Wir in Deutschland haben es ja nicht so mit dem moderneren Liedgesang. Der Deutsche hat seine Männergesangsvereine für die Vorgestrigen, den Liedermacher für die Gestrigen und den deutschen Schlagersänger (auch gestrig). Der Franzose hat nicht nur savoir vivre, die Baskenmütze, das Baguette und den Vin rouge, nein, er hat auch das französische Chanson und seine Interpreten. Und so schielt man gern nach Westen, über unseren deutschen Rhein, denn da gibt es Gilbert Becaud, Charles Aznavour und Dalida.
Aber deutschsprachiges Liederinterpreten kommen inzwischen auch hierzulande hervorragend an, es gibt ja Herbert Grönemeyer und den großen und den kleinen Udo. Das rockt und singt so vor sich hin und glücklicherweise hört sich das nicht immer so unbeholfen-verschwiemelt an wie bei dem aktuellen Chartstürmer Tim Bendzko, dem offenbar vor lauter Silbendrechselei die Worte gänzlich entglitten und dann “Wenn Worte meine Sprache wären” titelte – wenn denn wenigstens Sprache seine Worte wären.
Interessanterweise haben sich in den letzten Wochen drei Künstler, die unterschiedlicher nicht könnten, mit dem Liedersingen auseinandergesetzt und auch Alben veröffentlicht. Um so erstaunlicher ist, daß sie alle über den Fluß schauen, und sich ein jeder von ihnen eine kleine Prise La France gönnt. Voilá:
Der Schauspieler
Viele Schauspieler singen gern, manche lauter, manche leiser, und, da eine gewisse Schamlosigkeit zum Beruf und auch zur Disposition gehört, tun sie es fast auch alle. Das beliebte Brecht/Weill/Holländer-Programm hat schon jeder Zweitsemestler an der Schauspielschule drauf. Literatur macht man auch mal gerne zur Gitarrenbegleitung, irgendwer raunt und klimpert immer wieder im Repertoire herum und nennt es dann Chanson.
Da bekommt man schon einen Schreck, wenn man auf einem Plattencover der Albumtitel erstens einen bekannten Tatort-Kommissar mit absurder Frisur zu sehen bekommt und zweitens den Titel “Blick aufs Mehr” lesen muß. Der Kalauer ist zum Glück eine Täuschung, die Frisur wohl ein Witz. Axel Prahl, um den es sich hier handelt, gefällt sich ja vor allem im Fernsehen in der Rolle des rauhbeinigen Norddeutschen mit Herz, daß er ein Meister an differenziertem Spiel sein kann, wie beispielsweise in den Filmen Andreas Dresens, zeigt er in diesem Medium leider viel zu wenig. So ähnlich kommt dann auch dieses deutsche Album daher, eröffnet maritim-schunkelnd mit “Reise, Reise” (für die nicht Norddeutschen: das Wort hat nichts mit Reisekoffern zu tun, sondern kommt vom englischen “rise”).
Der musikalische Auftritt ist mehrteilerfähig, (digital vermurkste) Streicher, schmachtende Oboe, schlimmer Solo-Trompetensound, großes Westentaschen-Kino – die Farbe bleibt konstant. Denkt man sich das Ganze analoger, unproduzierter, und sieht dem Schauspieler-Sänger mal diese, wohl Sinnenfreudigkeit demonstrierende, etwas röhrende Breitbeinigkeit in Titeln wie “Ich bin nun mal so” nach, dann erinnert man sich vielleicht an das eine oder andere, was vielleicht einmal in Filmen wie “Die Dinge des Lebens” gehört haben mag – Chanson du Cinéma. Es sind ein paar kleine Balladen (“Wieso bist du immer noch da”, “Weitergehn”), die den wenig grobschlächtigen Sänger Prahl zeigen, wo zwischen den selbstgetexteten Zeilen so etwas wie Form und Wille zu sehen ist, wo ein kleines Gefühl glaubwürdig werden kann, wo das starke Talent eines Gestalters wahrzunehmen ist und Geschichten erzählt werden. Leider sind diese feineren Nummern in der Minderzahl, Schrammelgitarren kommen da schon öfter ins Spiel. Aber das Andere, das Feinere, bleibt hängen, und das ist doch schon mal was für so eine Art Debüt-Album.
