Die Exposition

Wie Hamburgs neue Intendantin Karin Beier sich das Deutsche Schauspielhaus erfindet. Ein Blick auf den Anfang

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An der Hei­mat­front. (Bild: © Nejron Pho­to – Fotolia.com)

Viel­leicht ist es wirk­lich so, dass die Büh­nen­kunst unter allen dar­stel­len­den For­men die voll­kom­mens­te ist, in all ihren Mög­lich­kei­ten von Distanz, Nähe und der Ein­bin­dung ihrer Geschwis­ter Musik, Tanz und aller Bilder.

Viel­leicht ist sie aber auch die Ver­kom­mens­te unter ihnen, so tief wie sie sich beu­gen, so sehr wie sie sich ver­bie­gen kann, in ihrer ver­in­ner­lich­ten Gefall­sucht und dem glit­zern­den Ran­schmei­ßer­tum, das so eng mit ihr ver­knüpft ist.

Auch die neue Inten­dan­tin des Deut­schen Schau­spiel­hau­ses in Ham­burg, Karin Bei­er, ist die­sen Gestal­ten aus­ge­lie­fert und, so scheint es, sie ist gewillt, zu Beginn ihrer Inten­danz sich die­sen kom­plett hin­zu­ge­ben. Bei ihrem Anti­ken-Mam­mut­pro­jekt Die Rasen­den, der nächs­te »Mara­thon« – ein Begriff, des­sen Geschich­te ja nun mit Tod und Schei­tern endet bekann­ter­ma­ßen – geht es um viel.

Es geht zual­ler­erst um die ers­te gro­ße Mar­ke die­ses Neu­an­fangs. Es geht dar­um, Erwar­tun­gen zu erfül­len, vor allem die, die von außen an sie her­an­ge­tra­gen wur­den nach den vie­len Mona­ten des Siech­tums und der kra­wal­li­gen Hilf­lo­sig­keit an die­sem Haus, das die Wor­te »inte­rim« und »Läh­mung« auf das Dach gepin­selt hatte.

Wie stark die­se Erwar­tungs­hal­tung und auch der Druck auf die neue Beleg­schaft ist, kann man nur erah­nen. Dass das die Stadt Ham­burg das Ori­gi­nal­pla­kat der Eröff­nungs­in­sze­nie­rung mit einem Rah­men der Ham­burg Tou­ris­mus AG ver­sieht und in ihrer Stadt­mö­blie­rung plat­ziert, mag zwar übli­ches koope­ra­ti­ves Mar­ke­ting sein, steht aber sym­pto­ma­tisch dafür, was von die­sem Staats­thea­ter nun erwar­tet wird – Reprä­sen­ta­ti­on, gar Kunst – auf jeden Fall aber öffent­lich ver­tret­ba­re Hochkultur.

Die­se Inten­dan­tin wird es rich­ten müs­sen und wird es rich­ten, so hofft man und so erwar­tet man auch. Wie sehr sich da eine Art Per­so­nen­kult, ja, eine Hoff­nungs­kul­tur eta­bliert, ist in der Lokal­pres­se nachzulesen.

Schaut man sich gar die Kapi­tel­un­ter­schrif­ten eines jüngst erschie­ne­nen Buches über Karin Bei­er – eine Art Unter­neh­mer­bio­gra­fie – an (»Wie Karin Bei­er …«), kann man froh sein, dass sie nicht auch noch die Wasch­ma­schi­ne oder gar das Rad erfun­den haben muss.

Das alles muss die neue Thea­ter­lei­te­rin nicht sche­ren, schließ­lich ist sie als Thea­ter­ma­che­rin und nicht als thea­tra­les Pin-up in das Rie­sen­haus an der Kir­chen­al­lee gezogen.

Sie will arbei­ten, so scheint es. Auf­wän­dig wur­de der Innen­raum des Hau­ses über Mona­te umge­baut, die Zuschau­er soll­ten näher an das Gesche­hen gebracht wer­den, ein thea­tra­les Kon­zept der Nähe auf­ge­baut, end­lich gespielt werden.

Der neu ver­kün­de­te Spiel­plan ließ Vie­les hof­fen, und zudem wur­de ein gewal­ti­ges Star­ensem­ble mit­ge­bracht, über des­sen Güte nicht zu dis­ku­tie­ren ist, Namen wie zu des seli­gen Peter Zadeks Zei­ten, bekannt aus Büh­ne, Funk und Fern­se­hen. Alles war­te­te auf den gro­ßen Start, bis zu jenem Tag, als ein ver­häng­nis­vol­ler Pla­nungs­feh­ler den Eiser­nen Vor­hang in den Büh­nen­him­mel rau­schen ließ und damit die kom­plet­te Dra­ma­tur­gie des Neu­an­fangs zunich­te mach­te. Ein Unfall, so die offi­zi­el­le Ver­laut­ba­rung, zugleich aber eine Katastrophe.

