Mein guter Freund Don Corleone

»In der ersten Reihe sieht man Meer« – Ein italienischer Ferienroman des Allgäuer Heimat-Krimi Gespanns Klüpfel und Kobr

In der ersten Reihe sieht man Meer
Logenplätze (Bild: Patrick Daxenbichler/fotolia.com)

In der bes­ten eng­li­schen Thea­ter-Tra­di­ti­on steht das Gen­re der Far­ce, der tra­gi­ko­mi­schen und gro­tes­ken Über­zeich­nung. Ein wesent­li­cher Motor die­ser Form ist das genaue Timing, das rasche Wider­spiel von Rede und Gegen­re­de, und der direk­te Zugang zur Poin­te und zur manch­mal gro­tes­ken Über­zeich­nung. Der gro­ße Regis­seur Peter Zadek, geschult in der Tra­di­ti­on des tra­di­tio­nel­len eng­li­schen Unter­hal­tungs­thea­ters, schätz­te die­se Spiel­art sehr, er insze­nier­te mit Ayckb­urn, Behan und Ionesco Meis­ter die­ser Gattung.

Auch im lite­ra­ri­schen Unter­hal­tungs­gen­re ist die Zeit ein Fak­tor von gro­ßer Bedeu­tung – weder Crich­ton, noch King, noch Har­ris funk­tio­nie­ren ohne die genaue Kon­struk­ti­on und die exak­te Abstim­mung der Dia­lo­ge, ohne das Hin­ar­bei­ten auf dem Moment der Auf­lö­sung, mit all den Vol­ten und Ara­bes­ken, die den Leser in die Irre füh­ren kön­nen und dann auch ins Ziel. Über die­se Form des Hand­werks zu spre­chen, gilt vor allem hier­zu­lan­de als ver­pönt, zu weit ent­fernt ist sie vom Gedan­ken lite­ra­ri­schen Geni­us und dem Momen­tum des allein­schaf­fen­den Künst­lers, der aus sei­ner allei­ni­gen Inspi­ra­ti­on schöpft.

Das Autoren­duo Vol­ker Klüp­fel und Micha­el Kobr sind ein ech­ter Gegen­ent­wurf zu die­ser Idee. Sie beherr­schen das Hand­werk, schrei­ben im Team, die Abstim­mun­gen zwi­schen ihnen fin­den nicht in ver­rauch­ten Dich­ter­stu­ben statt, son­dern wer­den bei­na­he aus­schließ­lich per Sky­pe getä­tigt. Wie sie mei­nen, ist die­ses Ver­fah­ren der Kon­zen­tra­ti­on auf das gemein­sa­me Pro­jekt zuträg­li­cher als der direk­te Austausch.

Mit ihren Regio­nal­kri­mis rund um den kau­zi­gen Kom­mis­sar Kluf­t­in­ger aus dem All­gäu haben sie auf die­se Wei­se ein neu­es Sub-Gen­re geschaf­fen. Genau wie die schon erwähn­ten gro­ßen Kol­le­gen beherr­schen sie Kon­struk­ti­on und Zeit­ge­fühl, füh­ren Dia­log­re­gie und Poin­ten mit gro­ßer Genau­ig­keit aus. Das ist sicher, neben der Wie­der­erkenn­bar­keit der regio­na­len Cha­rak­te­re, der Haupt­grund für den Ver­kaufs­er­folg ihrer Kriminalromane.

Mit dem jüngst erschie­ne­nen Feri­en­ro­man »In der ers­ten Rei­he sieht man Meer« sind sie, obwohl es sich mit Sicher­heit nicht um einen Kri­mi­nal­ro­man han­delt, ihrer stu­pen­den hand­werk­li­chen Kön­ner­schaft treu geblie­ben. Auch in die­sem Buch – es geht um eine Art Zeit­rei­se in den deut­schen Ita­li­en­tou­ris­mus der 80er Jah­re des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts – gibt es lie­bens­wür­di­ge Cha­rak­te­re, mit denen man sich rasch iden­ti­fi­zie­ren kann, knapp skiz­zier­te Gen­re­sze­ne­rien und stets den unbe­ding­ten Wil­len zum Abschluss, zur Poin­te, zur Auf­lö­sung. Die pro­fes­sio­nel­le Hand­schrift der bei­den ist unverkennbar.

»In der ers­ten Rei­he sieht man Meer« erzählt die Feri­en­er­in­ne­run­gen des puber­tie­ren­den Kna­ben Alex. Genau­er han­delt es sich um eine Art Rück­blen­de, wie wir sie aus gen­re­ähn­li­chen Vor­bil­dern aus Kino und Fern­se­hen ken­nen – eine Gedan­ken­rei­se in die Ver­gan­gen­heit. Der erwach­se­ne Alex, von Beruf Wer­ber, steht kurz vor der Abrei­se in den Fami­li­en­ur­laub nach Ita­li­en. Bei den letz­ten Ver­rich­tun­gen am Vor­abend der Rei­se, fin­det er ein altes Foto­al­bum und erin­nert sich an den ers­ten gemein­sa­men Ita­li­en­ur­laub mit sei­nen Eltern, sei­ner Groß­mutter und sei­ner älte­ren Schwester.

Er fällt, nach dem für sol­che Fäl­le obli­ga­to­ri­schen Glas Rot­wein, in eine Art koma­tö­sen Schlaf und erwacht, ver­meint­lich, in sei­nem alten Kin­der­bett, aus dem er von sei­ner Mut­ter geweckt wird. Das Sze­na­rio ist ähn­lich wie in der Rea­li­tät, es ist der Tag des Auf­bruchs nach Ita­li­en, nur ist der erwach­se­ne Alex im Kör­per sei­nes jugend­li­chen Alter Egos gefangen.

