Eine ganze Menge Brecht(s)

Antú Romero Nunes bringt eine Dreigroschenoper in schönster Verfremdung auf die Bühne des Thalia Theaters.

Düster: Pragmatismus und Gegenwert statt Liebe. Ganz Brecht.
Düster: Pragmatismus und Gegenwert statt Liebe. Ganz Brecht.
Düs­ter: Prag­ma­tis­mus und Gegen­wert statt Lie­be. Ganz Brecht. (Foto: HHF)

Die Büh­ne ist nackt, das Licht kalt. Einen ande­ren Ein­stieg hät­te Brecht wohl selbst nicht gewählt. Und da kommt er auch schon, im Blau­mann, die Schie­ber­müt­ze auf der Stop­pel­fri­sur, Zigar­re im Mund­win­kel. In schöns­tem Brecht-Geschnar­re erklärt Jörg Pohl die Figur des Peachum. Er pfef­fert die Müt­ze ins Eck, und schnell wird klar, Peachum-Brecht-Pohl hat´s nicht leicht. Das Geschäft mit dem Elend liegt dar­nie­der, die Men­schen sind abge­stumpft, und wenn gebet­telt wird, dann bit­te, muss das Elend über­deut­lich, es muss über­höht sein.

Eine gan­ze Bat­te­rie an Stümp­fen und ähn­lich bestür­zen­den Requi­si­ten habe Peachum dann auch in sei­nem Lager, so erzählt er, denn er weiß auf der Kla­via­tur des Elends zu spie­len. Filch, der sich als Bett­ler in Peach­ums Elends-Manu­fak­tur bewirbt, muss sich gleich hin­ter die Ohren schrei­ben, dass hal­be Sachen nie­man­den nach vor­ne brin­gen. Auch Filch (Paul Schrö­der) ist Brecht im Blau­mann, und Peach­ums Frau (Vic­to­ria Trautt­manns­dorff) eben­falls. Und so wird Filch, als er die Lei­dens­ge­schich­te sei­nes Lebens vor­trägt, sprach­lich und dar­stel­le­risch gleich von zwei Peachum-Brechts korrigiert.

Antú Rome­ro Nunes stellt sein Ensem­ble als eine Viel­zahl an Brechts auf die Büh­ne, alle mit der obli­ga­to­ri­schen Kurz­haar­fri­sur, mit Nickel­bril­le, Schie­ber­müt­ze und Zigar­re. Alle paf­fen und schnar­ren ganz herr­lich und polie­ren schon auch mal eine Sze­ne, die so noch nicht passt. Das muss wie­der­holt wer­den, so spielt man das doch nicht, das ist der Unter­gang des Stadt­thea­ters. Von Beginn an wird kon­se­quent schöns­te Brecht-Ver­frem­dung aus­ge­stellt. Die Schau­spie­ler erklä­ren ihre Figu­ren oder die Sze­ne, Regie­an­wei­sun­gen wer­den gespro­chen, Hand­lun­gen pan­to­mi­misch dargestellt.

Nunes hat sei­nen Brecht gele­sen und ver­steht es, die Theo­rie der Ver­frem­dung in Sze­ne zu set­zen, um sie sofort wie­der zu bre­chen. Sein Ensem­ble aus acht Brechts sowie sei­ne aus­ge­zeich­net geführ­te Brecht-Band unter der Lei­tung von Johan­nes Hof­mann agiert mit Kön­nen, Komik und Ver­ve in und abseits der Rol­len. Nunes ver­zich­tet durch sei­nen – ver­meint­lich – nüch­ter­nen Stil auf die gern auf­kom­men­de Drei­gro­schen­oper-Roman­tik. Den Mackie-Mes­ser-Song, den Gas­sen­hau­er des Abends, ent­hält er uns bis zum Ende vor. Erst dann darf der Hai­fisch Zäh­ne zei­gen, und auch das wird gebro­chen, wo es nur geht, auf dass ja kei­ne Schun­kel­stim­mung auf­kommt. Auch der Sura­ba­ya-Jon­ny läuft nur instru­men­tal in der Hoch­zeits­sze­ne von Mackie Mes­ser und Polly.