Nach ein paar Tagen der schock­be­ding­ten Läh­mung wur­de umdis­po­niert, wur­den Alter­na­tiv­spiel­stät­ten gesucht, gar Insze­nie­run­gen umge­plant. Nur die gro­ße Gala soll­te auf jeden Fall kom­men, der Mara­thon, die Mar­ke, an der sie sie mes­sen wür­den, die Hono­ra­tio­ren der Stadt.

Jener Stadt, die sich den Star geleis­tet hat, um den gro­ßen wei­ßen Kas­ten wie­der zu dem zu machen, als was er einst geplant war, ein Bür­ger­thea­ter für die Kunst. Ein Haus für das Renom­mée und für den Ruhm der Kul­tur- und Wirt­schafts­me­tro­po­le Ham­burg.

Karin Bei­er hat dem allen stand­ge­hal­ten, und sie hat außer­or­dent­lich klug gehan­delt, das lässt sich schon jetzt sagen. Nicht nur, dass sie in der Wahl ihres Stof­fes weit genug zurück­ge­gan­gen ist, um die kon­ser­va­ti­ven Archi­va­re des klas­sisch Schö­nen-Wah­ren-Guten nicht aus der Reser­ve zu locken, sie hat sich auch für einen Weg ent­schie­den, der vie­len gerecht wer­den kann, ohne dabei zu gefäl­lig zu wer­den. Das ist ein Kunst­stück son­der­glei­chen und schon das ver­dient der Würdigung.

Denn sie hat sich für eine Art Leis­tungs­schau, eine Mes­se des deut­schen Sub­ven­ti­ons­thea­ters ent­schie­den, fünf Dra­men an einem Abend, ein jedes nach sei­ner Manier gehal­ten, ein wenig Post­dra­ma­tik dort, ein biss­chen Video da. Wir fin­den da Zita­te an das Mas­ken­spiel der Anti­ke (»Per­so­na«) in der allem vor­aus­ge­hen­den Iphi­ge­nie, ein wenig ver­hal­ten noch, sta­tisch in der Dis­po­si­ti­on, besetzt aber mit einer leben­di­gen und jugend­lich auf­tre­ten­den Anne Mül­ler neben dem Kino­star Maria Schr­a­der als Kly­taim­nes­tra. Es ist ein Anfang.

Und wir sehen Karin Bei­ers Visi­on von der Ver­knüp­fung der Küns­te, eine Visi­on vom Spie­len in einer Stadt, die noch ande­re Sze­nen hat als die sich oft so her­me­tisch geben­de Thea­ter­ge­sell­schaft. Das in Belan­gen der neu­en Musik so umtrie­bi­ge Ensem­ble Reso­nanz hat die Auf­ga­be, den Fall Tro­jas musik­sze­nisch umzu­set­zen. Es gibt eine Auf­trags­kom­po­si­ti­on für die­sen Abend (»Eine gro­ße Stadt ver­sank in gel­bem Rauch«), die Musi­ker sind ein­ge­bun­den ins Spiel, cho­reo­gra­phiert und aus­drucks­stark in Ges­te und Blick.

Es ist kur­zer thea­tra­ler Moment der Ver­ei­ni­gung an die­sem Abend, eine Aus­sicht dar­auf, dass es auf der Büh­ne um mehr gehen muss als um die Wie­der­ga­be von Tex­ten. Da mag die Kom­po­si­ti­on des Thea­ter­kom­po­nis­ten Jörg Gol­l­asch noch so gefäl­lig anmu­ten in ihrer Balan­ce aus Dis­so­nanz und neo­klas­si­zis­ti­scher Stil­fin­dung, der Augen­blick ist stark und erzählt dann doch mehr als jede bemüht umge­setz­te Teichoskopie.

Und viel­leicht sind die auf die­se Schlach­ten-Musik fol­gen­den Troe­rin­nen tat­säch­lich ein Kern­stück für die kom­men­de Arbeit am Schau­spiel­haus, ist die­ser Teil des Abends doch eine Über­nah­me der letz­ten Arbeit der schei­den­den Köl­ner Inten­dan­tin Bei­er. In der Ver­gan­gen­heit gestählt von den post­dra­ma­ti­schen und oft sta­ti­schen Schau­spiel­ar­bei­ten der ande­ren han­sea­ti­schen Groß­büh­ne, des Tha­lia-Thea­ters, mag sich der eine oder ande­re Ham­bur­ger doch sehr wun­dern, zieht denn hier ein neu­er Geist des phy­si­schen Spiels, der kör­per­li­chen Ent­äu­ße­rung und der Grenz­ver­let­zung ein, wie man ihn dort nicht oder nur noch sel­ten findet.

