Peek-a-Boo-Girl und Gentlemen prefer Blondes. When the only sound on the empty street is the heavy tread of the heavy feet that belong to a lonesome cop. Private Eye auf abgeranztem Bürostuhl in L. A. The long Goodbye. Und Gespräche fliegen im Raum umher wie Gummibälle. In Love with Carmen Sternwood. Ach, Veronica Lake. Peek-a-Boo, Gefährdung für die amerikanischen Rüstungsarbeiterinnen.
Lauren Bacall – so cool, so sweet. Und Benny Carter spielt ein Solo auf spiegelndem Pflaster unter einer Strassenlaterne. Westcoast. Jazz. Orangenhaine. Birthplace of Cool. Standards des American Dream, Real Book, Real Life. So ist das mit den Standards, eine ganze dunkle Vision zwischen ein paar Noten und Texten. Und immer wieder Projektionsflächen, die blonde, weiße Sängerin in der Flügelbeuge, die Stimme vibratolos. White Jazz.
Nimmt sich eine europäische Sängerin mit dezidiert “weißer” Stimme des Themas Jazz-Standards an, ist das coole nächtliche L. A.-Geraune der naheliegendste Versuch. Das Mädchen, Piano, Bass, das ist eine Urbesetzung des Genres, die Keimzelle des Jazzgesangs. Das Flechsenhar Trio ist eine solche. Und es klingt erst einmal … blond … peek-a-boo … es ist da, das ganze Heiligtum des Film Noir.
Die Sängerin Britta-Ann Flechsenhar erfüllt in Timbre und Phrasierung alle Anforderungen dieser Form des Jazz, Westcoast. Nur blond ist sie nicht. Die Emotionen der Figuren, die die Schauspielerin Veronica Lake verkörperte, waren immer reduziert, kalt und rätselhaft in ihrer Beschränkung. So ist der Gestus des Cool, vibratolos, direct to the line, klar. Das schafft die Aura. Peek-a-Boo.
Nun wäre das eine wahrlich langweilige Angelegenheit, wäre das wirklich alles, so etwas hörte man früher an jeder etwas besseren Hotelbar. Die Zeiten sind vorbei, die paar Jungs, die sich heute in den Zoot-Suit hängen und Shimmy tanzen, holen die Vision von L.A. im Jahre 1942 nicht wieder her. Warum also Standards machen, wenn man sie nicht dekonstruiert?
Und das machen ja auch viele, von der Dekonstruktion zur Destruktion hingegen ist der Weg nicht weit. Der Jazz ist alt geworden und er sucht ziemlich verzweifelt nach Neuerfindung. Das funktioniert ein wenig, so richtig spannend ist das aber auch nicht. Dieses Trio geht einen gänzlich anderen Weg. Und der funktioniert vollkommen.
Britta-Ann Flechsenhar ist zu allererst ein Coup in der Besetzung ihres Trios gelungen. Dieser ist nicht zu gering einzuschätzen, hat sie sich mit dem Bassisten Jan Roder einen der variabelsten und kühnsten Virtuosen auf diesem Instrument dazugeholt. Er ist ein Musiker vom Range eines Oscar Pettiford oder Miroslav Vitous, einer, der immer bereit ist, eine Grenze auszuloten, ohne dabei so selbstverliebt zu sein, wie man es Bassisten gemeinhin nachsagen mag.
Auch am Klavier sitzt mit Andreas Schmidt ein überaus intelligenter und auffällig durchlässiger Spieler seines Instrumentes, ein Mann mit viel Begleiterfahrung und großer Lust am experimentellen Spiel. Auch er ist ein Glücksgriff für das Trio. Denn in dieser Besetzung schlummert der Sprengstoff für die Implosion des Altbekannten.
Der Zugriff auf den kalten Hauch des Peek-a-Boo-Girls ist subtil. Vincents Youmans “Sometimes I’m Happy” eröffnet die Reihe, schon im Intro vernimmt man das Gewohnte, Pianovorspiel, der Bass stützt, nach 10 Sekunden kommt die Sängerin mit dem leicht lächelnden Einsatz dazu, alles scheint klar. Aber die Drei sind offenbar ganz klein wenig anders. Schon dort, in den ersten Takten, vernimmt man ein leichtes rhythmisches Stolpern, ein merkwürdig irritierendes Rubato – eine kleine Aussicht auf das, was in diesem Konzept kommen soll und muss.
Bei aller Aura des Konventionellen, die dezidiert weisse, klare Stimme, die Urbesetzung, der stützende Bass – dieser Weg ist viel zu unruhig und tastend, als dass er der Konvention entsprechen kann. “My disposition depends on you” – heißt es da unter anderem. Genau so ist es, die Indifferenz des Textes von Irving Caesar ergänzt den tastenden Versuch, so lange bis die nachhängende Phrasierung in der zielgerichteten Ungenauigkeit des Scatgesang endet.
Dieses Hineintasten in längst Bekanntes, der Blick hinter die Fassade des standardisierten Jazz macht die schmeichelnde Qualität eines solchen Albums aus. Raksins tausenfach gespielte Laura, Schmonzette zu Otto Premingers gleichnamigen Film-Noir-Melodram, fliegt zwar anfänglich weg vor der kühlen Intonationsschönheit Flechsenhars, die Soli der beiden Mitstreiter erden den Überklassiker – aber am Ende des Albums gibt es einen zweiten Take des Stücks, ein 45sekündiges Fragment, das all das Gewesene infrage stellt.
Der schräge Bogenstrich von Roder, das harmonisch offene Spiel von Schmidt, eine Textzeile “Footsteps, that you hear down the Hall …”, ein spooky sound, verloren, irritierend – in einem solchen Moment verliert Veronica Lakes Haar fürwahr seinen berühmten Glanz und Hollywoods nächtlich-schwarze Glamourvision wird entzaubert. Die komplette immanente Assoziationskette der Songgeschichte wird da neu gefasst, ohne das Traditionelle vollends zu verraten. So etwas kann Jazz.
Es scheint wirklich ein Ideen-Konzept zu sein, weitere solche Versuchsanordnungen sind über die Platte verstreut, raue Schleifstellen, die den Glanz des Klischees stumpf werden lassen und den Standard verlassen. Diese Ambivalenz zwischen dem sich selbst genügenden, bloßen Eindruck der sängerischen “Standard”-Aufbereitung – Schönklang, Wiedererkennung und Mythos auf der einen, und erhellende Dekonstruktion der gleichen Themen auf der anderen Seite – genau das macht das Album zu einer avantgardistischen Sache im Sinne des Wortes. Es geht tatsächlich voran.
Flechsenhar Trio
Standards
Gligg Records, 2013
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