Ein eisiger Wind weht in der Hamburger Kulturpolitik, und so gibt es Glühwein im Kulturwerk West in Altona. Und Buttons mit der Aufschrift “Ich bin das Schauspielhaus” gibt es auch. Aber die hat ja ohnehin schon jeder am Revers, der Stellung beziehen möchte in der Hansestadt.
Quo vadis, Schauspielhaus fragt die hochkarätig besetzte Diskussionsrunde auf dem Podium. Jack Kurfess, kaufmännischer Direktor und Interims-Intendant des Schauspielhauses, Klaus Schumacher, Leiter des Jungen Schauspielhauses sowie Journalist und Autor Till Briegleb sollen dem Publikum die Richtungen und Wege aufzeigen, die das Hamburger Schauspielhaus in Zukunft gehen könnte. Und das Publikum erscheint zahlreich, nicht nur, um sich die Hände an den Glühweinbechern zu wärmen.
Interesse am Thema ist da, das haben die Stellungnahmen, Demonstrationen und Liebesbekundungen der Hamburger auf die Kürzungsankündigungen überraschend klar gemacht. Ob man aufgrund dieses plötzlichen Erwachens der Bürgerschaft Kultursenator Reinhard Stuth als “Gottesgeschenk” bezeichnen möchte, wie Moderatorin Jana Marko es provokant im Schlusswort formuliert, sei an dieser Stelle unkommentiert.
6,7 Millionen Euro soll die Hamburger Kulturbehörde bis 2020 einsparen. Das Schauspielhaus trifft es mit 1,22 Millionen. Intendant Schirmer nahm seinen Hut, und dennoch sitzt Interims-Intendant Kurfess mit nahezu gelassener Heiterkeit auf dem Podium. Verliest Interview-Zitate von Erfolgsintendant Frank Baumbauer, der bereits 1998 – zu seiner Zeit als Schauspielhaus-Intendant – vor weiteren Kürzungen warnte. Jährlich steigende Zusatzkosten, die durch Tarifvertrags- und Mehrwertsteuer-Erhöhungen entstehen, bringen die Theater seit Jahren in schwindelerregende Sparbedrängnis. Dazu noch zusätzliche Kürzungen? Auf lange Sicht bedeuten diese eine Verlustspirale, wie Kurfess eindrücklich klar macht. Je mehr gekürzt wird, desto schlechter die künstlerische Qualität, desto weniger Zuschauer kommen, desto weniger Einnahmen usw.
Da wird es Schumacher dann doch zu bunt, oder sagen wir besser: zu trist, denn er ist gegen diese “ökonomische Logik”, er will konstruktiv denken. Mit sechs Schauspielern macht er seit der Spielzeit 2005/2006 für das Junge Schauspielhaus ein breit gefächertes Programm, das mit einer Auslastung von über 90 Prozent punkten kann und dabei noch Auszeichnungen und Preise satt gewinnt. Das Publikum klatscht und pfeift, “Das ist an diesem Haus möglich!”, man ist ein bisschen stolz darauf, fast so, als hätte man selbst inszeniert. Moderatorin Marko nutzt die Woge der Begeisterung, um ironisch die Abwesenheit eines Vertreters der Kulturbehörde zu kommentieren, das Gejohle wird lauter, man schämt sich gern ein wenig fremd für die feige Politik.
Autor Briegleb stellt die Kürzungen als strukturelles Problem der Stadt Hamburg dar. Ex-Kultursenatorin Karin von Weick, deren Versprechungen, dem Schauspielhaus unter die Arme zu greifen, in ihrem Rücktritt gipfelten, sieht er dafür als Paradebeispiel. Man könne die (Subventions-) Aufgaben der Politik nicht so lange brach liegen lassen, bis die Bürgerschaft dafür einsteht. Struth sei daraufhin nur die logische Konsequenz gewesen, denn kein vernunftbegabter Mensch hätte sich dieses Scherbenhaufens freiwillig angenommen, außer einer mit einem großen „Geltungsbewusstsein und Machtbedürfnis“.
Gebraucht würde in Hamburg nicht ein architektonisches Renommierprojekt wie die Elbphilharmonie. Gebraucht würden Künstler, die die Gesellschaft und deren Entwicklung neu und positiv denken. Und genau das geschähe an den Theatern, auch wenn diese an gesellschaftlicher Bedeutung eingebüßt hätten.
Das lassen Schumacher und Kurfess nicht auf sich sitzen. Wenn die Feuilletons das Schauspielhaus nicht in die Bedeutungslosigkeit geschrieben hätten – und gegen diese spräche ja beispielsweise die exzellente Auslastung des Jungen Schauspielhauses –, wäre die Politik gar nicht auf die Idee gekommen, die Kürzungsschere an dem geschwächten Haus anzusetzen. Belegbar sitzen die Mitglieder der Kulturbehörde dort ausgesprochen selten im Publikum. Sich eine Meinung aus den Meinungen Dritter bilden, ist ja derzeit ohnehin en vogue, wie man es bei Thilo Sarrazins Amtsentbindung beobachten durfte. Briegleb nimmt die Journalistenschelte gelassen hin: “Man kann doch nicht das schreiben, was die Politiker verstehen. Wo kommen wir denn da hin?” Gelächter auf der Bühne und im Publikum.
Künstlerische Abstriche bleiben bei derlei eklatanten finanziellen Problemen nicht aus. Ein Kooperationsprojekt mit der Kulturhauptstadt Tallinn für 2011 musste abgesagt werden. Die Münchner Kammerspiele haben sich der Produktion angenommen, die ursprünglich von Dramatiker Simon Stephens für das Schauspielhaus Hamburg geschrieben wurde. Das ist die falsche Richtung, macht Briegleb deutlich, um Hamburg als Metropole nach vorne zu bringen. „Es muss Geld in die Hand genommen werden, damit Hamburg wieder international mitspielen kann.“ Er hält Konkurrenzen zwischen Städten und auch zwischen Theatern untereinander für sehr produktiv.
Aber wo, fragt man sich, ist denn nun der eigentliche Anlass des Abends geblieben? Wie geht’s denn jetzt weiter mit dem Schauspielhaus? “Wollen wir mal sehen, was da wird” meint Kurfess gelassen. Im April 2011 stellt er den Spielplan für die kommende Saison vor. Sein Ensemble habe den Kampf aufgenommen. Der Kontakt zu den Bürgern sei da. Der neue Intendant, und das ist wahrlich ein Problem, käme mitten in das Sanierungsjahr hinein, wenn er nächste Spielzeit seine Tätigkeit aufnehme. Ende Dezember wird klar, wer das sein wird und wann er beginnt.
“Ich höre von allen Ecken, dass diverse Regisseure angerufen und gefragt werden, ob sie Bock hätten,” so Briegleb, “mir wäre an Eurer Stelle schwummrig.” Niemand hat erwartet, dass die bisherige Kulturpolitik Hamburgs sich jetzt strukturiert und geplant auf Intendantensuche begibt. Aber diese Herangehensweise ist dann doch einen Lacher wert. Dem Publikum fällt dazu nichts mehr ein, und so findet eine anschließende Diskussion nicht statt. Quo vadis, Schauspielhaus? Applaus, Applaus, und alle Fragen offen.
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