Über der Sze­ne hängt ein gro­ßer Laut­spre­cher, die Schlacht ist geschla­gen, die Frau­en Troi­as, gehüllt in unför­mi­ge graue Stepp­de­cken war­ten auf Erfül­lung ihres Schick­sals, bewacht von der beamti­schen See­le der Sie­ger. Es ist Erde, Schmutz über­all, die Gesich­ter sind asch­fahl, man hat Angst, die sich äußert, in Wort und Kör­per, bis hin zur wahn­sin­ni­gen Ent­gren­zung, aus­ge­drückt in Tanz und Bewe­gung, Soma­ti­sie­rung des Elends.

Nicht ohne Grund ist hier Jean-Paul Sar­tres Bear­bei­tung des Tex­tes gewählt wor­den, in sei­ner Reser­viert­heit und Zurück­hal­tung zeigt er vor allem die Kon­se­quenz des vor­her Gesche­hen, des Krie­ges in sei­ner all­um­fas­sen­den Zer­stö­rung, die bis in das Inne­re der Über­le­ben­den vor­dringt. Für Sart­re ist das vor allem Reli­gi­ons­kri­tik oder zumin­dest der Abschied von der anti­ken Fremd­be­stim­mung, die Ver­ant­wor­tung für das Elend liegt im Kriegs­spiel der so men­schen­ähn­li­chen Götter.

Das Lager­sze­na­rio, das War­ten auf die Ver­wen­dung und die Aus­lö­schung der Hin­ter­blie­be­nen sind Arche­ty­pen einer Ver­gan­gen­heit, die hier­zu­lan­de zuneh­mend in den Orkus der Histo­ry-Chan­nels ver­schwin­det. Das Thea­ter ist an die­ser Stel­le der media­len Auf­ar­bei­tung him­mel­weit über­le­gen, gelingt es ihm doch, den direk­ten Zugriff auf Tra­gö­die und Ver­ant­wor­tung zu ermöglichen.

Denn – was dann auf die­ser Büh­ne der mit aus Köln über­sie­del­ten Lina Beck­mann als Andro­ma­che gelingt, näm­lich den Zuschau­er unmit­tel­bar zu ergrei­fen in ihrer Ent­äu­ße­rung und ihrer Hin­ga­be und was im kom­plet­ten Per­sön­lich­keits­ver­lust und aller­tiefs­tem Schmerz endet, das ist unver­gleich­lich direkt und ent­behrt jeg­li­cher sach­li­chen Ana­ly­se. Die ist hier näm­lich kom­plett fehl am Platze.

Die­se spie­le­ri­sche Hin­ga­be der Schau­spie­le­rin Beck­mann steht exem­pla­risch für die Mög­lich­keit, Inhal­te auf ande­re Wei­se als über den rei­nen Ver­ste­hens­akt zu trans­por­tie­ren. So kann Thea­ter wohl sein.

Dass sich im Port­fo­lio auch die soge­nann­ten expe­ri­men­tel­le­ren For­men fin­den, raum­fül­lend distan­zen­schaf­fen­de Video­pro­jek­tio­nen, das lar­moy­an­te Hin­aus­ge­hen aus der geschlos­se­nen Form, die Bre­chung durch das ewig selbst­re­fle­xi­ve Post­dra­ma­ti­kum, das hin­ge­gen zeigt die nach der lan­gen Pau­se fol­gen­de Ores­tie.

Hier wird nach den gesell­schaft­li­chen Ursa­chen der gro­ßen Tra­gö­die gegrün­delt, wird der Schritt zurück­ge­gan­gen, den die trau­ern­den Troe­rin­nen zu nahe waren, die erschlaff­te Gesell­schaft der zu Hau­se geblie­be­nen, eine Déca­dence zwi­schen Koch­show und intel­lek­tua­li­sie­ren­der Roll­kra­gen­be­hag­lich­keit. Das ist ein Zeit­kom­men­tar, eine Para­phra­se auf eine auch heu­ti­ge Gesell­schaft der Unent­schie­de­nen, die das zuvor gezeig­te erst mög­lich gemacht haben. Und eine Warnung?

Dass das in einem Exkurs der her­vor­ra­gen­den Schau­spie­ler Mey­er­hoff, Wit­ten­born und Wöh­ler über Quan­ten­phy­sik als Welt­erklä­rung endet, ist dann nur kon­se­quent. Das nächs­te Modell tritt an die Stel­le des Ent­schwun­de­nen, die Göt­ter sind tot. Die Göt­ter leben weiter.

Das ist kei­nes­wegs das Ende.

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