Das Versagen der Poesie

"Was ihr wollt " am Thalia Theater

Es ist schon komisch. Die Bilder sind fast 20 Jahre alt und sind immer noch da. Als Jür­gen Flimm damals “Was ihr wollt” auf die Bühne des Thalias brachte, war alles Zauber, alles schwebend. Rolf Glit­ten­berg hat­te eine sein­er schön­sten Büh­nen gebaut, eine Grotte der Sehn­sucht und des Wan­dels, ein wun­der­sames Schaus­piel­erensem­ble (Kre­mer, Paul­mann, Liefers, Sprenger, Kuster, Bantzer, Kurt usw.) flog spin­nwe­bzart durch das Stück.

Heute ist das alles ziem­lich anders. Jan Bosse hat sich mit sein­er Dra­matur­gin den Text gegrif­f­en, ihn durchge­walkt und mundgerecht gebo­gen. Sein Illyrien ist genau­so kün­stlich wie einst Flimms Grotte, aber ohne jeglichen Hauch des Arti­fiziellen. Ein Dio­ra­ma hat er sich bauen lassen, die Thalia-Bühne ist geschrumpft, eingeengt durch die Instal­la­tion eines Urwald-Schaukas­tens. Ein gemal­ter Rund­hor­i­zont sug­geriert Ferne hin­ter den papier­nen Pflanzen dieses illyrischen Waldes, in dem wun­der­liche Tiere leben und die Pilze sprießen. Neben einem gehörn­ten Zauberti­er mit schö­nen Streifen an den Hin­ter­läufen (ein Okapi?) thront ein jäger­grün­er Mann hin­ter einem Tas­tenin­stru­ment und spielt die Musik der Liebe und Ent­frem­dung. Über­haupt ist viel Musik. Aber das ste­ht im Stück. Es ist ein Exper­i­men­tiergärtlein für die kom­plex­en Ver­wirrnisse dieses irrsin­ni­gen Stück­es, das eigentliche Spiel find­et im schmalen Streifen zwis­chen der Kante des Dio­ra­mas und der Rampe statt. Der Büh­nen­raum ist vol­lkom­men geschlossen, kein­er der Schaus­piel­er ver­lässt die Bühne für einen Auf- oder Abtritt, wenn nichts zu tun ist, hockt man auf den Rabat­ten oder im Wald.

Soweit die Szene, soweit der Raum. Was wir alle wis­sen, dass in Shake­spear­es Liebeswel­ten (wer immer er war) nichts so ist, wie es zu sein scheint, son­dern immer nur für den Augen­blick so scheint, wie es sein kön­nte. Das weiß auch Jan Bosse. Nicht nur, dass  seine Vio­la mit einem Mann beset­zt wird, zugle­ich wer­den die Rollen der ges­tran­de­ten Vio­la und ihres Brud­ers in ein­er Fig­ur zusam­menge­fasst. Das hat in diesem Fall wenig mit Shake­speare-Werk­treue zu tun (im 16./17. Jahrhun­dert gab es nur männliche Schaus­piel­er), son­dern ist Teil eines Konzepts, dass nicht nur mit Fig­uren­wech­seln arbeit­et, son­dern auch mit Ideen­wech­seln. Hat­ten wir nicht jüngst am Thalia mit einem dop­pel­ten Ham­let zu tun, der seinen Dual­is­mus entäußerte? Hier ist es umgekehrt. Dass das die Auf­führung zu einem gülti­gen Schluss führen wird, ist am Anfang des Abends noch nicht zu ahnen, da wird sehr bre­it aus­ge­spielt, eine bis zur Pause ger­adezu unerk­lär­liche Ver­langsamung, ins­beson­dere der von allen Komö­di­anten geliebten Rüpeleien von Sir Toby und Aguecheek. 

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