gen­ter Mann, der weiß genau, was er treibt. Der ärg­ert sich natür­lich über jede Gren­ze, die ihm geset­zt wird, und ver­sucht die irgend­wie zu auszudehnen oder zu durch­brechen, aber let­ztlich ist das jemand, mit dem man reden kann und der Argu­menten zugänglich ist.

Es gibt aber auch Leute, die über­haupt nicht zugänglich sind. Da muss man es  unter Umstän­den zulassen oder mit Gewalt ver­hin­dern, das passiert dann schon, aber ganz sel­ten. Im Grunde sind das alle Vorgänge von enger Zusam­me­nar­beit, langer Diskus­sion und gemein­samem Ergeb­nis. Eigentlich ist The­ater auch nur so gut und kann auch nur so was wer­den.

Ich ver­mag mich über­haupt nicht zu sehen in Oppo­si­tion oder gar in ein­er Feind­schaft zu den Kreativpro­duzen­ten, zu Regis­seuren, zu Dra­matur­gen oder Büh­nen­bild­nern, son­dern ich sehe mich als ein Ermöglich­er, zumin­d­est als jemand, der solche Sachen fre­und­schaftlich begleit­et und ver­sucht, die Pro­duk­tions­be­din­gun­gen so gut zu gestal­ten, wie es eben geht.

Lesen sie näch­sten Mon­tag, im drit­ten und let­zten Teil, Lud­wig von Ottings Mei­n­ung zur Ham­burg­er Kul­tur­poli­tik und über die Insze­nierun­gen, die er nicht vergessen mag …

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