»El sueño de la razón produce monstruos«

Der Lübecker Oper ist ein ausserordentlicher »Tristan« gelungen

Tristan und Isolde
Der Garten der Lüste (Bild: Jochen Quast)

Zu den gros­sen, aber gewiss schö­nen Lügen bür­ger­li­chen Lebens­ver­ständ­nis gehört die »Lie­be über den Tod hin­aus«, und in kei­nem Werk der Musik­ge­schich­te mani­fes­tiert sich die­se Uto­pie so sehr wie in Richard Wag­ners »Tris­tan und Isol­de«. Die Idee eines »Lie­bes­to­des«, einer exal­tiert roman­ti­schen Ver­klä­rung gegen das indus­trie­re­vo­lu­tio­nä­re Pathos der Grün­der­zeit, ist ein kul­tu­rel­les Schein­gut son­der­glei­chen gewor­den; gera­de­zu berauscht gibt sich der Rezi­pi­ent aus der groß­bür­ger­li­chen Wohn­stu­be der Visi­on hin, das lie­ben­de Weib – »wie musst‹ ich lie­bend um dich lei­den …« – stei­ge­re sei­ne Hin­ga­be bis hin in das voll­stän­di­ge Ver­blü­hen, den Tod hinein.

Ohne den Gelieb­ten ist das Leben hin­fäl­lig, ohne Mann kei­ne weib­li­che Exis­tenz, »ertrin­ken, ver­sin­ken, höchs­te Lust« – vor allem in der Ent­sa­gung wird die Frau. Schon in der blo­ßen Wie­der­ga­be des­sen, was weder im Text noch auf der Büh­ne statt­fin­det, näm­lich im Ent­sa­gen­den grün­det sich die­ser Mythos.

Fol­ge­rich­tig ist also die Aus­ein­an­der­set­zung mit der bür­ger­li­chen Gesell­schaft, einer Gesell­schaft, die sich dem betäu­ben­den, opi­aten Wahn hin­gibt, bis in die Tie­fen einer bewah­ren­den Wag­ne­ria­na, deren Erwar­tungs­hal­tung von dem Groß­werk Tris­tan immer wie­der erfüllt wer­den will. So packt auch in Lübecks klei­nem Opern­haus der Regis­seur Antho­ny Pila­va­chi die­sen Stoff bei den Hör­nern sei­nes groß­bür­ger­li­chen Selbst­ver­ständ­nis­ses, bei der gro­ßen Schwä­che die­ses Wer­kes, die zugleich sei­ne größ­te Stär­ke ist.

Was bedeu­tet das alles? Vor allem bedeu­tet es, tie­fe Grä­ben auf­zu­zei­gen, Grä­ben zwi­schen Zwang­haf­tig­keit und Illu­si­on, zwi­schen einer Idee von Geschlech­ter­be­zie­hung und einer Wohl­ge­ord­ne­t­heit, die ihres­glei­chen sucht. Wohl kaum eine Figur steht in die­ser sel­ten hell­sich­ti­gen Insze­nie­rung so sehr für das Ord­nungs­prin­zip wie Isol­des ste­te Weg­ge­fähr­tin Bran­gä­ne, die ewi­ge Die­ne­rin, immer besorgt, die­se geord­ne­te Fas­sa­de auf­recht­zu­er­hal­ten – hier ein umge­stürz­ter Stuhl, der auf­ge­rich­tet wer­den muss, dort das Kleid gezupft, das in Unord­nung gera­ten ist, ob der Auf­wal­lung des star­ken Gefühls, immer ist die­se Figur besorgt ob der Gefähr­dung der all­ge­gen­wär­ti­gen Rich­tig­keit des Tuns. Ihre Hin­ga­be ist die an die Ver­nunft, an das, was dem »Lie­bes­wahn« dia­me­tral entgegensteht.

Pila­va­chi hat zudem ein sel­te­nes Glück in sei­ner Beset­zung die­ser wich­ti­gen Figur, die jun­ge Mez­zo­so­pra­nis­tin Wio­let­ta Hebrows­ka, ein »Eigen­ge­wächs« des Lübe­cker Hau­ses, hat nicht nur einen siche­ren Zugang zu die­ser star­ken Par­tie, voll war­men und groß­vo­lu­mi­gen Klan­ges, son­dern ist zugleich von einer berü­cken­den Büh­nen­prä­senz. Schon in der letz­ten Spiel­zeit war sie in Korn­golds »Toter Stadt« eine der auf­fäl­ligs­ten Erschei­nun­gen, damals eben­falls in ord­nen­der Funk­ti­on tätig, als ent­sa­gen­de Haus­häl­te­rin Bri­git­ta.