Die Kom­bi­na­ti­on aus der Erfah­rung des Mitt­vier­zi­gers gebun­den mit der phy­si­schen Erschei­nung des puber­tie­ren­den Jun­gen und sei­ner Umwelt trägt in der Fort­füh­rung der Geschich­te nicht unwe­sent­lich zum Vor­trieb bei. Der Motor die­ser Rah­men­hand­lung läuft noch etwas unrund, wirkt zu kon­stru­iert, doch schon bald summt der Hand­lungs­vor­trieb mit der Geschmei­dig­keit einer »Bel­la Mac­chi­na« aus Turin oder Mode­na. Jedes der kur­zen Kapi­tel – fast möch­te man sagen, »Sze­nen« – ist mit dem immer eini­ger­ma­ßen pas­sen­den Titel eines Hits der 80er Jah­re ver­se­hen, von »Feli­ci­tá« bis »Ster­nen­him­mel«. Die genaue Ver­or­tung in sei­ner Hand­lungs­zeit ist wich­tig, steht sie doch in unmit­tel­ba­rem Zusam­men­hang mit der Bio­gra­phie der Autoren und ihrer anvi­sier­ten Zielgruppe.

Der Rah­men ist nost­al­gisch – pop­kul­tu­rel­le Erin­ne­rungs­me­me für die Gene­ra­ti­on der in die­ser Zeit Auf­ge­wach­se­nen wie jene Charts­ti­tel gibt es zuhauf. Der roman­ti­sche Fun­ken der Authen­ti­zi­tät wirkt aus Hin­wei­sen, dass die den Kapi­teln vor­an­ge­stell­ten Abbil­dun­gen, Post­kar­ten wie Urlaubs­bil­der aus dem per­sön­li­chen Besitz der Autoren stam­men. Der ver­klä­ren­de Blick auf die­se Epo­che schafft star­ke Iden­ti­fi­ka­tio­nen. Es soll Stu­di­en geben, nach­dem bei­na­he 50 Pro­zent der Deut­schen die Epo­che zwi­schen 1980 und 1989 als Sehn­suchts­zeit wie­der instal­lie­ren wür­den – trotz Fri­su­ren­mo­de und Euro-Pop.

Inwie­weit die Zei­ten sich ver­än­dert haben, blitzt an allen Enden in der All­tags­tri­via­li­tät die­ses klei­nen Feri­en­bu­ches durch. Noch immer sind für die deut­schen Tou­ris­ten der Acht­zi­ger die Gast­ge­ber jen­seits der Alpen mit Vor­sicht zu genie­ßen, das Res­sen­ti­ment gegen das Frem­de, »den Ita­lie­ner« ist all­ge­gen­wär­tig. Ins­be­son­de­re die unmit­tel­ba­re Nach­kriegs­ge­nera­ti­on, Alex‹ Eltern und Groß­el­tern, erge­hen sich in den kurio­ses­ten Manö­vern ihre Fremd­heit und Ängs­te unter Kon­trol­le zur bringen.

Deut­sche Nah­rungs­mit­tel wer­den in das ohne­hin mit dem deut­schen Haus­stand schon völ­lig über­la­de­ne Auto gestopft, die Mut­ter wäscht in der Feri­en­woh­nung sämt­li­che Schrän­ke mit Essig­was­ser aus und auch sonst ist jener merk­wür­di­gen Spe­zi­es der »Ein­ge­bo­re­nen« nicht zu trau­en. Am Strand wird die deut­sche Pom­mes-Bock­wurst jeder ita­lie­ni­schen Köst­lich­keit vor­ge­zo­gen – bis sich das erwach­se­ne Ich des Prot­ago­nis­ten mit all sei­nem Wis­sen der post­tos­ka­nisch-hedo­nis­ti­schen Ära der Regie­rung Schrö­der und deren Fol­gen mel­det. Tat­säch­lich wird dann vor allem auf kuli­na­ri­schem Wege die »Stra­da del Sole« zur unver­meid­li­chen deutsch-ita­lie­ni­schen Freund­schaft befahren.

Der Weg dahin aller­dings ist stei­nig und gen­re­ty­pisch vol­ler Abzwei­ge, die aller­dings sind »con amo­re« beschrie­ben. Ent­lar­vend ist der Zei­ten­sprung gele­gent­lich auch für die Gegen­wart. In einer höchst skur­ri­len Sze­ne ver­sucht der Fami­li­en­va­ter, natür­lich ohne Sprach­kennt­nis­se – die hat allein und rudi­men­tär sei­ne Frau, in der Volks­hoch­schu­le erwor­ben – in einer ita­lie­ni­schen Eis­die­le erfolg­los einen »Eis­ne­ger« zu bestel­len. Ein Wort, das in heu­ti­ger Zeit wie selbst­ver­ständ­lich »nicht mehr geht«. Es han­delt sich übri­gens um eine Eis­waf­fel mit Scho­ko­la­den­gla­sur auf den Eis­ku­geln, das hat man viel­leicht ver­ges­sen. Aber »Buca­ti­ni all’a­ma­tri­cia­na« ken­nen wir inzwischen.

So ist das alles höchst­ver­gnüg­lich und unter­halt­sam, ange­füllt mit fei­nen und auch gele­gent­lich kalau­ernd-gro­ben Spit­zen, gro­tesk über­zeich­net und, gen Ende, auch ein wenig sen­ti­men­tal ins Ver­söhn­li­che gesteu­ert. Aber das kann man durch­aus zur eige­nen Unter­hal­tung selbst nach­le­sen, an der Adria, im All­gäu oder in Bie­le­feld. Im Sommer.

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