Du bist zu viele

René Polleschs »Kill your Darlings! Streets of Berladelphia« zu Gast im Thalia Theater

Ein Turm für Fabi­an (Bild: © Thomas Auren)

Was René Pollesch mit Less­ing zu tun hat, wer­den Sie vielle­icht fra­gen. Das ist auf den ersten Blick nicht sofort zu beant­worten. Und vielle­icht auch nicht auf den zweit­en. Aber die Volks­bühne Berlin ist mit einem Pollesch-Abend zu Gast im Rah­men der Less­ing­tage, und das Thalia ist voll bis in die let­zten Rei­hen.

Der Beat von “Streets of Philadel­phia” im End­los-Loop läutet den Abend ein, und dann kommt der Chor von der Decke gesegelt. Fabi­an Hin­richs wird ganz allein klarkom­men müssen mit seinem Mikro und diesem akro­batis­chen Net­zw­erk-Chor. Denn dies­mal ist es kein Chor der Arbeit­er oder des Pro­le­tari­ats. Dies­mal sind es 15 junge Turn­er, und sie verkör­pern ein Net­zw­erk, sie verkör­pern den Kap­i­tal­is­mus. Sie kom­men von der Decke, sie tur­nen in Salti über die Bühne und sie lassen ihn allein. Denn wie Hin­richs resig­niert fest­stellt: “Du bist ein Net­zw­erk. Du bist zu viele. Du willst zu viele.”

Aber zurück zum Anfang. Da erk­lärt Hin­richs uns näm­lich den Abend – und ganz neben­bei das Leben. Die besten Szenen soll im Thalia kein­er sehen. Die sind näm­lich zu gut, das erträgt ein Pub­likum über­haupt nicht. Das wahre Leben ist schließlich auch keine Ekstase, eher ein Gril­l­abend. “Stattdessen sehen Sie Szenen, die sie nicht so aufre­gen”, erk­lärt Hin­richs. Wie aufmerk­sam.

Er weiß, dass die Ekstase des tiefen Gefühls out ist. Warum sich nie­mand mehr aus Liebe umbringt, fragt er, das habe man früher doch auch gemacht. Die ern­sthafte Beziehung aber ist heute abschreck­end: “Es tut mir leid, dass ich nicht mehr Möglichkeit­en bin als das hier” stellt er fest und fährt einen kleinen Bag­ger aus der Seit­en­bühne. Tief graben müsste man jet­zt. Aber das ist doch viel zu anstren­gend. Dunkel auf der Bühne, die kleinen Lichter am Bag­ger und Gitar­ren­musik, das muss für ein paar Minuten reichen.

Als das Licht wieder ange­ht, ver­sucht er kurz, das Net­zw­erk wegzubag­gern, aber das will nicht so recht gelin­gen. Mit ruhigem Blick sitzen die jun­gen Turn­er vor ihm, da kann er mit der Schaufel dro­hen und aufgeregt auf und ab fahren, so viel er will. Zweck­los. Und doch fan­gen sie ihn immer wieder auf, sie tra­gen ihn auf Hän­den, sie formieren sich zu seinem Sofa, zu seinem Turm in der Bran­dung. Und jen­seits des Inhalts, den der Chor trans­portiert, muss man fest­stellen, dass diese jun­gen Men­schen den Schaus­piel­er Hin­richs tra­gen mit ihrer Kör­per­lichkeit und Präsenz.

Und das hat er — inhaltlich betra­chtet — drin­gend nötig. Denn man kön­nte wirk­lich deprim­iert darüber sein, dass dieses däm­liche Leben nicht mehr ist, als abends Piz­za zu essen oder ein Urlaub im Niesel­re­gen auf Sylt. “Ich brauche den Sturm”, schre­it Hin­richs, “Ich brauche die Seenot!” Und so sehr er die Forderung immer wieder iro­nisch bricht (“Und ich meine jet­zt hier nicht so ’nen Carpe diem-Scheiß!”), so ernst ist doch dieser Büh­nen­mo­ment: die Res­ig­na­tion über den Gril­l­abend statt dem Exzess.

Doch so ein­fach kommt er bei seinem Chor nicht davon. Und die Büh­nen­tech­nik lässt ihn auch nicht aus. Die machen näm­lich Regen. Und dazu wird getanzt und geschlit­tert auf dem Büh­nen­bo­den, dass es eine Freude ist. Wenn Hin­richs im lan­gen Leinen­rock und mit Kartof­fel­sack den Plan­wa­gen durch den Büh­nen­re­gen zer­rt, wird er doch selb­st zur Mut­ter Courage, zu Brechts berühmtester Kap­i­tal­istin, die ihre Kinder dem Prof­it opfert. Die Turn­er toben im Regen, und kurzzeit­ig macht auch Hin­richs mit, und alle haben hin­reißend viel Spaß dabei.

Doch geht der Spaß mit dem Kap­i­tal­is­mus nicht lange gut. Hin­richs bricht ab, Musik aus, Regen aus, so geht das nicht: “Das ist zu viel Glück, das haben wir doch raus­gestrichen!” Und während er so nach­denkt, wie der Abend eigentlich im faden Mit­tel­maß am besten weit­erge­hen soll, brin­gen die Turn­er eine Sport­mat­te auf die Bühne und tun, was sie eben am besten kön­nen: tur­nen. Das sei ja eine schöne Sache, kon­sta­tiert Hin­richs, während die Turn­er weit­er tur­nen. Aber wer würde dafür in ein­er Mehrzweck­halle 45,— Euro bezahlen? Eben. Nie­mand.

Alles braucht Mehrw­ert, und so wird die Tur­nakro­batik ein biss­chen aufgepeppt. Hin­richs zwängt sich in ein Krak­enkostüm, gibt den Ein­satz zur Musik und zum Diskolicht. So wird ein Schuh draus, so hat das Ding einen Mehrw­ert. An und aus geht auf Hin­richs Ansage das Dis­col­icht, und dabei bewegt er seine Krak­e­n­arme so zauber­haft – das Pub­likum ist glück­lich. Aber warum machen sie das? Gibt es eine Antwort darauf? Ja! Aber die wurde natür­lich gestrichen: “Ihr hät­tet sie nicht ertra­gen.” Stimmt ja. Kein Glück, keine Höhep­unk­te, keine Erken­nt­nisse.

Aber das Blöde ist ja: Dieser Abend ist irgend­wie so rund. Da geht es schein­bar um alles und nichts. Dann fall­en alle so wun­der­bar aus der Rolle, und Hin­richs in seinen Glitzer­leg­gins (!) flirtet mit seinem Pub­likum, wird getra­gen, erzählt und strauchelt. Und da kommt das Glück eben doch immer wieder hin­ter­rücks auf die Bühne geschlichen, dage­gen kann man gar nichts tun.

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