Schon die Expo­si­ti­on ver­sagt sich jedes folk­lo­ris­ti­schen Dekors, kein Schiff, das sich den Gesta­den »Korn­walls« nähert, son­dern ein bür­ger­li­cher Salon, Isol­de, Bran­gä­ne im Kleid des 19. Jahr­hun­derts, blau. Es ist ein­ge­deckt, Blu­men­ar­ran­ge­ments, Ker­zen, über allem ein glä­ser­nes Dach, ein Win­ter­gar­ten, in dem der Win­ter aller­dings bereits ein­ge­zo­gen scheint, die Schei­ben beschla­gen, undurch­sich­tig. In der rech­ten Ecke die Frau­en, eng bei­ein­an­der, an der Tür die vater­mör­der­be­wehr­te Män­ner­ge­sell­schaft, vol­ler Domi­nanz­ge­ha­be, for­dernd und herausfordernd.

Der jun­ge See­mann ist einer von Ihnen, sein fri­scher Wind, der der Hei­mat zuweht, ist pro­vo­kan­te Her­aus­for­de­rung (»Wer wagt es, mich zu höh­nen?«) an die Adres­se der gefan­ge­nen Frau­en, die der Ehe­schlie­ßung Isol­des mit Mar­ke »zuge­führt« wer­den. Hier wird der Cla­im abge­steckt, die Macht, das Geha­be einer bür­ger­li­chen Män­ner­ge­sell­schaft auf der einen Sei­te, dort die in der Kon­ven­ti­on gefan­ge­nen Frau­en, tail­liert, durch Rock und Fri­sur aus­ge­stellt und in die­se Gesell­schaft eingeordnet.

Die­ser Salon, der Ort wird sich wenig wan­deln, es sind Innen­räu­me (Büh­nen­bild: Tat­ja­na Ivschi­na) in denen sich die Hand­lung abspielt. Tritt Natur, Bewe­gung, Lust auf, dringt sie ein, wird aber domes­ti­ziert. Gegen Ende des ers­ten Auf­zugs wird der Salon zum umrank­ten Gewächs­haus, das Licht wech­selt nach außen, es sind die Struk­tu­ren die­ser Umran­kung, die den geschlos­se­nen Raum umfas­sen mehr zu erah­nen als wirk­lich wahrzunehmen.

Es ist die Natur, die von außen ein­dringt, eine zumin­dest auf­kei­men­de Bedro­hung, die den Wild­wuchs der Unver­nunft zei­gen will. Das hat illus­tra­ti­ven Cha­rak­ter, genau wie die viel­fa­chen und zugleich zei­chen­haf­ten Stür­ze der bei­den iri­schen Damen, Ohn­machts­ges­ten inner­halb einer zwangs­wei­se vor­ge­ge­be­nen Kon­stel­la­ti­on. Auch Mar­kes Burg, der­sel­be Innen­raum, wird von der Natur heim­ge­sucht, ein Jagd­sze­na­rio der könig­li­chen Gesell­schaft, ein Rasen­tep­pich, ein paar Blät­ter Laub, wehen­de Vor­hän­ge, Fackeln vor den Fens­tern. So darf sie sein, die her­aus­for­dern­de Natur, die Wie­se ein Möbel­stück, eine Ahnung des­sen, was wuchern könn­te, doch das Laub ist schon wie­der tro­cken und verdorrt.

Nun bringt das, was sich zwi­schen Isol­de und Tris­tan zeigt, die Welt in den Grund­fes­ten gehö­rig in Unord­nung. Meint zumin­dest der domes­ti­zier­te Bür­ger und genau so will er es auch sehen. Deran­giert in der Klei­dung, unter­rocks und decrava­ttiert fin­det die gros­se Lie­bes­ze­ne des zwei­ten Aktes statt, die Kul­tu­ra­li­sie­rung ist jedoch schon so weit fort­ge­schrit­ten, dass man sich das Duett der Lie­ben­den gegen­sei­tig in die Federn diktiert.

Eine hoch­i­ro­ni­sie­ren­de Sze­ne ist das, gewiss ein Sei­ten­hieb auf die ent­gren­zen­de Künst­ler-Ména­ge-à-trois zwi­schen Wag­ner und der ver­hei­ra­te­ten Mat­hil­de Wesen­don­ck, doch die­ses bio­gra­phi­sche Detail ist allen­falls eine Rand­no­te, zeigt doch das Bild vor allem das Gefan­gen­sein in der Vor­stel­lung des abge­si­cher­ten Daseins, selbst das über­ir­di­sche Lie­bes­paar bleibt in sei­ner Bestim­mung. Das ist alles so hübsch ein­ge­rich­tet, dass es auf das Aller­tiefs­te schmerzt.