Der Entertainer
Überhaupt kein Debütant, weder auf der Mattscheibe noch als Musiker, ist Götz Alsmann. Auch er hat eine absurde Frisur zu zeigen, inzwischen ist die Tolle zum Markenzeichen stilisiert. Schon gar nicht schlecht ist der 54-jährige in der Vermarktung seiner Person und seines veritablen Könnens.
Als Entertainer sucht er seinesgleichen, kaum jemand in der deutschen Fernsehlandschaft vereint die Qualitäten des Standup-Unterhalters mit musikalischen Fertigkeiten, Wortwitz und Klamaukfähigkeit sind beachtlich und er ist eine großer Freund und Kenner deutschsprachiger Unterhaltungsmusik. Die spielt diesmal “In Paris”, Alsmann hat sich eine ganze Reihe deutsche Traduktionen französischer Klassiker mundfertig gemacht – von Charles Trenets “La Mer” bis Charles Aznavours “Tu t’ laisses aller”.
Das ist an und für sich ein charmantes Unterfangen, ganz wie man es von dem umtriebigen TV-Menschen Alsmann erwarten kann. So charmant aber, wie das ganze daher kommt, so inhaltsleer ist es dann auch. Munter klimpert die Marimba, der Sänger singt geschmeidig, und das passiert durchs ganze Album. Götz Alsmann ist alles, aber er ist kein Interpret.
Besonders deutlich wird das bei Titeln wie “Tu t’ laisses aller” – auf deutsch “Du läßt dich gehen”. Alles was da einmal an Brüchen in Text und Musik drin war, versinkt da in relaxter Latino-Barpiano-Sauce. Schatten gibt es da allenfalls im gedämpften Piano, der Gestus bleibt so nett wie wohl dieses ganze Album gemeint ist. Nicht einmal die Suche nach einer irgendwie intendierten ironischen Distanz ist für den geneigten Hörer erfolgreich. Gefällig ist das zwar, warum aber dann deutsche Texte, wenn man eh nicht hinhören mag?
Der Sänger
Wie das anders geht, zeigt der Hamburger Popmusiker Michy Reincke, seit Jahrzehnten im Geschäft, seit Jahren eher in Kennerkreisen bekannt und ein bisschen erfolgreich. Ein bißchen weiter hinten in der Playlist seines Albums mit dem putzigen Namen “Der Name kommt mir nicht bekannt vor” findet sich ein Titel mit dem Namen “Himmlische Felder”. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als Joe Dassins “Aux Champs Elysees”, daß schon 1969 von Hans Bradtke (“Pack die Badehose ein”) einen deutschen Text verpaßt bekommen hat. So ganz ohne germanischen Holzhammer dichtet Reincke die Verse um, baut eine Reminiszenz an seinen großen Hit “Taxi nach Paris” ein: “Ich kam mit dem Taxi und hatte nicht genug Kies”, viel schnoddriger ist das Ganze als der Schlagertext von einst. Eine Hommage an eine Straße, eine Stadt, an eine Frau, an eine Erinnerung.
Im Geschichtenerzählen ist Reincke nicht der Schlechteste, das musikalische Storytelling ist sein Metier. Gelegentlich verfällt er in die Mythen des Pop, in “Nur um dich tanzen zu sehen” wird der schöne, olle Topos des wilden, unangepaßten Lebens beschworen, von der graue Bankangestellte träumen mögen: “Komm wir treffen uns auf dem Dach, machen ein bißchen Krach, drehen die Regler auf 10 …”. Das ist sicherlich ein bisschen einfach und schon hundertfach da gewesen. Aber es ist hübsch gemacht und schmiegt sich musikalisch an. Ist eben Popmusik.
Ebenso hübsch gemacht ist auch der Opener des Albums “Erzähl mir nicht …”. Eine Großstadtgeschichte, die Begegnung zweier Beziehungsloser, smart und fein im Dialog erzählt. Hier finden wir den Philipp-Sarde-Gestus, den großen musikalischen Bogen, der bei den digitalen Arrangements auf dem Prahl-Album nur zu ahnen war, warm, farbig und hymnisch wieder. Und da wird der Norddeutsche Reincke französischer, inspirierter und auch eine kleines bißchen grösser als all die Bemühungen der Kollegen. Und dann schreiten die im besten Sinne altmodische Popmusik, der deutsche Liedgesang und das Pariser “Olympia” Seit an Seit. Geht doch – Douce Allemagne.
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