Lessingtage am Thalia: Den König sehen und sterben

Gastspiel des Burgtheaters Wien am Thalia-Theater: Stephan Kimmig inszeniert Franz Grillparzers "Die Jüdin von Toledo"

Mit Haut und Haaren: Rahel (Yohan­na Schw­ert­feger), Don Garcer­an (Juer­gen Mau­r­er), © Rein­hard Wern­er

Bis auf den let­zten Platz beset­zt ist das Thalia-The­ater, wenn “die Burg” an der Alster zu Gast ist. Peter Jor­dan, jahre­lang festes Ensem­blemit­glied des Thalia-The­aters, kommt aus der Wiener Fremde auf die noch leere Bühne und spricht – aus­gerech­net über Heimat: einen Text des 2008 ver­stor­be­nen Recht­spop­ulis­ten Jörg Haider, wie man im anschließen­den Pub­likums­ge­spräch erfährt (lei­der aber nicht aus dem Pro­grammheft). Haiders Heimat-Kult dem Stück voranzustellen, gesprochen vor idyl­lisch pro­jiziertem Alpen­panora­ma, funk­tion­iert erschreck­end gut und ste­ht Stephan Kim­migs Insze­nierung pro­gram­ma­tisch voran. Denn es geht in erster Lin­ie um räum­liche und innere Heimat – und das Gefühl von Bedro­hung der­sel­ben durch das Fremde.

Alfon­so VIII., König von Kastilien (Peter Jor­dan), hat unruhige Zeit­en zu bekämpfen im Tole­do des Jahres 1195. Ange­grif­f­en wird die Stadt nicht nur von Außen durch den “grim­men Mau­ren”, auch im Stadtin­nern brodelt der Hass gegen die Juden. Büh­nen­bild­ner­in Kat­ja Haß hat die Hand­lung in einen Gerichts- und Par­la­mentssaal ver­legt. Warum, liegt auf der Hand, denn hier geschieht Unrecht. Doch das ist auch schon der einzige Plus­punkt für diesen beengten Guck­kas­ten in hellen Holztö­nen. Dom­i­nant hängt das Kruz­i­fix an der Stirn­seite. Der König spricht zu seinem Volk, und die Fam­i­lie ste­ht ihm bei wie aus dem Ei gepellt. Viel zu früh hat man Alfon­so ins Amt geset­zt, die Heirat mit Eleonore von Eng­land geschick­ter Schachzug der Eltern. Die per­fek­te poli­tis­che Insze­nierung, obwohl der Frau Gemahlin das Lächeln schon mal ent­gleist. Man neigt zum Gebet für Tole­do züchtig das Haupt, dem Kind wer­den die dick­en Händ­chen gefal­tet.

Da wirft sie sich ihm vor die Füße, das junge Ding. Schön ist sie und stolz und will den König sehen, davon kön­nen wed­er Vater noch Schwest­er sie abbrin­gen. Sie fle­ht um Schutz gegen die Juden-Ver­fol­gung – und spielt doch das Spiel der Ver­führung. Leben­shun­grig ist diese Rahel der jun­gen Yohan­na Schw­ert­feger, eine Gierige, die Gren­zen austestet und ihr ganzes Sehnen in den Moment legt. Als würde das Leben here­in­brechen in eine tote Kulisse wirkt es. Und um Alfon­so ist´s geschehen. Hunger hat er jet­zt. Oder zumin­d­est Appetit.

Ein liebestoller König, der – statt Tole­do, die Heimat der Chris­ten, im Krieg zu vertei­di­gen – lieber im Lustschloss Cow­boy und Indi­an­er spielt: Zauber­haft leicht ist die kindis­che Liebes-Ver­rück­theit der bei­den und von kurz­er Dauer. So etwas darf nicht sein, das begreift der pflichtvergessene Alfon­so schnell. Er wurde ver­hext, das Fremde, Voodoo, was auch immer, es zog ihn in seinen Bann. Bei der Rück­kehr nach Tole­do trifft er auf die bet­ro­gene, gedemütigte Gat­tin, die im Gespräch mit den Granden das Todesurteil über Rahel längst ver­hängt hat. Zweimal spricht Car­o­line Peters als Eleonore das Urteil an diesem Abend, ein­mal zu Beginn, das Ende vor­weg nehmend. Die Gren­ze zwis­chen Pri­vatem und Poli­tik ist eine fließende. Let­ztlich ist man sich einig, das Fremde muss weg, es schadet dem Staat. Was nun fol­gt, ist kein Einzel­mord, es ist ein Progrom, wie ein Meer aus Grablichtern auf der Bühne andeutet: Aus­gerech­net Don Garcer­an, der die “jüdis­che Dirne” selb­st begehrte bis zur Verge­wal­ti­gung, macht der Trauer des Vaters und der Schwest­er mit dem Feuer­lösch­er ein Ende.

Zwei Arten von Fremd­heit wolle Regis­seur Kim­mig zeigen, sagt seine Dra­matur­gin im Pub­likums­ge­spräch: Das Fremde, das unsere gewohnte Welt von außen bedro­ht, und die Angst vor dem Unbekan­nten im eige­nen Innern. Alfon­so begeg­net bei­dem, als er das Gefühl von Begehren ken­nen­lernt. Und aus Angst und Scham vor seinem frem­den Selb­st wird die Ursache für die Emo­tion ver­ant­wortlich gemacht: die jüdis­che Geliebte. Ins­ge­samt will der Abend ein biss­chen zu viel und gleit­et so manch­mal ab ins Plaka­tive. Den­noch ist Kim­mig eine Studie zum The­ma Fremd­heit gelun­gen, die sich gewaschen hat. Was Grill­parz­er in diesem Stück tut, ist so unge­bremst, wenn auch in strenge Verse gepresst, dass man unweiger­lich “Sturm und Drang” denkt: Sieben Fig­uren auf der Bühne, und keine ist nur gut, keine nur schlecht. Jede hat ihre Begehrlichkeit­en, Lei­den­schaften, Fehler. Und mit Sicher­heit ist es Kim­mig zu ver­danken, dass diese inneren Wider­stände nahezu plas­tisch greif­bar sind. Eine junge Frau will nichts mehr als leben. Und aus­gerech­net die ist am Ende tot.

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