Dass man ange­sicht solch hoher Spiel­dich­te, wie man sie auf einer Opern­büh­ne eher nicht erwar­ten kann, aus­ge­zeich­ne­ter Dar­stel­ler und vor allem gesang­lich siche­rer Solis­ten bedarf, ist offen­bar. Hier in Lübeck gelingt auch das oft Schwe­re, Gast­so­lis­ten mit dem klei­nen Ensem­ble zu ver­bin­den. Edith Hal­ler, eine Ita­lie­ne­rin mit star­ker Wag­ner-Stim­me, ist eine gross­ar­ti­ge Isol­de, bei deren star­kem Spiel man wenig auf den Atem ach­ten muss. Sie »steht« die lan­ge und schwe­re Par­tie ohne Ver­lus­te bis zum – hier über­aus tri­um­pha­len – Schluss unbe­ein­druckt, hat einen fei­nen Tris­tan an der Sei­te, den aus Essen aus­ge­lie­he­nen Wag­ner-Spe­zia­lis­ten Jef­frey Dowd.

Zunächst noch etwas ver­hal­ten, bei­na­he zau­dernd – was in der kon­zep­tio­nel­len Anla­ge der Rol­le begrün­det ist – beein­druckt er vor allem im drit­ten Akt mit prä­zi­ser Into­na­ti­on, ganz ohne das weiß­blech­ar­ti­ge Tim­bre, das so vie­le sei­ner jun­gen Kol­le­gen für stäh­lern-hel­disch halten.

Und selbst in den »klei­nen« Par­tien zeigt sich das Lübe­cker Ensem­ble stark in Spiel und Stim­me, eben­so wie das Orches­ter. Der schei­den­de GMD Roman Brog­li-Sacher führt sein Phil­har­mo­ni­sches Orches­ter vor allem unprä­ten­ti­ös, kein unnö­ti­ges Gefuch­tel, kein über­trie­be­nes Pathos, gerad­li­nig und klar.

Schö­ne Blä­ser­klän­ge, wie dort schon häu­fi­ger gehört, dem Raum ange­mes­se­ne Dyna­mik, kein über­bor­den­der Wag­ner-Klang, der hier nicht hin­ge­hört, son­dern an die Wei­he­stät­ten des Gen­res. Das dient der Erzäh­lung auf der Büh­ne unge­mein, tat­säch­lich – und das ist auch Ver­dienst die­ses unauf­dring­li­chen Diri­gats – mag man der ja an Ansät­zen lang­at­mi­gen Geschich­te über die vol­le 5‑stündige Distanz immer folgen.

Es folgt, unaus­weich­lich, der Schluss, der Kul­mi­na­ti­ons­punkt, der fal­sche Tod. Der drit­te Akt öff­net sich räum­lich, Tris­tans Burg ist ein vene­zia­ni­scher Palaz­zo. Wie die ande­ren Räu­me wirkt auch hier die Aura des Ver­falls, die Rudi­men­te der Tape­ten an den Wän­den sin­gen ihr eige­nes Lied der Deka­denz, das ken­nen wir aus Lübeck, Aschen­bach, wir ver­ste­hen, Aus­klang einer Zeit. Der unlängst ver­stor­be­ne Wolf-Jobst Sied­ler hat­te die­sen Unter­gang die­ser bür­ger­li­chen Ära immer ein wenig weh­mü­tig beklagt.

Und wir sehen auf dem Schlei­er­zug im Vor­spiel die Lagu­ne und den Noten­text und glei­ten damit hin­über in die Künst­ler­de­bat­te. Es hebt sich der Vor­hang, der Schlei­er bleibt hän­gen, ein Traum­bild. Und dort ist sie, eine der Ursze­nen der Auf­klä­rung, Tris­tan birgt sei­nen Kopf im Arm auf dem dort ste­hen­den Flü­gel, der träu­men­de Künst­ler. Es ist auch Goyas Bild. Es schließt sich der Kreis, der Schlaf der Ver­nunft birgt die­se Unge­heu­er der Ent­gren­zung und Ver­klä­rung, die die Ord­nung der Din­ge bedrohen.

Der »Lie­bes­tod«, die­ses abge­schmack­te Bild der Rezep­ti­ons­ge­schich­te wird zum ver­klä­ren­den, viel­leicht sogar jubeln­den Tri­umph Isol­dens. Ste­hend auf dem Flü­gel, der Hand­werks­zeug des schaf­fen­den Kom­po­nis­ten, umge­ben von Par­ti­tur­blät­tern, ist Tris­tan längst nicht mehr inter­es­sant. Ihr »unbe­wußt –, höchs­te Lust!« ist von sei­nem – in die­sem Fal­le vor allem künst­le­ri­schen – Tod viel wei­ter ent­fernt als all die Zusam­men­brü­che über Leich­na­men ande­ren Insze­nie­run­gen. Nie war die­se Sze­ne näher an der Ent­hül­lung all der Illu­sio­nen und Träu­me, die die­ser Stoff birgt. Eine Ent­hül­lung, eine Verklärung.

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