Was aus­ge­zeich­net zu der Skiz­zie­rung der Brecht´schen Vor­stel­lung von Lie­be passt: Die­ses Rohe, Unbe­haue­ne, das gewalt­voll Sog­haf­te, das Wil­de, das in ers­ter Linie kör­per­li­che Lie­be aus­macht, die­se Grob­heit und Ego­zen­trik, die irgend­wann bei Brecht in der Bezie­hung zu sei­nen Frau­en zuta­ge kam, glaubt man den Bio­gra­fien – all das lässt sich trotz Blau­mann und Fein­ripp­shirt zwi­schen Mackie Mes­ser und sei­nen Gelieb­ten erken­nen. Im Pro­gramm­heft ist nicht umsonst Marie Lui­se Fleiß­ers Bezie­hungs­rück­schau auf „den Mann“ zu lesen. Ihre Liai­son mit Brecht war von extre­mem Ungleich­ge­wicht geprägt.

Der Tan­go zwi­schen Mackie Mes­ser (Sven Schel­ker) und Spe­lun­ken-Jen­ny (Fran­zis­ka Hart­mann), der so gekonnt mit Nähe und Fer­ne spielt, ist nur ein Bei­spiel. Auch die tief­trau­ri­ge und urko­mi­sche Hoch­zeits­sze­ne im Gangs­ter-Milieu lässt den Zuschau­er so ver­las­sen zurück, wie nur die gebro­che­ne Hoff­nung auf wah­re Lie­be es ver­mag. Die Frau­en übri­gens sind bei Nunes kein Stück bes­ser als Mackie. Pol­ly (Katha­ri­na Marie Schu­bert) bei­spiels­wei­se knutscht auf ihrer Hoch­zeits­fei­er mit Begeis­te­rung die gesam­te Ver­bre­cher­ban­de nie­der, wenn Mackie Mes­ser und Kom­mis­sar Braun zum Kano­nen­song anset­zen. Um es kurz zu machen: Roman­tik gibt es weder bei Brecht noch bei Nunes.

Zusätz­lich hat Nunes ein aus­ge­zeich­ne­tes Gespür dafür, Brechts Komik noch ordent­lich auf­zu­po­lie­ren. Im Huren­haus geht´s zum „Früh­sport“ um 16.30 Uhr, Becken­bo­den- und Brust­mus­kel­gym­nas­tik ver­steht sich. Die abge­brüh­ten Damen in Fein­ripp­un­ter­wä­sche und High Heels brin­gen ihren Huren­all­tag unge­rührt hin­ter sich – auch den Blo­wjob nach dem Arbeits­tag, der natur­ge­mäß mor­gens endet.

Natür­lich bekommt Mackie am Ende das, was er ver­dient: gleich zwei lie­ben­de Frau­en, die im Ker­ker ste­hen und ihren Ehe­mann zurück wol­len. Eine der bes­ten Sze­nen des Abends: das Eifer­suchts­du­ett zwi­schen Lucy Brown und Pol­ly Peachum. Der Kniff: Mit Anna Maria Tor­kel holt Nunes sich für die­se Sze­ne eine aus­ge­bil­de­te Opern­sän­ge­rin auf die Büh­ne, die nicht nur groß singt, son­dern auch gro­ße Oper spielt. Herr­lich dazu Katha­ri­na Marie Schu­bert, die ver­zwei­felt ver­sucht, gegen Tor­kels Opern­stim­me anzusingen.

„Drei­gro­schen­oper“, ganz Brecht´sch und doch mit Mut zu Brü­chen, aber etwas zu wenig Raum für das Stil­le und die bit­te­ren Momen­te. Und weil Nunes wohl kei­nes­falls den mora­li­schen Brecht her­aus­keh­ren will, fin­det er letzt­lich auch das Ende nicht. Mackies letz­ter Song („Grab­schrift“) hät­te durch­aus Poten­ti­al zu einem star­ken Schluss gehabt. Doch so recht ver­trau­en woll­te Nunes dem nicht. Er lässt also nicht nur den obli­ga­to­ri­schen Brown als könig­li­chen Boten auf­tre­ten, um Mackie zu begna­di­gen, son­dern baut dar­um noch eine gro­ße Geschich­te vom Pferd – im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes. Ein etwas unent­schie­de­ner Abschluss für einen sonst sehr ent­schie­de­nen Abend.

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