Vor 20 Jahren saß ich als Theaterwissenschafts-Student und Fan im Oberrang (glaube ich, es war jedenfalls ziemlich weit weg vom Geschehen auf der Bühne) im Thalia Theater. Es war die Premiere von The Black Rider, die ganze wundervolle Thalia-Belegschaft war zu sehen, die kleine Annette Paulmann (in Wahrheit 1,75 groß), Stefan Kurt, der noch ziemlich junge Jan Josef Liefers und schließlich der magere und faszinierende Dominique Horwitz, Schwarm meiner Kommilitoninnen, als Satan Stelzfuß. Ein wunderliches Theater wurde uns da geboten, die wir uns im Studium mit Inszenierungsanalysen der frühen Flimm-Werke abgaben. Es war laut, es war Pop und von einnehmender Farbigkeit. Merkwürdige Bilder mit eigentümlichen Geometrien und unsere Stars, die konnten plötzlich singen. Die Geschichte war irgendwie aus dem Freischütz zusammengebaut, die Bühnentechniker, die wir kannten, berichteten von ungeheurem Dingen, sekundengenauer Lichtregie und anderem.
Wir waren fasziniert. Gewiss, wir kannten die Videos von The CIVIL warS und andere Arbeiten von Wilson – aber hier waren wir dabei. Also musste man den “Rider” nochmal und nochmal sehen. Mein Theater war das aber dann doch nicht. Was mir schon beim zweiten Besuch auffiel: Die ganze Geschichte war merkwürdig sprachlos. Verglichen mit dem “deutschen Sprechtheater” (es gab da mal einen Hamburger ersten Bürgermeister, der tatsächlich “das Wiederkennnen seiner Klassiker” einforderte) und den verspielten Zadek-Inszenierungen im Deutschen Schauspielhaus in den späten 80ern, war Wilsons Bildertheater zwar neu, aber genauso eindimensional wie die statischen Rampeninszsenierungen, die das bürgerliche Bürgermeister-Publikum einfordete. Gleichsam ferngesteuert kamen da die von uns so verehrten Thalia-Stars von links und rechts, von oben und von unten. Wie in einem Bilderbogen gab es Nummer um Nummer, einzelne elaborierte Szenarien wurden aufgestellt, wie in den “stummen Bildern” der Vorromantik. Stationenhandlung. Und das ein Jahr nach Flimms Platonov (in dem ich, glaube ich, zwölfmal war).
Da war es also, das Gefühl, des “es fehlt etwas”. Oder des “es genügt nicht” … Mir schien es damals und auch heute noch als Ziel, ein ganzes Theater zu haben und zu machen, ein komplexes und verwobenes System der verschiedenen Elemente. Sprache, Raum, Text, Stimme … ein Theater, das alle Sinne bedient und kann … und so kam der Bilderrausch des Wilsonschen Wunderkastens (in der Tat verschwanden alle Akteure am Schluss in einem schwarzen Kasten) mir denn irgendwann fad und leer vor, ein legasthenisches Theater ohne Worte, ein Stummfilm ohne Musik.
Nächsten Samstag, am 23. Januar, bin ich wieder in einer Art Wilson-Premiere, Büchners Woyzeck, wieder am Thalia. Regie führt nicht der Meister selbst, sondern die junge Jette Steckel. Ich bin gespannt.
Achso – die Überschrift … am Schluß, alle anderen waren in der Kiste verschwunden, sang Dominique Horwitz/Stelzfuß noch einen Song. Licht von hinten. Und seine Ohren leuchteten rot. Damals, 1990.
Come on a long with the Black Rider
We’ll have a gay old time
Lay down in the web of the black spider
I’ll drink your blood like wine
Hinterlasse jetzt einen Kommentar